| # taz.de -- Essay über das Kopftuch: Verschleierte Unterordnung | |
| > Alle Islamisten lieben das Kopftuch. Grund genug, über den Unsinn dieser | |
| > Uniform zu streiten. Für das Recht darauf, es zu tragen – oder auch | |
| > nicht. | |
| Bild: Schülerinnen sollten das Recht darauf haben ein Kopftuch zu tragen – u… | |
| Haare können sexy sein. Manche mögen sie am ganzen Körper, andere | |
| bevorzugen das Haupthaar, möglichst lang und gepflegt und mit Vorliebe auf | |
| dem Kopf einer Frau. | |
| Die erotische Wirkung schönen Haars hat eine lange Geschichte. Als | |
| aufreizende weibliche Körperzonen nennen die meisten Menschen aber Busen, | |
| Po, Schenkel und Lippen weit vor der Frisur. Viele Muslime scheinen da | |
| anders zu ticken, denn die Verhüllung von Frauen nimmt bisweilen bizarre | |
| Formen an: Mit knallengen Hosen, die Brüste gepresst in farbenfrohe | |
| Stretchklamotten, auf hohen Schuhen und mit einem Make-up, das mehr Kunst | |
| als Schminke ist, prägen die unter Jugendlichen so genannten | |
| Kopftuchbitches mit ihren schrillen Outfits das Straßenbild fast wie früher | |
| die Punks. | |
| Ich kenne nicht wenige Männer, die diese Kombination – oben Tuch, drunter | |
| Sexbombe – aufreizender finden als jede Nackte. Signalisiert die Trägerin | |
| mit dem Kontrast doch: Ich will, aber ich darf nicht. Gepaart mit dem | |
| Idealbild einer Jungfrau ist das Ganze an erotischer Aufladung kaum zu | |
| überbieten. | |
| ## Zucht und Freiheitsdrang | |
| Dieser extravagante Umgang mit dem Kopftuch zeigt den körperlichen | |
| Freiheitsdrang vieler junger Musliminnen, der in großem Widerspruch zu | |
| einem strengen islamischen Zuchtgebot steht. Und er führt vor, wie viel | |
| mehr eine Frau auch – oder gerade – mit Kopftuch von ihrem Körper zeigen | |
| kann. Warum also das ganze Theater um den Schleier? | |
| Vielleicht weil er doch mehr ist, als oft behauptet wird. | |
| Im April wurde die Klage einer Berliner Lehrerin abgewiesen. Sie hatte | |
| Entschädigung gefordert, weil ihre Bewerbung angeblich aufgrund ihres | |
| Kopftuches erfolglos blieb. Eine Nonne im Habit hätte es ebenso schwer: | |
| Sowohl die Nonne als auch die Kopftuch tragende Lehrerin werden durch das | |
| Berliner Neutralitätsgesetz aus vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes | |
| ausgeschlossen. | |
| ## Dem Mann untergeordnet | |
| Nonnen üben ihren Gottesauftrag in kirchlichen Einrichtungen aus. Kopftuch | |
| tragenden Musliminnen reicht das nicht, sie wollen einen konservativen | |
| Islam im Alltag etablieren. Nicht nur in ihren Gemeinden sollen Kinder | |
| sehen, was es heißt, Allah zu dienen. Keine Mühe, kein Prozess wird | |
| gescheut, um dem politischen Islam auch an öffentlichen Schulen ein Gesicht | |
| zu geben. Hier soll ein Frauenbild zum Normalzustand erklärt werden, das | |
| einer patriarchalen Religionsinterpretation entspricht: Die Frau ist dem | |
| Mann untergeordnet. Das heißt nicht, dass eine verschleierte Frau sich | |
| ständig prügeln lässt und keine Meinung hat. Es bedeutet auch nicht, dass | |
| ein Kopftuch zwangsläufig den Geist seiner Trägerin einschränkt. | |
| Frauen mit Kopftuch sind oft klug und selbstbewusst – und oft dann | |
| besonders durchsetzungsfähig, wenn es darum geht, den Männern ihr | |
| Patriarchat zu erhalten. Sie sind die Hüterinnen konservativer muslimischer | |
| Moralvorstellungen. Als Mütter, Schwestern, Töchter und Ehefrauen genießen | |
| sie, bei Einhaltung islamischer Anstandsregeln, besondere Anerkennung. Mit | |
| dem Gefühl der moralischen Überlegenheit geht oft eine Verachtung anderer | |
| Frauen einher. Wer sich in Moscheegemeinden Vorträge zur Rolle der Frau | |
| anhört, bekommt schnell einen Eindruck davon, wie misogyn der Schleier und | |
| die mit ihm verbundenen Regeln sind – und erfährt einiges über die | |
| angebliche Verdorbenheit westlicher Frauen. | |
| Von Frauen, die ein uneingeschränktes Recht auf das Tragen des Kopftuchs | |
| fordern, hört man selten, dass sie sich für Mädchen einsetzen, denen das | |
| Tuch von ihrer Familie aufgezwungen wird. Dabei müssten doch gerade jene | |
| für Selbstbestimmung eintreten, denen oft das Gegenteil unterstellt wird. | |
| ## Politische Dimension geht sehr viel weiter | |
| Vermutlich verläuft hier die Grenze: Der konservative Islam, so wie ihn die | |
| meisten Moscheen und Islamverbände in Deutschland vertreten, gibt den | |
| Frauen die Freiheit, sich für die Einschränkung und Unterdrückung der Frau | |
| im Namen des Islams starkzumachen. Aber nicht dagegen. Es gibt Frauen, die | |
| sich unterordnen wollen. Das ist ihr gutes Recht, aber alles andere als ein | |
| Kampf für Frauenrechte. | |
| Jeder Mensch in Deutschland hat das Recht, ein Kopftuch zu tragen. Und | |
| jeder Mensch hat in Deutschland das Recht, kein Kopftuch zu tragen. Weil | |
| sich für Letzteres bisher keine einzige muslimische Interessenvertretung | |
| eingesetzt hat, bleiben das Tuch und die damit verbundenen Regeln für | |
| „züchtige“ Frauen ein Thema des Anstoßes. Die politische Dimension der | |
| Verschleierung geht sehr viel weiter als die bedauerlichen | |
| Diskriminierungserfahrungen einzelner Kopftuchträgerinnen. Letztere sind | |
| Nebeneffekte einer scheinheiligen Debatte, die versäumt, über | |
| Menschenrechtsverletzungen zu sprechen, die auch in Deutschland täglich | |
| stattfinden, wenn Mädchen durch Kleidung und Verhaltensregeln in ihrer | |
| Freiheit eingeschränkt werden: kein Kontakt zum anderen Geschlecht, kein | |
| Schwimmen, keine Klassenfahrten und vor allem keine selbstbestimmte | |
| Sexualität. | |
| ## Hotpants + bauchfrei + Kopftuch | |
| Vielleicht sollten ja alle Frauen ab und zu Kopftuch tragen: mit Hotpants, | |
| bauchfrei – noch gewagter als die eingangs erwähnten „Kopftuchbitches“. … | |
| könnte dem Tuch seine Symbolträchtigkeit nehmen. Denn die Behauptung, es | |
| sei ein politisches, Frauen verachtendes Element des Islams, wird von | |
| vielen Islamvertretern gern negiert. Mit dem Argument, das sei nur ein | |
| westliches Hirngespinst und das Kopftuch emanzipatorischer Ausdruck | |
| weiblicher Selbstbestimmung; ganz persönlich und individuell. | |
| Wenn das stimmt, dürfte so ein Modetrend nicht als Affront gegen religiöse | |
| Gefühle verstanden werden. Nirgendwo im Koran steht schließlich, dass eine | |
| Frau ihren Körper verstecken oder auch nur ihren Kopf bedecken soll. Es | |
| scheint also nicht schwer, auch das Nichttragen religiös zu begründen. Und | |
| trotzdem passiert es zu oft, dass muslimische Mädchen von selbst ernannten | |
| Sittenwächtern dazu aufgefordert werden, ein Tuch zu tragen, weil sie sonst | |
| keine „richtigen“ Musliminnen seien. | |
| Alle Islamisten dieser Welt finden das Kopftuch geil. Vielleicht sollte das | |
| allein schon ein Grund sein, um über den Unsinn dieser Uniform | |
| nachzudenken. Und wer meint, das Kopftuch könne Frauen vor sexuellen | |
| Übergriffen schützen, den sollten aktuelle Statistiken zur sexuellen Gewalt | |
| gegen verschleierte Frauen in islamischen Ländern eines Besseren belehren. | |
| Das Kopftuch signalisiert neben der angeblichen sexuellen | |
| Nichtverfügbarkeit eben auch, dass darunter eine Frau ist, die garantiert | |
| große Hemmungen davor hat, eine Vergewaltigung anzuzeigen. | |
| ## Ständer beim Beten | |
| Ginge es um den feministischen Anspruch, den Körper nicht als Ware | |
| feilzubieten, dann wären lasziv guckende Frauen in Unterwäsche auf Plakaten | |
| unser gemeinsames Thema. Wir könnten jungen Mädchen vermitteln: Du darfst | |
| gern eine tolle Frisur tragen, musst aber auch nicht jedem deinen Hintern | |
| in Latexhosen ins Gesicht halten, nur weil Heidi Klum das vorlebt. Männer, | |
| die beim Beten in der Moschee einen Ständer bekommen, weil eine Frau sich | |
| vor ihnen bückt, könnten wir dann gemeinsam ins Nebengebäude verbannen. | |
| Dorthin, wo jetzt noch die Frauen beten müssen, weil man ihnen unterstellt, | |
| die sexuelle Begierde der Männer zu wecken. | |
| Solange aber die Vorherrschaft des Mannes im europäischen Islam nicht auch | |
| von den Kopftuchverfechterinnen infrage gestellt wird, müssen Frauen, die | |
| im Tuch mehr sehen als nur Mode, weiterkämpfen: für das Recht einer jeden, | |
| ein Kopftuch zu tragen oder keins zu tragen – vor allem aber für die | |
| öffentliche Präsenz eines Frauenbilds, das nicht patriarchal-islamisch | |
| geprägt ist. | |
| Ein Blick in die muslimische Welt reicht, um zu sehen, wie Frauen aus der | |
| Öffentlichkeit verschwinden, weil Männer sie als permanente Lustobjekte | |
| wahrnehmen. Es ist ein Alltag, der, je mehr Frauen einen Schleier tragen, | |
| umso bedrohlicher wird für jene, die es dann noch wagen, in Shorts zu | |
| gehen. | |
| Als in Frankreich das Kopftuch für Schülerinnen verboten wurde, gab es | |
| einen Aufschrei. Menschenrechtsaktivisten aus aller Welt verurteilten das | |
| Verbot mit dem Argument der Diskriminierung. Diese Stimmen schweigen, wenn | |
| es darum geht, ein Mädchen zu verteidigen, das kein Kopftuch tragen will. | |
| Es sind Menschen, die nicht hören wollen, dass es in Frankreich auch | |
| Mädchen gibt, die sagen: Ich bin froh, wenigstens in der Schule kein | |
| Kopftuch tragen zu müssen – aber ich wage es kaum zu sagen. | |
| 9 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Güner Yasemin Balci | |
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