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# taz.de -- Sachsen und die Flüchtlinge: Das Bedürfnis nach einem Feind
> Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt, wer Pegida und AfD in
> die Hände gespielt hat. Und wie er trotzdem optimistisch bleibt.
Bild: Nach der Wende damals, da gab es in dem Sinne keine Flüchtlinge: Geflüc…
Ali Moradi, Projektleiter und Geschäftsführer des Sächsischen
Flüchtlingsrats. Geboren 1955 in Tabriz, Iran, dort Besuch der Schule und
Abitur. Sein Vater war Architekt und Gerichtsgutachter, die Mutter
Hausfrau. Nach dem Abitur Ausbildung an der Pilotenakademie Teheran zum
Hubschrauberpiloten, Abschlussprüfung 1974. Danach Hubschrauberpilot beim
Militär während des Ersten Golfkriegs bis 1989, ab 1978 Testpilot. Da er
vor der Revolution als Linker politisch aktiv war, geriet er ab 1989 unter
zunehmenden Druck, Ausschluss von staatlichen Beschäftigungen aus
politischen Gründen, mehrfache Inhaftierung (mit physischer und psychischer
Folter). Lebte in Isfahan und Teheran, hielt sich 1994 ein paar Monate
versteckt.
1995 gelang ihm die Flucht aus dem Iran nach Deutschland. Sein Bruder lebte
bereits in Bochum, er selbst wollte langfristig zwar nach Kanada, stellte
aber erst mal in Deutschland einen Asylantrag und wurde nach Chemnitz
geschickt. Sieben Monate später bereits bekam er seine Anerkennung als
Asylberechtigter. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten jedoch (das
Amt wurde geschlossen) bezweifelte die Asylgründe und klagte gegen den
Entscheidung des Bundesamts. Von 1995 bis 2002 folgte ein 7 Jahre dauerndes
Klageverfahren, 7 Jahre der Unsicherheit ohne Pass.
In dieser Zeit Gründung von Hilfsvereinen für Flüchtlinge in Zwickau,
Kontakt zum Deutschen Flüchtlingsrat, ein Jahr Arbeit bei der
Migrationsberatung des ökumenischen Informationszentrums Cabana in Dresden,
insgesamt drei Jahre in der Flüchtlingsberatung. Seit 2001
Vorstandsmitglied im Sächsischen Flüchtlingsrat. 2002 endlich erhielt er
seine Aufenthaltserlaubnis, 2003 die Niederlassungserlaubnis und 2006 seine
Einbürgerung. Seit 2004 ist er Projektleiter des Flüchtlingsrats und
ehrenamtlicher Geschäftsführer. Herr Morani ist verheiratet und lebt in
Dresden.
Weltweit sind 60 Millionen Heimatvertriebene auf der Flucht, das sind mehr
Menschen als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein großer Teil der
Schutzsuchenden flieht aus Kriegs- und Krisenregionen, derzeit vor allem
aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Albanien, Pakistan und
Eritrea. 2015 wurden in Deutschland etwa 1,1 Million Flüchtlinge
registriert. Von Anfang Januar bis Ende Dezember 2015 wurden etwa 476.000
Asylanträge gestellt. Die Bearbeitung jedoch ist äußerst schleppend und
schlecht organisiert. Ende Dezember lag die Zahl der noch nicht
entschiedenen Anträge bei 364.000. Mehr als 400.000 Flüchtlinge konnten
bisher nicht einmal einen Antrag stellen, weil die Wartezeiten mehrere
Monate betragen.
## Keine Chance mehr auf Asyl
Die Abschiebung der Armutsflüchtlinge in ihre „sicheren Herkunftsländer“
hingegen wurde rasch beschlossen und forciert gehandhabt. Aber alles ist
rechtens. Die Großzügigkeit des alten Artikels 16 im Grundgesetz (GG)
existiert nicht mehr seit der Änderung des Grundrechts auf Asyl durch den
„Asylkompromiss“, der am 1. Juli 1993 rechtskräftig wurde. Nach dem seither
gültigen Artikel 16a GG hat in aller Regel keine Chance mehr auf Asyl, wer
aus „verfolgungsfreien“ Ländern stammt oder über den Landweg und „siche…
Drittstaaten“ einreist, von denen Deutschland ja lückenlos umgeben ist.
Anfang Februar 2016 bin ich in Dresden mit Herrn Moradi vom Sächsischen
Flüchtlingsrat verabredet und bitte ihn, ein wenig von seiner Arbeit und
seinen Erfahrungen zu erzählen: „Die Situation, so wie wir sie heute in
Sachsen haben, hat sich systematisch entwickelt und zugespitzt, weil die
Politik versagt hat. Sie hat bereits versagt bei den schlimmsten
rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegszeit, damals in den
90er Jahren in Rostock-Lichtenhagen und in Hoyerswerda. Sie hat
weggeschaut, verharmlost und sich lieber auf einen Populismuswettbewerb mit
Rassisten und rechten Gruppen eingelassen. Es ist kein Zufall, dass Pegida
sich 2014 in Dresden gegründet hat. Fragen Sie mal die Landesregierung, was
sie in den letzten Jahren unternommen hat gegen das Hochkommen dieses
großen Fremdenhasses?!
Nach der Wende damals, da gab es ja hier in dem Sinne keine Flüchtlinge. Da
gab es an Ausländern vor allem Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner,
Algerier; die waren Vertragsarbeiter in der DDR gewesen und lebten
größtenteils ziemlich isoliert in Heimen. Aber auch die erfuhren damals
schon Fremdenhass. Nach der Wende hatten wir hier bis 2004 eine Regierung,
die wollte nicht wahrhaben, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung massiv
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus existieren. Es kamen dann ein paar
mehr Flüchtlinge nach Sachsen – sie werden ja nach dem Königsberger
Schlüssel auf die Bundesländer verteilt – und wir bekamen damals 5,4
Prozent, insgesamt für Sachsen. Zurzeit sind es nur noch 5,1 Prozent, weil
die Bevölkerung durch Wegzug geschrumpft ist. Aber auch diese kleine Quote
hat bereits zu Protest geführt.
## Problem unter den Teppich
2004, bei der Landtagswahl in Sachsen, hatte auf einmal die NPD fast
genauso viele Stimmen wie die SPD. Sie hatte 7,8 Prozent Stimmenzuwachs!
Aber die CDU sagte immer noch, Fremdenfeindlichkeit haben wir nicht, und
kehrte das Problem unter den Teppich. Auch dass durch die militärische
Zuspitzung und die politische Situation in den Heimatländern der
Geflüchteten sich auch hier bei uns die Dinge vollkommen verändern werden,
hat die Landesregierung übersehen.
Wir haben hier in Sachsen die restriktivste Asylpolitik von ganz
Deutschland. Das drückt sich zum Beispiel auch so aus, dass zentrale
Unterbringung das herrschende Konzept war und dezentrale Unterbringung auch
heute immer noch nicht in ausreichendem Maß umgesetzt ist. Viele Menschen
müssen auch nach einem halben Jahr immer noch in zentralen
Übergangseinrichtungen leben. Die meisten Wohnheime liegen in der Pampa, am
Arsch der Welt, wo es keine Infrastruktur, keine Arbeit, keine
Sprachschulen und nichts gibt.
Ich habe Familien besucht, die 15 Jahre in solchen Einrichtungen gelebt
haben. Die Kinder waren drei Jahre alt bei der Ankunft, und mit 18 saßen
sie immer noch im Wohnheim.“ Er fügt ärgerlich hinzu: „Am Ende sind sie
dann abgeschoben worden! Viele sind verdammt zum endlosen Warten. Damals
gab es ja noch die Residenzpflicht, die wurde 2011 abgeschafft, zugunsten
einer freieren Bewegungsmöglichkeit in Sachsen. Sie kann aber nur für kurze
Reisen, Arztbesuche und so weiter in Anspruch genommen werden, nicht aber
für eine freie Wahl des Wohnsitzes. Es galt dann eine landkreisbezogene
Residenzpflicht. Damit war die Bewegungsmöglichkeit bei uns noch mehr
eingeengt als in anderen Bundesländern.
Interessant ist auch, dass die Sicherheitskräfte hier immer mehr daran
interessiert waren, statt den rechten den sogenannten Linksextremismus zu
bekämpfen. Immer wenn ein Flüchtlingsheim mit Molotowcocktails attackiert
wurde, dann hat man das versucht zu relativieren. So ist die Situation.
## Manipulation der Massen
2014 gab es einen richtiggehenden ‚Populismus-Wettbewerb‘, der hatte
verheerende Folgen. Wir hatten 2014 hier im Mai Kommunalwahlen und im
August Landtagswahl. Die rechten Parteien haben alle anderen Themen
beiseitegelegt und sich nur der ‚Asylproblematik‘ gewidmet. Auch die CDU
war nervös. Nicht wenige ihrer Funktionäre haben beim Populismuswettbewerb
mitgemacht, haben versucht, aus diesem Thema politisches Kapital zu
schlagen. Also Manipulation mit den xenophoben und ausländerfeindlichen
Ressentiments in der Bevölkerung. Und die Aufklärungsarbeit, die ja
eigentlich der Auftrag der Landesregierung ist, hat nicht stattgefunden.
Man hat auch keinerlei Anstalten gemacht, dabei wenigstens die unabhängigen
Vereine und Organisationen zu unterstützen.
Und dann kommt 2013/2014 die Pegida-Geschichte. Das war, wie gesagt, kein
Zufall. Die NPD war knapp gescheitert, dafür war die AfD mit einem Schlag
auf fast 10 Prozent gekommen. Also Pegida ist der außerparlamentarische Arm
der AfD. Die sind nicht entstanden, weil eine allgemeine soziale
Unzufriedenheit in der Bevölkerung existiert. Es gibt sie zwar, viele
Anhänger sind schon älter und empfinden sich als Verlierer der
Wiedervereinigung. Viele wurden von einer Maßnahme in die nächste
geschickt, und deshalb gibt es in dieser Altersgruppe auch das Problem der
Altersarmut und Rentenarmut, das war vorprogrammiert. Aber der Fokus von
Pegida ist ein ganz anderer, es wird angeknüpft am Bedürfnis nach einem
Feind, nach einem Prügelknaben.
## Plattform für Pegida
Sie bedienen vor allem das Thema Fremdenfeindlichkeit und Abwehr der
Fremden. Die ultrakonservativen Populisten haben auch sofort darauf
reagiert. Manche staatlichen Organisationen, die eigentlich einen
Bildungsauftrag zu erfüllen hätten, haben mit großer Freude diese Bewegung
begleitet. Herr Richter, sagt Ihnen der Name etwas? Nein? Also Frank
Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – die
eigentlich überparteilich agieren müsste –, hat mit den Pegisten Interviews
gemacht, stundenlang. Und er hat ihnen sogar ermöglicht, in seiner Behörde
eine Pressekonferenz abzuhalten, und ihnen so eine Plattform geboten.
Ein anderes Beispiel erzähle ich Ihnen, es war quasi ein Vorzeichen. Weil
2013 die Zahl der Flüchtlinge, die Sachsen zugewiesen wurden, etwas
gestiegen war, wurde in Schneeberg eine zusätzliche Notaufnahmestelle
eingerichtet. Das ist eine kleine Stadt im Erzgebirge mit etwa 15.000
Einwohnern, sie ist auch bekannt durch ihren Weihnachtsmarkt. In einer
ehemaligen NVA- und späteren Bundeswehrkaserne sollten ein paar hundert
Bürgerkriegsflüchtlingen untergebracht werden.
Und der Schneeberger NPD-Stadtrat und seine Leute haben versucht, Kapital
daraus zu schlagen. Es wurden Protestveranstaltungen auf dem Marktplatz
organisiert und ein sogenannter Lichtellauf, ein Fackelzug durch die Stadt.
Und es ist interessant, das war die erste größere Rekrutierung von
Demonstranten über das Netz. Aufgerufen zur Demo hatte der dortige
NPD-Kreisvorsitzende auf seiner Facebook-Seite ‚Schneeberg wehrt sich‘. Es
sind so etwa 2.500 Schneeberger dem Aufruf gefolgt.
## Gegendemo in der Minderheit
Ich war selber auch dort und habe gesehen: Das geht schief. Wir waren mit
11 Leuten da und wir wussten nicht, was passieren würde, ob sich etwas wie
in den 90er Jahren in Hoyerswerda wiederholt – oder noch schlimmer, wie
Rostock-Lichtenhagen. Wir haben mit ein paar Leuten versucht, vor dem
Erstaufnahmelager eine kleine Menschenkette zu bilden. Ein Arzt aus Dresden
war dabei und ein paar Sozialarbeiter aus Chemnitz. Zum Glück wurden wir
nicht attackiert, denn sie waren gar nicht dort. Es war ihnen wichtiger,
dass sie mit ihrem Fackelzug durch die Stadt laufen und gesehen werden.
Schneeberg war so eine Art Auftakt. Und dann wurde dieses Thema heißer und
heißer. Ich dachte mir schon, dass es bei diesem Propagandawettbewerb
Schwierigkeiten geben würde, aber dass sie so massiv werden, das hat selbst
mich überrascht. Und ich muss es noch mal sagen, Pegida hätte niemals so
groß werden können, wenn das nicht von verschiedenen Institutionen und auch
durch manche regierende Person ermöglicht und so gefördert worden wäre.
Statt Aufklärung zu machen, hat man Populismus betrieben. Zu einer Zeit,
als Pegida hier mit schlimmen Parolen durch die Straßen zog, kündigte der
Innenminister an: Wir wollen jetzt eine Sondereinheit für straffällig
gewordene Flüchtlinge aufstellen. Und zur gleichen Zeit dementierte der
Präsident der Polizeidirektion in Dresden, er sagte, es gibt kein
spezielles Kriminalitätsproblem durch Flüchtlinge, sie sind im Vergleich
nicht straffälliger als die Inländer. Und das galt für ganz Deutschland.
2014 gab es in Deutschland 895 Delikte gegen Flüchtlingseinrichtungen und
Flüchtlinge, 2015 waren es mehr als 1.610 solcher Delikte, überwiegend
rechtsradikal motiviert.
## Geiz gegen Flüchtlinge
Nehmen Sie noch ein letztes Beispiel: An der TU Dresden gibt es einen
Professor Patzelt, am Institut für Politikwissenschaften, ein Bayer, kennen
Sie den? Sicher nicht. Er hat jedenfalls auch eine unrühmliche Rolle
gespielt, was Populismus betrifft. 2004 forderte er eine stärkere
Rechtsausrichtung der sächsischen CDU, um der NPD die Themen und Wähler
streitig zu machen. In diesem Sinne ging es weiter.
Er ist ein Fan von schlagenden Verbindungen und redet mit der Jungen
Freiheit. Er beschäftigte sich wissenschaftlich mit Pegida, ging auch bei
ihren Montagsdemos mit. Und er wirbt um Verständnis für die Demonstranten,
diese patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Er
hat den ungeheuerlichen Vorwurf erhoben, dass die
Anti-Pegida-Demonstrationen für die Zuspitzung der politischen Lage in
Dresden verantwortlich sind. 2015 haben ihn seine Studenten als
Sympathisanten der Pegida bezeichnet, und 12 Kollegen haben sich in einem
offenen Brief von ihm und seinen Positionen distanziert.
Wenn sich Institutionen, wie Bildungseinrichtungen, Kirchen und
Gewerkschaften, die quasi das Gewissen der Gesellschaft sein sollten, oft
genug zurückhalten, um keinen Mitgliederschwund zu riskieren, dann frage
ich mich: Wo bleibt die Moral? Wo bleibt die Pflicht gegenüber der
Gesellschaft? Sie könnten die Gesellschaft ganz anders bilden und
gestalten. Aber wenn Institutionen ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen,
sondern auch noch Wasser auf die Mühlen gießen, dann sieht es schlecht aus.
Und wenn ein Hochschullehrer, ein Mann, der Studenten unterrichtet, die
Tatsachen derart verdreht, dann ist das alles mehr als fahrlässig und hat
Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben.
Vergangenen Montag hatten wir hier im Stadtzentrum so eine Situation. Es
war fast schon eine No-go-Area für Ausländerinnen und Ausländer, die, wie
ich, orientalisch aussehen. So aggressiv waren die Pegisten. Wir, die
Gegendemonstranten, sind immer in der Minderheit, mal sind wir 800, mal
1.000 oder auch mal 3.000, die 8.000 bis 10.000 Pegida-Anhängern
gegenüberstehen. Wir haben anfangs sogar mit einigen versucht zu
diskutieren, Aufklärung zu machen darüber, weshalb die Geflüchteten fliehen
mussten, weshalb und wie sie hier leben, was sie an Hilfen erhalten und so
weiter.
## Da beißen Sie auf Granit
Bei manchen Mitläufern hatten wir sogar ansatzweise Erfolg. Das war aber
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei denen, die die
Ausländerfeindlichkeit verinnerlicht haben, da beißen Sie auf Granit und
müssen befürchten, dass sie – statt zu argumentieren – sofort handgreifli…
werden. Das eigentlich Gefährliche ist aber, dass die rechten Bewegungen
sich sammeln, international vernetzt sind und in 30 Städten wie Amsterdam,
Budapest, Prag, Bratislava und so weiter auftreten.
Es ist leider so, wir, als Verein, als Sächsischer Flüchtlingsrat, haben
nur sehr begrenzte Möglichkeiten, uns all dem entgegenzustellen. Aber wir
versuchen es. Die politische Arbeit ist uns sehr wichtig, wir vertreten die
Linie von Pro Asyl und den Flüchtlingsräten, haben ein großes Netzwerk und
legen auf vier Sitzungen jährlich unsere Ziele und Strategien fest. Wir
führen hier die politischen Gespräche mit Parteien, Organisationen,
Landesämtern und Ministerien, reden über alles, was so auf der Tagesordnung
ist. Für uns ist es ganz besonders wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit
innerhalb der Bevölkerung machen. Und wir versuchen, möglichst viele
Ehrenamtliche zu gewinnen und zu schulen; auch als Berater und Übersetzer.
Und was glauben Sie, was wir zur Bewältigung unserer Aufgaben an
Geldmitteln bekommen? Der Sächsische Flüchtlingsrat erhält keinen einzigen
Pfennig aus Landesmitteln! Wir haben in Deutschland 16 Flüchtlingsräte, in
jedem Bundesland einen und nur der Bayrische Flüchtlingsrat und der
Sächsische bekommen kein Geld von ihren Landesregierungen. Der
Flüchtlingsrat in Baden-Württemberg zum Beispiel bekommt 250.000 Euro
institutionell gebundene Mittel jährlich.
## Förderantrag abgelehnt
Wir existieren quasi nur, weil wir von Pro Asyl unterstützt werden, von der
UNO-Flüchtlingshilfe und durch Spenden. Mit diesem Geld haben wir seit 2008
Flüchtlingsprojekte aufgebaut. Wir haben versucht, mobile
Asylverfahren-Beratung zu machen, sind zu den Wohnheimen gefahren im
Landkreis und in den Städten, um den Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen. Haben Sprachkurse organisiert, auch berufsbezogene Sprachkurse. Als
der Bedarf nach solcher Hilfe dann immer größer wurde, haben wir 2015 an
die Landesregierung einen Antrag auf Fördermittel gestellt für diese
Projekte. Dieser Antrag wurde abgelehnt!
Dazu müssen Sie wissen, wir haben in Dresden für die soziale Betreuung
einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter auf hundert Leute. Das ist nicht
zu schaffen, schon gar nicht bei den vielfältigen Problemen. Dieser Geiz
geht auch auf Kosten der Flüchtlinge. Und deshalb versuchen wir, das eben
mit Ehrenamtlichen zu unterstützen, Begleitung auf Ämter oder zum Arzt und
vieles mehr zu machen. Wir haben sehr gute Leute, in jedem Alter, aus ganz
unterschiedlichen Verhältnissen, auch Linke, auch Christen.
Wenn Sie diese Ehrenamtlichen sehen würden, Sie wären begeistert! Da
bekommt man wieder Kraft, um 24 Stunden weiterzuarbeiten. Und was unser
Team betrifft, so versuchen wir, es so international und interkulturell wie
möglich aufzustellen. Wir haben auch mehrere Sprachen zur Verfügung; hier
an unserem Hauptsitz und in Chemnitz. Bald werden wir auch eine Zweigstelle
in Plauen aufbauen, damit wir auch dort Hilfe leisten können. Wir hoffen,
es gelingt.
## Warum so überrascht?
Was ich nicht verstehe, ist diese Überraschung, die hier herrscht. Man sei
nicht vorbereitet gewesen, heißt es immer. Aber es war ja längst bekannt,
das Problem. In Deutschland hat man lange gedacht, wir liegen geschützt,
wir sind sicher hier, die Millionen von Flüchtlingen stranden irgendwo
anders, weit weg, kommen nicht bei uns an. Aber jetzt, wo sie da sind, wo
sie kommen, erheben sich ein Geschrei und der Ruf nach Solidarität. Da gibt
es einen Rechtsruck und populistische Reden. Nur, es ist doch so: Da, wo
wir unglaubwürdig sind, wo wir die Menschenrechte und die Demokratie
verraten, geben wir ein sehr schlechtes Vorbild ab.
Das ist Propagandafutter in der Hand von Diktatoren und autoritären
Regimen! Die machen dort ihre demokratischen Bewegungen und vernünftigen
Kräfte nieder und sagen: Schaut mal genau hin, die Deutschen, die glauben
doch selbst nicht an das, was sie sagen, was sie sich in ihr Grundgesetz
geschrieben haben. Solange der Ostblock existiert hat, wurden das Asylrecht
und seine Inanspruchnahme sehr hoch gehalten und großzügig gehandhabt. Aber
nach dem Mauerfall, nach dem Ende der sozialistischen Länder ist das
Asylrecht nur noch eine ungeliebte Last. Und nun ist beides diskreditiert:
der Sozialismus und die Demokratie. Das ist gefährlich!
Solange irgendwo eine Moral existiert, ist die Gefahr nicht so groß, wenn
aber die Moral verdrängt wird, dann wird alles unberechenbar. Man sieht ja,
wie die Rechten zulegen – nicht nur bei uns, auch in den nordischen
Ländern, die ja früher immer ein Vorbild waren, was Integration und
Soziales anging. Das ist alles vorbei.
Sie möchten ein Resümee? Ich bin eigentlich ein geborener Optimist und will
nicht negativ in die Zukunft schauen. Also international gesehen könnte ein
positiver Weg so gestaltet werden, dass wir sehr großen Wert legen auf
Glaubwürdigkeit. Und wir müssen alles tun, um die Fluchtursachen zu
beseitigen. Nicht nur Europa, auch die USA. Dieser furchtbare Krieg muss
beendet werden, es muss Druck gemacht werden, auch auf Saudi-Arabien. Der
Krieg in Syrien ist nicht, wie man sagt, ein sunnitisch-schiitischer
Glaubenskrieg. Nein! Man wollte dort Maßnahmen ergreifen, um das
Einflussterritorium von Russland beziehungsweise dem Iran zu begrenzen.
## Gegen die Zeit
Und das Problem der Kurden muss schnell gelöst werden, aber diplomatisch,
nicht durch ein weiteres Blutbad. Der Türkei muss ganz deutlich gesagt
werden, wo die rote Linie ist. Wenn es eine ‚Wertegemeinschaft‘ geben
sollte, USA und Europa, dann müssen beide in positiver Weise an einem
Strang ziehen. Aber es wird jetzt sehr auf den Ausgang der Wahlen in
Amerika ankommen. Darauf, ob der Teil der Wirtschaft gewinnen wird, der nur
noch ölorientiert und rüstungsorientiert ist. Wenn die brutalen Vertreter
dieser Wirtschaft an die Macht kommen, dann ist Feierabend! Ich kann es
nicht anders sagen.
Und hier bei uns erhoffe ich mir, dass die Pegida-Bewegung kleiner wird,
Anhänger verliert, und natürlich auch, dass die AfD nicht noch stärker
wird. Allerdings, damit sieht es nicht gut aus. Auf jeden Fall aber müssen
wir eine umfassende Aufklärung in der Bevölkerung machen und die
Flüchtlinge, die jetzt noch reinkommen, gut unterbringen.
Das könnte man sehr gut organisieren. Hoffen wir, dass sich die
Landesregierung endlich an diesen Aufgaben beteiligt und auch die SPD so
etwas vorantreibt. Da gibt es ja einige Vernünftige. Ich weiß, wir arbeiten
gegen die Zeit, aber ich werde jedenfalls nicht aufgeben und weiterhin für
meine Ideale kämpfen.“
30 Mar 2016
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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Flüchtlinge
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