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# taz.de -- Vertrauliche Spurensicherung: Opfer sexueller Gewalt gewinnen Zeit
> Wer vergewaltigt wurde, kann die Spuren der Tat bald sichern lassen, ohne
> sofort auch Anzeige erstatten zu müssen.
Bild: Saskia Etzold untersucht Betroffene in der Gewaltschutzambulanz
Berlin macht beim Opferschutz einen großen Schritt nach vorn: Bislang
konnten Betroffene sexueller Gewalt die Spuren der Tat nur dann
dokumentieren lassen, wenn sie auch Anzeige erstatteten. Ab Mitte Mai
stünden Rechtsmedizinerinnen der Gewaltschutzambulanz bereit, um Opfer
vertraulich zu untersuchen, ohne dass die Polizei eingebunden werden müsse,
kündigt Saskia Etzold von der Berliner Gewaltschutzambulanz an. Die
Betroffenen könnten in Ruhe überlegen, ob sie den Täter anzeigen wollen
oder nicht. Bis zu einem Jahr würden die Dokumentation und DNA-Spuren in
der Gewaltschutzambulanz aufbewahrt. So lange haben die Opfer die
Möglichkeit, sie als Beweismaterial vor Gericht zu verwenden.
Die Berliner Gewaltschutzambulanz in Moabit gibt es seit zwei Jahren. Der
Geburtstag wurde am Freitag mit einem Festakt begangen. Tatsächlich kann
die Anlaufstelle eine beeindruckende Bilanz vorweisen: Über tausend
Menschen aus ganz Berlin haben sich seit dem Frühjahr 2014 an die Ambulanz
in der Birkenstraße gewendet. Bei 424 waren Spuren von Gewalt sichtbar, die
Etzold und Kolleginnen dokumentieren konnten.
Dass die Anlaufstelle mit der Zeit bekannter wurde, zeigen die Zahlen: Im
zweiten Jahr hatten sich die Anfragen bereits verdoppelt. Auch deshalb will
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sie nun ausbauen. Bisher arbeiteten in
der Gewaltschutzambulanz eine Sekretärin und Etzold als Ärztin. 150.000
Euro pro Jahr ließ sich Berlin das Modellprojekt kosten.
Seit Januar zahlt das Land jährlich 750.000 Euro. Weitere Ärzte sollen in
das Projekt einsteigen. Die Öffnungszeiten können ausgeweitet werden. Und
auch das Tätigkeitsfeld: In der Vergangenheit war es bei sexueller Gewalt
die Aufgabe von Gynäkologen in den Rettungsstellen der Charité,
Verletzungen zu dokumentieren. Ihnen sollen in Zukunft Rechtsmedizinerinnen
der Ambulanz zur Seite gestellt werden. Da sie nicht auf Heilung, sondern
auf Beweissicherung spezialisiert sind, erhöht das die Chancen der Opfer,
vor Gericht Erfolg zu haben.
Die Zeit spielt beim Nachweis von Gewalt eine große Rolle. DNA-Spuren
lassen sich beispielsweise nur innerhalb von 72 Stunden nach einer Tat
sichern. Für Opfer einer Vergewaltigung ist es daher wichtig, sich schnell
untersuchen zu lassen. Viele Frauen sehen sich nach einem Übergriff aber
nicht in der Lage, sofort auch zu entscheiden, ob sie Anzeige erstatten
wollen oder nicht. Ein Gerichtsprozess stellt für die Opfer häufig eine
große Belastung dar, ganz abgesehen von der Scham, die viele Frauen
empfinden, das Erlebte öffentlich zu machen.
Das mussten sie in der Vergangenheit aber, wenn sie Würgemale, blaue
Flecken oder Sperma gerichtsfest erfassen lassen wollten. Die Dokumentation
war nur mit Anzeige möglich, da in Berlin allein die Polizei über die
Möglichkeiten verfügte, DNA-Spuren gesichert aufzubewahren. Nun soll die
Gewaltschutzambulanz für diesen Zweck mit einer eigenen Asservatenkammer
ausgerüstet werden, kündigt Etzold an.
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat den Ausbau der Gewaltschutzambulanz
maßgeblich mit betrieben. Die Einführung der vertraulichen Spurensicherung
für Opfer sexueller Gewalt sieht er jedoch nicht nur als Vorteil. Bei einer
schnellen Anzeige könne man Spuren beim Täter sichern, etwa Kratzer, die
auf die Gegenwehr des Opfers hinwiesen. Das sei nicht mehr möglich, wenn
sich das Opfer erst nach längerer Zeit für eine Anzeige entscheide. „Der
Königsweg, um Vergewaltigungen aufzuklären, ist das nicht“, sagt Heilmann.
Langfristig hat der Senator noch andere Ziele: Ihm schwebt ein an das
Virchow-Klinikum angeschlossenes Haus vor, dass alle Angebote des
Gewaltschutzes in Berlin unter einem Dach vereint. Dafür müsste das Land im
Doppelhaushalt 2018/2019 weitere Gelder lockermachen. Ob Heilmann dann noch
Justizsenator ist, wird sich nach den Wahlen im Herbst zeigen.
8 Apr 2016
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Sexuelle Gewalt
Opferschutz
Sexuelle Gewalt
Polizei Berlin
Vergewaltigung
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