# taz.de -- Sachsen und die Flüchtlinge: Das Bedürfnis nach einem Feind | |
> Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt, wer Pegida und AfD in | |
> die Hände gespielt hat. Und wie er trotzdem optimistisch bleibt. | |
Bild: Nach der Wende damals, da gab es in dem Sinne keine Flüchtlinge: Geflüc… | |
Ali Moradi, Projektleiter und Geschäftsführer des Sächsischen | |
Flüchtlingsrats. Geboren 1955 in Tabriz, Iran, dort Besuch der Schule und | |
Abitur. Sein Vater war Architekt und Gerichtsgutachter, die Mutter | |
Hausfrau. Nach dem Abitur Ausbildung an der Pilotenakademie Teheran zum | |
Hubschrauberpiloten, Abschlussprüfung 1974. Danach Hubschrauberpilot beim | |
Militär während des Ersten Golfkriegs bis 1989, ab 1978 Testpilot. Da er | |
vor der Revolution als Linker politisch aktiv war, geriet er ab 1989 unter | |
zunehmenden Druck, Ausschluss von staatlichen Beschäftigungen aus | |
politischen Gründen, mehrfache Inhaftierung (mit physischer und psychischer | |
Folter). Lebte in Isfahan und Teheran, hielt sich 1994 ein paar Monate | |
versteckt. | |
1995 gelang ihm die Flucht aus dem Iran nach Deutschland. Sein Bruder lebte | |
bereits in Bochum, er selbst wollte langfristig zwar nach Kanada, stellte | |
aber erst mal in Deutschland einen Asylantrag und wurde nach Chemnitz | |
geschickt. Sieben Monate später bereits bekam er seine Anerkennung als | |
Asylberechtigter. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten jedoch (das | |
Amt wurde geschlossen) bezweifelte die Asylgründe und klagte gegen den | |
Entscheidung des Bundesamts. Von 1995 bis 2002 folgte ein 7 Jahre dauerndes | |
Klageverfahren, 7 Jahre der Unsicherheit ohne Pass. | |
In dieser Zeit Gründung von Hilfsvereinen für Flüchtlinge in Zwickau, | |
Kontakt zum Deutschen Flüchtlingsrat, ein Jahr Arbeit bei der | |
Migrationsberatung des ökumenischen Informationszentrums Cabana in Dresden, | |
insgesamt drei Jahre in der Flüchtlingsberatung. Seit 2001 | |
Vorstandsmitglied im Sächsischen Flüchtlingsrat. 2002 endlich erhielt er | |
seine Aufenthaltserlaubnis, 2003 die Niederlassungserlaubnis und 2006 seine | |
Einbürgerung. Seit 2004 ist er Projektleiter des Flüchtlingsrats und | |
ehrenamtlicher Geschäftsführer. Herr Morani ist verheiratet und lebt in | |
Dresden. | |
Weltweit sind 60 Millionen Heimatvertriebene auf der Flucht, das sind mehr | |
Menschen als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein großer Teil der | |
Schutzsuchenden flieht aus Kriegs- und Krisenregionen, derzeit vor allem | |
aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Albanien, Pakistan und | |
Eritrea. 2015 wurden in Deutschland etwa 1,1 Million Flüchtlinge | |
registriert. Von Anfang Januar bis Ende Dezember 2015 wurden etwa 476.000 | |
Asylanträge gestellt. Die Bearbeitung jedoch ist äußerst schleppend und | |
schlecht organisiert. Ende Dezember lag die Zahl der noch nicht | |
entschiedenen Anträge bei 364.000. Mehr als 400.000 Flüchtlinge konnten | |
bisher nicht einmal einen Antrag stellen, weil die Wartezeiten mehrere | |
Monate betragen. | |
## Keine Chance mehr auf Asyl | |
Die Abschiebung der Armutsflüchtlinge in ihre „sicheren Herkunftsländer“ | |
hingegen wurde rasch beschlossen und forciert gehandhabt. Aber alles ist | |
rechtens. Die Großzügigkeit des alten Artikels 16 im Grundgesetz (GG) | |
existiert nicht mehr seit der Änderung des Grundrechts auf Asyl durch den | |
„Asylkompromiss“, der am 1. Juli 1993 rechtskräftig wurde. Nach dem seither | |
gültigen Artikel 16a GG hat in aller Regel keine Chance mehr auf Asyl, wer | |
aus „verfolgungsfreien“ Ländern stammt oder über den Landweg und „siche… | |
Drittstaaten“ einreist, von denen Deutschland ja lückenlos umgeben ist. | |
Anfang Februar 2016 bin ich in Dresden mit Herrn Moradi vom Sächsischen | |
Flüchtlingsrat verabredet und bitte ihn, ein wenig von seiner Arbeit und | |
seinen Erfahrungen zu erzählen: „Die Situation, so wie wir sie heute in | |
Sachsen haben, hat sich systematisch entwickelt und zugespitzt, weil die | |
Politik versagt hat. Sie hat bereits versagt bei den schlimmsten | |
rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegszeit, damals in den | |
90er Jahren in Rostock-Lichtenhagen und in Hoyerswerda. Sie hat | |
weggeschaut, verharmlost und sich lieber auf einen Populismuswettbewerb mit | |
Rassisten und rechten Gruppen eingelassen. Es ist kein Zufall, dass Pegida | |
sich 2014 in Dresden gegründet hat. Fragen Sie mal die Landesregierung, was | |
sie in den letzten Jahren unternommen hat gegen das Hochkommen dieses | |
großen Fremdenhasses?! | |
Nach der Wende damals, da gab es ja hier in dem Sinne keine Flüchtlinge. Da | |
gab es an Ausländern vor allem Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner, | |
Algerier; die waren Vertragsarbeiter in der DDR gewesen und lebten | |
größtenteils ziemlich isoliert in Heimen. Aber auch die erfuhren damals | |
schon Fremdenhass. Nach der Wende hatten wir hier bis 2004 eine Regierung, | |
die wollte nicht wahrhaben, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung massiv | |
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus existieren. Es kamen dann ein paar | |
mehr Flüchtlinge nach Sachsen – sie werden ja nach dem Königsberger | |
Schlüssel auf die Bundesländer verteilt – und wir bekamen damals 5,4 | |
Prozent, insgesamt für Sachsen. Zurzeit sind es nur noch 5,1 Prozent, weil | |
die Bevölkerung durch Wegzug geschrumpft ist. Aber auch diese kleine Quote | |
hat bereits zu Protest geführt. | |
## Problem unter den Teppich | |
2004, bei der Landtagswahl in Sachsen, hatte auf einmal die NPD fast | |
genauso viele Stimmen wie die SPD. Sie hatte 7,8 Prozent Stimmenzuwachs! | |
Aber die CDU sagte immer noch, Fremdenfeindlichkeit haben wir nicht, und | |
kehrte das Problem unter den Teppich. Auch dass durch die militärische | |
Zuspitzung und die politische Situation in den Heimatländern der | |
Geflüchteten sich auch hier bei uns die Dinge vollkommen verändern werden, | |
hat die Landesregierung übersehen. | |
Wir haben hier in Sachsen die restriktivste Asylpolitik von ganz | |
Deutschland. Das drückt sich zum Beispiel auch so aus, dass zentrale | |
Unterbringung das herrschende Konzept war und dezentrale Unterbringung auch | |
heute immer noch nicht in ausreichendem Maß umgesetzt ist. Viele Menschen | |
müssen auch nach einem halben Jahr immer noch in zentralen | |
Übergangseinrichtungen leben. Die meisten Wohnheime liegen in der Pampa, am | |
Arsch der Welt, wo es keine Infrastruktur, keine Arbeit, keine | |
Sprachschulen und nichts gibt. | |
Ich habe Familien besucht, die 15 Jahre in solchen Einrichtungen gelebt | |
haben. Die Kinder waren drei Jahre alt bei der Ankunft, und mit 18 saßen | |
sie immer noch im Wohnheim.“ Er fügt ärgerlich hinzu: „Am Ende sind sie | |
dann abgeschoben worden! Viele sind verdammt zum endlosen Warten. Damals | |
gab es ja noch die Residenzpflicht, die wurde 2011 abgeschafft, zugunsten | |
einer freieren Bewegungsmöglichkeit in Sachsen. Sie kann aber nur für kurze | |
Reisen, Arztbesuche und so weiter in Anspruch genommen werden, nicht aber | |
für eine freie Wahl des Wohnsitzes. Es galt dann eine landkreisbezogene | |
Residenzpflicht. Damit war die Bewegungsmöglichkeit bei uns noch mehr | |
eingeengt als in anderen Bundesländern. | |
Interessant ist auch, dass die Sicherheitskräfte hier immer mehr daran | |
interessiert waren, statt den rechten den sogenannten Linksextremismus zu | |
bekämpfen. Immer wenn ein Flüchtlingsheim mit Molotowcocktails attackiert | |
wurde, dann hat man das versucht zu relativieren. So ist die Situation. | |
## Manipulation der Massen | |
2014 gab es einen richtiggehenden ‚Populismus-Wettbewerb‘, der hatte | |
verheerende Folgen. Wir hatten 2014 hier im Mai Kommunalwahlen und im | |
August Landtagswahl. Die rechten Parteien haben alle anderen Themen | |
beiseitegelegt und sich nur der ‚Asylproblematik‘ gewidmet. Auch die CDU | |
war nervös. Nicht wenige ihrer Funktionäre haben beim Populismuswettbewerb | |
mitgemacht, haben versucht, aus diesem Thema politisches Kapital zu | |
schlagen. Also Manipulation mit den xenophoben und ausländerfeindlichen | |
Ressentiments in der Bevölkerung. Und die Aufklärungsarbeit, die ja | |
eigentlich der Auftrag der Landesregierung ist, hat nicht stattgefunden. | |
Man hat auch keinerlei Anstalten gemacht, dabei wenigstens die unabhängigen | |
Vereine und Organisationen zu unterstützen. | |
Und dann kommt 2013/2014 die Pegida-Geschichte. Das war, wie gesagt, kein | |
Zufall. Die NPD war knapp gescheitert, dafür war die AfD mit einem Schlag | |
auf fast 10 Prozent gekommen. Also Pegida ist der außerparlamentarische Arm | |
der AfD. Die sind nicht entstanden, weil eine allgemeine soziale | |
Unzufriedenheit in der Bevölkerung existiert. Es gibt sie zwar, viele | |
Anhänger sind schon älter und empfinden sich als Verlierer der | |
Wiedervereinigung. Viele wurden von einer Maßnahme in die nächste | |
geschickt, und deshalb gibt es in dieser Altersgruppe auch das Problem der | |
Altersarmut und Rentenarmut, das war vorprogrammiert. Aber der Fokus von | |
Pegida ist ein ganz anderer, es wird angeknüpft am Bedürfnis nach einem | |
Feind, nach einem Prügelknaben. | |
## Plattform für Pegida | |
Sie bedienen vor allem das Thema Fremdenfeindlichkeit und Abwehr der | |
Fremden. Die ultrakonservativen Populisten haben auch sofort darauf | |
reagiert. Manche staatlichen Organisationen, die eigentlich einen | |
Bildungsauftrag zu erfüllen hätten, haben mit großer Freude diese Bewegung | |
begleitet. Herr Richter, sagt Ihnen der Name etwas? Nein? Also Frank | |
Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – die | |
eigentlich überparteilich agieren müsste –, hat mit den Pegisten Interviews | |
gemacht, stundenlang. Und er hat ihnen sogar ermöglicht, in seiner Behörde | |
eine Pressekonferenz abzuhalten, und ihnen so eine Plattform geboten. | |
Ein anderes Beispiel erzähle ich Ihnen, es war quasi ein Vorzeichen. Weil | |
2013 die Zahl der Flüchtlinge, die Sachsen zugewiesen wurden, etwas | |
gestiegen war, wurde in Schneeberg eine zusätzliche Notaufnahmestelle | |
eingerichtet. Das ist eine kleine Stadt im Erzgebirge mit etwa 15.000 | |
Einwohnern, sie ist auch bekannt durch ihren Weihnachtsmarkt. In einer | |
ehemaligen NVA- und späteren Bundeswehrkaserne sollten ein paar hundert | |
Bürgerkriegsflüchtlingen untergebracht werden. | |
Und der Schneeberger NPD-Stadtrat und seine Leute haben versucht, Kapital | |
daraus zu schlagen. Es wurden Protestveranstaltungen auf dem Marktplatz | |
organisiert und ein sogenannter Lichtellauf, ein Fackelzug durch die Stadt. | |
Und es ist interessant, das war die erste größere Rekrutierung von | |
Demonstranten über das Netz. Aufgerufen zur Demo hatte der dortige | |
NPD-Kreisvorsitzende auf seiner Facebook-Seite ‚Schneeberg wehrt sich‘. Es | |
sind so etwa 2.500 Schneeberger dem Aufruf gefolgt. | |
## Gegendemo in der Minderheit | |
Ich war selber auch dort und habe gesehen: Das geht schief. Wir waren mit | |
11 Leuten da und wir wussten nicht, was passieren würde, ob sich etwas wie | |
in den 90er Jahren in Hoyerswerda wiederholt – oder noch schlimmer, wie | |
Rostock-Lichtenhagen. Wir haben mit ein paar Leuten versucht, vor dem | |
Erstaufnahmelager eine kleine Menschenkette zu bilden. Ein Arzt aus Dresden | |
war dabei und ein paar Sozialarbeiter aus Chemnitz. Zum Glück wurden wir | |
nicht attackiert, denn sie waren gar nicht dort. Es war ihnen wichtiger, | |
dass sie mit ihrem Fackelzug durch die Stadt laufen und gesehen werden. | |
Schneeberg war so eine Art Auftakt. Und dann wurde dieses Thema heißer und | |
heißer. Ich dachte mir schon, dass es bei diesem Propagandawettbewerb | |
Schwierigkeiten geben würde, aber dass sie so massiv werden, das hat selbst | |
mich überrascht. Und ich muss es noch mal sagen, Pegida hätte niemals so | |
groß werden können, wenn das nicht von verschiedenen Institutionen und auch | |
durch manche regierende Person ermöglicht und so gefördert worden wäre. | |
Statt Aufklärung zu machen, hat man Populismus betrieben. Zu einer Zeit, | |
als Pegida hier mit schlimmen Parolen durch die Straßen zog, kündigte der | |
Innenminister an: Wir wollen jetzt eine Sondereinheit für straffällig | |
gewordene Flüchtlinge aufstellen. Und zur gleichen Zeit dementierte der | |
Präsident der Polizeidirektion in Dresden, er sagte, es gibt kein | |
spezielles Kriminalitätsproblem durch Flüchtlinge, sie sind im Vergleich | |
nicht straffälliger als die Inländer. Und das galt für ganz Deutschland. | |
2014 gab es in Deutschland 895 Delikte gegen Flüchtlingseinrichtungen und | |
Flüchtlinge, 2015 waren es mehr als 1.610 solcher Delikte, überwiegend | |
rechtsradikal motiviert. | |
## Geiz gegen Flüchtlinge | |
Nehmen Sie noch ein letztes Beispiel: An der TU Dresden gibt es einen | |
Professor Patzelt, am Institut für Politikwissenschaften, ein Bayer, kennen | |
Sie den? Sicher nicht. Er hat jedenfalls auch eine unrühmliche Rolle | |
gespielt, was Populismus betrifft. 2004 forderte er eine stärkere | |
Rechtsausrichtung der sächsischen CDU, um der NPD die Themen und Wähler | |
streitig zu machen. In diesem Sinne ging es weiter. | |
Er ist ein Fan von schlagenden Verbindungen und redet mit der Jungen | |
Freiheit. Er beschäftigte sich wissenschaftlich mit Pegida, ging auch bei | |
ihren Montagsdemos mit. Und er wirbt um Verständnis für die Demonstranten, | |
diese patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Er | |
hat den ungeheuerlichen Vorwurf erhoben, dass die | |
Anti-Pegida-Demonstrationen für die Zuspitzung der politischen Lage in | |
Dresden verantwortlich sind. 2015 haben ihn seine Studenten als | |
Sympathisanten der Pegida bezeichnet, und 12 Kollegen haben sich in einem | |
offenen Brief von ihm und seinen Positionen distanziert. | |
Wenn sich Institutionen, wie Bildungseinrichtungen, Kirchen und | |
Gewerkschaften, die quasi das Gewissen der Gesellschaft sein sollten, oft | |
genug zurückhalten, um keinen Mitgliederschwund zu riskieren, dann frage | |
ich mich: Wo bleibt die Moral? Wo bleibt die Pflicht gegenüber der | |
Gesellschaft? Sie könnten die Gesellschaft ganz anders bilden und | |
gestalten. Aber wenn Institutionen ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen, | |
sondern auch noch Wasser auf die Mühlen gießen, dann sieht es schlecht aus. | |
Und wenn ein Hochschullehrer, ein Mann, der Studenten unterrichtet, die | |
Tatsachen derart verdreht, dann ist das alles mehr als fahrlässig und hat | |
Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben. | |
Vergangenen Montag hatten wir hier im Stadtzentrum so eine Situation. Es | |
war fast schon eine No-go-Area für Ausländerinnen und Ausländer, die, wie | |
ich, orientalisch aussehen. So aggressiv waren die Pegisten. Wir, die | |
Gegendemonstranten, sind immer in der Minderheit, mal sind wir 800, mal | |
1.000 oder auch mal 3.000, die 8.000 bis 10.000 Pegida-Anhängern | |
gegenüberstehen. Wir haben anfangs sogar mit einigen versucht zu | |
diskutieren, Aufklärung zu machen darüber, weshalb die Geflüchteten fliehen | |
mussten, weshalb und wie sie hier leben, was sie an Hilfen erhalten und so | |
weiter. | |
## Da beißen Sie auf Granit | |
Bei manchen Mitläufern hatten wir sogar ansatzweise Erfolg. Das war aber | |
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei denen, die die | |
Ausländerfeindlichkeit verinnerlicht haben, da beißen Sie auf Granit und | |
müssen befürchten, dass sie – statt zu argumentieren – sofort handgreifli… | |
werden. Das eigentlich Gefährliche ist aber, dass die rechten Bewegungen | |
sich sammeln, international vernetzt sind und in 30 Städten wie Amsterdam, | |
Budapest, Prag, Bratislava und so weiter auftreten. | |
Es ist leider so, wir, als Verein, als Sächsischer Flüchtlingsrat, haben | |
nur sehr begrenzte Möglichkeiten, uns all dem entgegenzustellen. Aber wir | |
versuchen es. Die politische Arbeit ist uns sehr wichtig, wir vertreten die | |
Linie von Pro Asyl und den Flüchtlingsräten, haben ein großes Netzwerk und | |
legen auf vier Sitzungen jährlich unsere Ziele und Strategien fest. Wir | |
führen hier die politischen Gespräche mit Parteien, Organisationen, | |
Landesämtern und Ministerien, reden über alles, was so auf der Tagesordnung | |
ist. Für uns ist es ganz besonders wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit | |
innerhalb der Bevölkerung machen. Und wir versuchen, möglichst viele | |
Ehrenamtliche zu gewinnen und zu schulen; auch als Berater und Übersetzer. | |
Und was glauben Sie, was wir zur Bewältigung unserer Aufgaben an | |
Geldmitteln bekommen? Der Sächsische Flüchtlingsrat erhält keinen einzigen | |
Pfennig aus Landesmitteln! Wir haben in Deutschland 16 Flüchtlingsräte, in | |
jedem Bundesland einen und nur der Bayrische Flüchtlingsrat und der | |
Sächsische bekommen kein Geld von ihren Landesregierungen. Der | |
Flüchtlingsrat in Baden-Württemberg zum Beispiel bekommt 250.000 Euro | |
institutionell gebundene Mittel jährlich. | |
## Förderantrag abgelehnt | |
Wir existieren quasi nur, weil wir von Pro Asyl unterstützt werden, von der | |
UNO-Flüchtlingshilfe und durch Spenden. Mit diesem Geld haben wir seit 2008 | |
Flüchtlingsprojekte aufgebaut. Wir haben versucht, mobile | |
Asylverfahren-Beratung zu machen, sind zu den Wohnheimen gefahren im | |
Landkreis und in den Städten, um den Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu | |
stehen. Haben Sprachkurse organisiert, auch berufsbezogene Sprachkurse. Als | |
der Bedarf nach solcher Hilfe dann immer größer wurde, haben wir 2015 an | |
die Landesregierung einen Antrag auf Fördermittel gestellt für diese | |
Projekte. Dieser Antrag wurde abgelehnt! | |
Dazu müssen Sie wissen, wir haben in Dresden für die soziale Betreuung | |
einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter auf hundert Leute. Das ist nicht | |
zu schaffen, schon gar nicht bei den vielfältigen Problemen. Dieser Geiz | |
geht auch auf Kosten der Flüchtlinge. Und deshalb versuchen wir, das eben | |
mit Ehrenamtlichen zu unterstützen, Begleitung auf Ämter oder zum Arzt und | |
vieles mehr zu machen. Wir haben sehr gute Leute, in jedem Alter, aus ganz | |
unterschiedlichen Verhältnissen, auch Linke, auch Christen. | |
Wenn Sie diese Ehrenamtlichen sehen würden, Sie wären begeistert! Da | |
bekommt man wieder Kraft, um 24 Stunden weiterzuarbeiten. Und was unser | |
Team betrifft, so versuchen wir, es so international und interkulturell wie | |
möglich aufzustellen. Wir haben auch mehrere Sprachen zur Verfügung; hier | |
an unserem Hauptsitz und in Chemnitz. Bald werden wir auch eine Zweigstelle | |
in Plauen aufbauen, damit wir auch dort Hilfe leisten können. Wir hoffen, | |
es gelingt. | |
## Warum so überrascht? | |
Was ich nicht verstehe, ist diese Überraschung, die hier herrscht. Man sei | |
nicht vorbereitet gewesen, heißt es immer. Aber es war ja längst bekannt, | |
das Problem. In Deutschland hat man lange gedacht, wir liegen geschützt, | |
wir sind sicher hier, die Millionen von Flüchtlingen stranden irgendwo | |
anders, weit weg, kommen nicht bei uns an. Aber jetzt, wo sie da sind, wo | |
sie kommen, erheben sich ein Geschrei und der Ruf nach Solidarität. Da gibt | |
es einen Rechtsruck und populistische Reden. Nur, es ist doch so: Da, wo | |
wir unglaubwürdig sind, wo wir die Menschenrechte und die Demokratie | |
verraten, geben wir ein sehr schlechtes Vorbild ab. | |
Das ist Propagandafutter in der Hand von Diktatoren und autoritären | |
Regimen! Die machen dort ihre demokratischen Bewegungen und vernünftigen | |
Kräfte nieder und sagen: Schaut mal genau hin, die Deutschen, die glauben | |
doch selbst nicht an das, was sie sagen, was sie sich in ihr Grundgesetz | |
geschrieben haben. Solange der Ostblock existiert hat, wurden das Asylrecht | |
und seine Inanspruchnahme sehr hoch gehalten und großzügig gehandhabt. Aber | |
nach dem Mauerfall, nach dem Ende der sozialistischen Länder ist das | |
Asylrecht nur noch eine ungeliebte Last. Und nun ist beides diskreditiert: | |
der Sozialismus und die Demokratie. Das ist gefährlich! | |
Solange irgendwo eine Moral existiert, ist die Gefahr nicht so groß, wenn | |
aber die Moral verdrängt wird, dann wird alles unberechenbar. Man sieht ja, | |
wie die Rechten zulegen – nicht nur bei uns, auch in den nordischen | |
Ländern, die ja früher immer ein Vorbild waren, was Integration und | |
Soziales anging. Das ist alles vorbei. | |
Sie möchten ein Resümee? Ich bin eigentlich ein geborener Optimist und will | |
nicht negativ in die Zukunft schauen. Also international gesehen könnte ein | |
positiver Weg so gestaltet werden, dass wir sehr großen Wert legen auf | |
Glaubwürdigkeit. Und wir müssen alles tun, um die Fluchtursachen zu | |
beseitigen. Nicht nur Europa, auch die USA. Dieser furchtbare Krieg muss | |
beendet werden, es muss Druck gemacht werden, auch auf Saudi-Arabien. Der | |
Krieg in Syrien ist nicht, wie man sagt, ein sunnitisch-schiitischer | |
Glaubenskrieg. Nein! Man wollte dort Maßnahmen ergreifen, um das | |
Einflussterritorium von Russland beziehungsweise dem Iran zu begrenzen. | |
## Gegen die Zeit | |
Und das Problem der Kurden muss schnell gelöst werden, aber diplomatisch, | |
nicht durch ein weiteres Blutbad. Der Türkei muss ganz deutlich gesagt | |
werden, wo die rote Linie ist. Wenn es eine ‚Wertegemeinschaft‘ geben | |
sollte, USA und Europa, dann müssen beide in positiver Weise an einem | |
Strang ziehen. Aber es wird jetzt sehr auf den Ausgang der Wahlen in | |
Amerika ankommen. Darauf, ob der Teil der Wirtschaft gewinnen wird, der nur | |
noch ölorientiert und rüstungsorientiert ist. Wenn die brutalen Vertreter | |
dieser Wirtschaft an die Macht kommen, dann ist Feierabend! Ich kann es | |
nicht anders sagen. | |
Und hier bei uns erhoffe ich mir, dass die Pegida-Bewegung kleiner wird, | |
Anhänger verliert, und natürlich auch, dass die AfD nicht noch stärker | |
wird. Allerdings, damit sieht es nicht gut aus. Auf jeden Fall aber müssen | |
wir eine umfassende Aufklärung in der Bevölkerung machen und die | |
Flüchtlinge, die jetzt noch reinkommen, gut unterbringen. | |
Das könnte man sehr gut organisieren. Hoffen wir, dass sich die | |
Landesregierung endlich an diesen Aufgaben beteiligt und auch die SPD so | |
etwas vorantreibt. Da gibt es ja einige Vernünftige. Ich weiß, wir arbeiten | |
gegen die Zeit, aber ich werde jedenfalls nicht aufgeben und weiterhin für | |
meine Ideale kämpfen.“ | |
30 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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