| # taz.de -- Antifaschismus in Sachsen: Mit viel Geduld die Pegida bekämpfen | |
| > Albrecht von der Lieth, Sprecher des Bündnisses „Nazifrei – Dresden | |
| > stellt sich quer“, erzählt vom Widerstand gegen die Rechten. | |
| Bild: „Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der Straße statt… | |
| Albrecht von der Lieth, Sprecher des „Bündnis Dresden Nazifrei“. Student d. | |
| Theologie, arbeitet seit einem Jahr im sozialen Bereich. Aufgewachsen u. | |
| Schulbesuch in Cottbus u. Dresden. Wollte eigentlich Gitarre studieren, | |
| dann aber Aufnahme eines geisteswissenschaftl. Studiums. | |
| Auslandsaufenthalte in Israel u. Graz. Danach Studium d. Theologie in | |
| Münster. Nach d. Abschluss Übersiedelung nach Dresden, dort Arbeit an | |
| seiner Dissertation u. politisches Engagement gegen rechte Aktivitäten. Er | |
| wurde 1979 in Berlin-Friedrichshain (DDR) geboren, sein Vater ist | |
| Bauingenieur, die Mutter Sozialpädagogin. | |
| Albrecht von der Lieth ist von erfreulicher Pünktlichkeit, hat die | |
| erbetenen schriftlichen Materialien mitgebracht und beginnt nach einem | |
| Schluck Tee ruhig und sortiert von seiner politischen Arbeit zu erzählen: | |
| „Anfangs habe ich mich jährlich am 13. 2. an den ‚Februar Blockaden‘ in | |
| Dresden zur Verhinderung der Naziaufmärsche beteiligt – anlässlich dieses | |
| Gedenkdatums gibt es ja immer Aufmärsche. Also ich ging da hin, aber | |
| sozusagen nicht konzentriert, eben immer wenn es passte. Das war relativ | |
| unverbindlich. In diesem Kontext der Blockaden ist dann im Oktober 2009 das | |
| Bündnis ‚Nazifrei – Dresden stellt sich quer‘ entstanden. Im Prinzip | |
| sozusagen als Angebot der Radikalen an die bürgerliche Gesellschaft. | |
| Letztlich als Versuch, mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis einen | |
| entsprechend großen und wirksamen Widerstand gegen rechts zu organisieren. | |
| 2010 gab es die erste Blockade. Meines Wissens war das zugleich die erste | |
| Blockade von Naziaufmärschen, also sozusagen eine Dresdner Errungenschaft, | |
| die sich etabliert hat inzwischen. Nein, ich war kein Gründungsmitglied. | |
| Ich habe aber im Laufe der Zeit mit einiger Entrüstung festgestellt, dass | |
| Leute auf einmal anfingen, noch mehr zu marschieren, und zwar auch | |
| außerhalb dieser jährlich wiederkehrenden Aufmärsche. | |
| Im Oktober 2014 erschien Pegida. Ich habe das erst gar nicht so richtig | |
| ernst genommen, dachte – wie so viele Leute –, das sind irgendwie harmlose | |
| Spinner. Dann wurde aber schnell klar, dass die gefährlich sind und man | |
| dagegen Widerstand leisten muss. Mir war das eigentlich gar nicht recht, | |
| denn ich musste sozusagen jede Woche mindestens einen Tag von meiner Diss | |
| opfern. | |
| ## Einen Dialog führen | |
| Die URA (undogmatische radikale Antifa, Anm. G.G.), die haben in den ersten | |
| vier Wochen damals den Protest gemacht gegen Pegida. Die haben von Anfang | |
| an die Gefahr erkannt. Und ein paar Wochen später hat Dresden Nazifrei | |
| beschlossen, wir müssen was tun und darauf hinweisen, dass hier was | |
| brodelt. Wir müssen einen Dialog führen, zwischen den antirassistischen, | |
| weltoffenen Akteuren und Akteurinnen in der Stadt, die bereit sind, auch | |
| gegen Pegida und für die geflüchteten Menschen aktiv zu werden. | |
| Ich bin dann fast zufällig bei einem Montagsprotest gewesen, den Dresden | |
| Nazifrei organisiert hatte. Und irgendwie ist mitten während der Demo die | |
| ganze Kommunikationsstruktur zusammengebrochen. Keine Ahnung, was da | |
| schieflief. Mit einem Mal rannten Gruppen von Menschen konfus | |
| durcheinander. Ich schrieb danach eine Mail an Dresden Nazifrei und habe | |
| meine Hilfe angeboten: Falls ihr jemanden braucht, der Twitter bedient oder | |
| so, dann mache ich das. Meldet euch. | |
| Tatsächlich kam bald die Antwort: Ich soll doch einfach mal hinkommen. Und | |
| so fing das an, dass ich da reingerutscht bin. Jedenfalls habe ich mich | |
| dann im Bündnis engagiert, u. a. in der Pressearbeit, habe auch | |
| mitgeschrieben, und weil ich im Prinzip relativ viel Zeit zur Verfügung | |
| stellen konnte, habe ich mich um Dinge gekümmert, die sonst liegen | |
| geblieben wären. Und später war es dann so, dass der bisherige Sprecher | |
| ausgeschieden ist und ich seine Stelle übernommen habe. | |
| Am Anschwellen der Pegida-Teilnehmerzahlen zeigte sich früh, dass das nicht | |
| so bald im Sande verlaufen wird. Am Anfang waren es wenige Hundert, aber es | |
| ging fix in die Tausenderzahlen. So um die Jahreswende 2014/15 waren es | |
| regelmäßig 10.000 und mehr. Ich glaube, die höchsten Zahlen waren so um | |
| 25.000. Neonazis waren von Anfang an mit dabei, aber damals fielen sie | |
| wegen der vielen Teilnehmer optisch nicht so auf. Das wurde auch relativ | |
| offen kommuniziert, dass sie Skins als Ordner benutzen wollen, als Schutz | |
| gegen die, wie sie sagten, ‚gewaltbereite Antifa‘. | |
| Die Zahlen sind allerdings von der Polizei und waren relativ unzuverlässig. | |
| Das hat die Gruppe ‚Durchgezählt‘ gezeigt – eine wissenschaftliche | |
| studentische Forschungsgruppe der Uni Dresden, die seit März 2015 Zählungen | |
| macht und zu anderen, wesentlich niedrigeren Ergebnissen kam. Daraufhin war | |
| die Polizei beleidigt und hat gesagt, sie zählt nicht mehr. | |
| ## Männer um die 50 aus der Mittelschicht | |
| Aber ich denke, ob es jetzt 20.000 sind oder 25.000, ist eigentlich nicht | |
| der Punkt. Es gab diese Überlegung: Für jeden Demonstranten sitzen 10 | |
| Gesinnungsgenossen zu Hause. Und wenn man das bedenkt, dann sind ja 10.000 | |
| schon ein riesiges Problem, selbst 3.000 sind mehr als genug! Inzwischen | |
| hat es sich eingependelt auf zwei- bis dreitausend Teilnehmer. Im | |
| Frühsommer werden es erfahrungsgemäß weniger, wir vermuten, es liegt daran, | |
| dass mancher um diese Zeit lieber im Garten ist, zum Grillen oder so. | |
| Voriges Jahr wurden es im Herbst dann wieder mehr. | |
| Es hat sich auch, was die Teilnehmer betrifft, etwas umgeschichtet. Am | |
| Anfang gab’s noch sozusagen den Opa, der gegen die GEZ, die | |
| Gebühren-Einzugszentrale, und ihre Zwangsgebühren protestiert hat. Aber | |
| viele von diesen zu Recht frustrierten Menschen sind im Laufe der Zeit | |
| weggeblieben, weil ihnen das zu sehr in eine unliebsame Richtung ging. | |
| Altersmäßig sind es jetzt weitgehend Männer so um die 50, durchaus in | |
| Arbeit, sozusagen Mittelklasse, mit Eigenheim und Auto vor der Haustür. | |
| Relativ wenige Frauen sind zu sehen. | |
| Also übrig geblieben ist sozusagen der harte Kern, letztlich Leute, die | |
| kein Problem damit haben, dass irgendwelche Redner jeden Montagabend ihre | |
| rassistische Hetze und ihr Nationalitäts- und völkisches | |
| Ideologiegeschwurbel ins Mikro, in ihre Ohren brüllen. Das ist eine endlose | |
| Leier, da kommt nichts Neues mehr. | |
| ## Jeden Montag sind sie wieder da | |
| Es gibt so eine Art Abstumpfungsprozess. Auf allen Seiten. Aber das ändert | |
| nichts, jeden Montag sind sie wieder da. Voriges Jahr haben wir uns gesagt, | |
| es hat ja keinen Sinn, dieses Ritual jede Woche zu vollziehen, wir haben | |
| alles gesagt dazu, alles getan dagegen. Die, die da jetzt noch jeden Montag | |
| in der Stadt rumrennen, sind für kein Argument mehr erreichbar. Deshalb war | |
| der strategische Sinn eines wöchentlichen Protests, der beim politischen | |
| Gegner absolut nichts ausrichtet, für uns nicht mehr zu erkennen. Jetzt | |
| noch mehr Protest zu machen unsererseits, hätte ihnen nur noch mehr | |
| Aufmerksamkeit gegeben. | |
| Und da haben wir uns entschlossen, wir stellen vorerst mal den | |
| Montagsprotest ein und widmen uns den Flüchtlingsheimen. In dieser Zeit | |
| nahm die Zahl der Übergriffe auf die Heime ständig zu. Naziaufmärsche zu | |
| blockieren, das war zwar unser Markenzeichen sozusagen, unser | |
| Aktionskonsens, es war das, was wir können, wofür wir eine Infrastruktur | |
| haben, aber das hat leider nicht gefruchtet. Also mussten wir uns Gedanken | |
| machen. Totschweigen war auch keine Option, denn das Problem existiert ja | |
| weiterhin. Also, was tun? Und wir sagten uns, wir brauchen Hilfe von außen, | |
| müssen irgendwie auf neue Formen des Widerstands kommen, und so entstand | |
| die Idee einer Strategiekonferenz. | |
| ## Neue Vernetzungen | |
| Die Strategiekonferenz war im Januar 2016 im Hörsaalzentrum der TU. Wir | |
| hatten als Teilnehmer ganz unterschiedliche Gruppen und Personen | |
| eingeladen. Also eben nicht sozusagen die Antifa-Gruppe aus Dortmund oder | |
| so, sondern lokale Bündnisse vor Ort. Natürlich niemanden von Pegida und | |
| dergleichen, wir sprechen nicht mit Rassisten! Aber sonst luden wir ein, | |
| was es so an gesellschaftlichen Initiativen gibt in Dresden, auch | |
| kirchliche Verbände, Sportvereine und sogar Wirtschaftsverbände – weil ja | |
| immer gesagt wird, Pegida wirkt sich negativ auf die Hotelübernachtungen | |
| aus. Die kamen natürlich nicht! Auch kaum Rückmeldungen von den | |
| Kirchengemeinden. | |
| Die Sportvereine haben ihr Couscous-Essen gemacht. Und die Wirtschaft | |
| gründete das so genannte City Management, eine findige Initiative von | |
| Geschäftsleuten, um die Shopping-Flaute in der Innenstadt zu bekämpfen. | |
| Unter dem Slogan ‚Dresden geht aus‘ soll nicht etwa demonstriert werden, | |
| nein, die Dresdner sollen künftig jeden Montag von 17 bis 20 Uhr mit | |
| speziellen Events, freiem Streichquartett und Rabattaktionen usw. dazu | |
| verlockt werden, zum Shoppen anzumarschieren, um den zwanzigprozentigen | |
| Umsatzverlust wieder auszugleichen. | |
| Und ansonsten, die Bündnisse – besonders die Willkommensbündnisse, waren | |
| natürlich auf dem Kongress. Es bildeten sich viele Workshops, es ergaben | |
| sich spannende Diskussionen, neue Vernetzungen. Also alles in allem war der | |
| Kongress sehr erfolgreich. Aber es zeigte sich für mich, dass es relativ | |
| viele Menschen gibt, die bereit sind, sich für etwas zu engagieren, aber | |
| die Bereitschaft zu einem Engagement gegen etwas, die ist wesentlich | |
| geringer. | |
| Das Problem ist eben, dass man beim Versuch einer stadtweiten Vernetzung | |
| natürlich immer auch mit Gruppen zusammen arbeiten muss, die nun nicht | |
| gleich das System stürzen wollen. Es gibt sehr viele, auch ganz | |
| konservative Gruppen und Einzelpersonen, die eine andere Vision von | |
| Gesellschaft haben als wir, die sich aber energisch für die Geflüchteten | |
| einsetzen. Die kommen dann plötzlich selbst unter Generalverdacht, werden | |
| als linke Chaoten tituliert, und das ist für die ein großes inneres | |
| Problem. Sie wollen einfach nur anderen Menschen in Not helfen. Und das ist | |
| vollkommen in Ordnung. Für uns greift das aber zu kurz, auch in Bezug auf | |
| das Problem Pegida. | |
| ## Analyse von Pegida | |
| Die Strategiekonferenz hat – grob zusammengefasst – für uns am Ende | |
| Folgendes ergeben: Es stand ja das jährliche Gedenken zum 13. 2. bevor, in | |
| diesem Zusammenhang wurde unser Erfolgskonzept, der ‚Mahngang Täterspuren‘, | |
| sozusagen wissenschaftlich erweitert. Zusammen mit einem Dozenten der | |
| Evangelischen Hochschule für Soziales wird ein Konzept erarbeitet für ein | |
| Studium-Generale-Angebot, das die Studenten mit dem Thema ‚Mahngang | |
| Täterspuren‘ vertraut macht. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie | |
| Vernetzung zu ersten konkreten Ergebnissen führen kann. | |
| Und was unsere zukünftige Arbeit betrifft, so kristallisierte sich kurz | |
| Folgendes heraus: Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der | |
| Straße stattfinden. Zwar bleibt unser Anspruch auf jeden Fall weiterhin, | |
| Naziaufmärsche zu blockieren. Woran es aber bisher fehlte, ist eine genaue | |
| inhaltliche Analyse von Pegida und der Tatsache, dass sie ausgerechnet in | |
| Dresden derart groß werden konnte. Daran müssen wir arbeiten. Sehr wichtig | |
| auch, wir müssen Bildungsarbeit machen. | |
| Generell muss sich das Bündnis durch breitere Vernetzung in der Stadt | |
| ausweiten und seine Kommunikation und seine Strukturen besser organisieren. | |
| Auch soll eine Demo-Beobachtungsgruppe eingerichtet werden, eine Gruppe von | |
| Leuten, die dafür sorgt, dass auch Polizeiverhalten konsequent und objektiv | |
| dokumentiert wird. Und nicht zuletzt soll der Schutz von Flüchtlingsheimen | |
| gegen jegliche Art von rechten Übergriffen verstärkt werden. | |
| ## Wasserfeste gelbe Aufkleber | |
| Damit hatten wir ja schon Erfahrungen gesammelt. Freital war der erste | |
| große Eklat, das war Mitte/Ende Juni 2015. Dort wurde im Prinzip von jetzt | |
| auf nun, mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen, in vollkommen | |
| chaotischer Art und Weise eine Erstaufnahmeeinrichtung für 350 Flüchtlinge | |
| etabliert. Man nutzte dafür das seit Kurzem leerstehende Hotel Leonardo am | |
| langen Rain, auf einem Hügel über der Stadt. Dagegen erhob sich dann in | |
| Freital massiver Protest. Typisch, die wasserfesten gelben Aufkleber die | |
| man überall, auch am Bahnhof platziert hat, sie tragen folgenden Text: | |
| ‚BITTE FLÜCHTEN SIE WEITER! ES GIBT HIER NICHTS ZU WOHNEN! REFUGEES NOT | |
| WELCOME!‘ | |
| Das ist nur eine der zahlreichen fremdenfeindlichen Aktivitäten ‚besorgter | |
| Bürger‘. Freital ist eine recht große Kreisstadt, mit knapp 40.000 | |
| Einwohnern, südwestlich von Dresden, 10 S-Bahn-Minuten entfernt. Es gibt | |
| dort mehrere größere Arbeitgeber, z. B. Stahlindustrie, ein Ziegelwerk usw. | |
| Freital trägt seinen Namen übrigens nicht zu Unrecht, es war mal Anfang des | |
| 20. Jahrhunderts, zu Beginn der Weimarer Republik, sozusagen eine | |
| Sozialistenhochburg. Man führte zahlreiche soziale Errungenschaften ein, | |
| besonders in der Gesundheitspolitik, im Schulsystem, im Bau von | |
| vorbildlichen Arbeitersiedlungen. | |
| Die Stadt bekam deshalb den Spitznamen ‚Rotes Wien in Sachsen‘. Das ist | |
| dann im Nationalsozialismus – und auch in der SED-Zeit – vollkommen | |
| erodiert. Aber es gab auch nach 1933 in Freital noch sehr aktive | |
| Widerstandsgruppen gegen das Naziregime. Also die Stadt hat eine ganz | |
| andere Herkunft, als man heute vermuten möchte. | |
| ## Hilfe für Freital | |
| Heute herrscht dort eine erzkonservatives, ein schwarzbraunes Klima, von | |
| einigen Aufrechten mal abgesehen. Es ist ja viel berichtet worden in den | |
| Medien über die Vorfälle in Freital. Ich will mal versuchen, meine | |
| persönlichen Eindrücke zu schildern. Ich sah dort vor allem eins: eine | |
| grölende Menschenmenge, die ihrem Hass freien Lauf ließ. In Freital gibt es | |
| einen Pegida-Ableger, die nennt sich ‚Frigida‘. Es gibt Videoaufzeichnungen | |
| im Netz mit Interviews, da werden ‚besorgte Bürger‘ z. B. gefragt, ob sie | |
| nicht vielleicht mehr Angst haben müssten vor denen, die da grölen, Steine | |
| und Böller schmeißen, als vor den Flüchtlingen. Antwort: ‚Die schmeißen ja | |
| nicht auf Deutsche!‘ Also, das ist schon schlimm, wenn die Leute gar nicht | |
| mehr merken, was sie da sagen. | |
| Es gibt allerdings, wie gesagt, auch die anderen. Zum Beispiel das | |
| ‚Willkommensbündnis Freital‘, bestehend aus etwa 5 Menschen. Die sind an | |
| uns herangetreten und sagten: Wir schaffen’s alleine nicht, bei uns gibt es | |
| kein Potenzial für eine Gegendemo, keine Gruppe, die sich vor das | |
| Flüchtlingsheim stellen würde. Wir brauchen eure Hilfe! Die haben wir | |
| natürlich zugesagt und angefangen, im Prinzip täglich zu mobilisieren nach | |
| Freital. Immer am Nachmittag um vier sind wir hin gefahren und standen dann | |
| dort vor dem Gebäude bis, na, sagen wir mal, bis abends um 10. So etwa zwei | |
| Wochen lang. | |
| Das Hotel Leonardo liegt etwa 1 Kilometer vom Bahnhof entfernt, und da geht | |
| man dann eben als Gruppe im Außenbereich am Hang entlang, den ‚langen Rain‘ | |
| hoch. Man bewegt sich besser nicht durch den Ort. Bei der Ankunft vor der | |
| Unterkunft wird man dann sozusagen umgehend von der Polizei empfangen und | |
| einsortiert. ‚Protestbürger‘ waren auch schon da um diese Zeit, einige aus | |
| den umliegenden Wohnanlagen. Also, wir standen zwischen den ‚besorgten | |
| Bürgern‘ und dem Eingang des Heims. Mit der Zeit, so nach Betriebsschluss, | |
| wurden es mehr. Die Sprechchöre wurden lauter und richteten sich auch gegen | |
| uns. | |
| Es gibt dort so ein kugeliges rechtes Mädel, mit zur Hälfte geschorenem | |
| Kopf und Ordnerbinde, die hat ziemlich schrille Vorgaben gemacht und die | |
| Menge hat brav wiederholt. Was da so skandiert wurde, war vollkommen | |
| abstrus, z. B.: ‚Volksverräter‘; ‚Ami go home‘ – ich muss mal überl… | |
| ja, ‚Antifa, ha, ha, ha …‘; ‚Lügenpresse‘; ‚Raus aus der Nato‘; … | |
| muss weg‘. Sie trugen die üblichen seltsamen Fahnen und ein Spruchband mit | |
| der Aufschrift: ‚Kein Ort zum Flüchten!‘ Aber wir haben das einfach | |
| ignoriert und uns lieber den Geflüchteten zugewandt. | |
| Diese kleine Freitaler Unterstützergruppe hatte schon ein gutes Verhältnis | |
| hergestellt zu einigen Familien, sodass die rauskamen uns auch vertraut | |
| haben. Sie haben schon gesehen, dass wir die ‚Guten‘ sind.“ Er lacht leis… | |
| streicht sich über die Glatze und fährt fort: „Bei uns gibt es übrigens | |
| signifikant mehr Frauen und junge Leute, die sehr kommunikationsfreudig | |
| sind. Wir hatten immer Spiele dabei, Federball, Frisbee, und haben mit | |
| Geflüchteten nicht nur gesprochen, sondern auch gespielt, das entspannte | |
| die Situation total. Da sind ja auch viele Kinder dabei. Mit ihnen kann man | |
| mit Malkreiden auf der Straße Hüpfspiele machen, das geht alles und macht | |
| allen viel Vergnügen. Ja gut, das war halt so Freital. Es war das erste | |
| Mal, dass sich diese böse Fratze sozusagen überregional so unverhüllt | |
| gezeigt hat. | |
| ## Scharmützel mit Nazis | |
| Danach gab es etwas, das in den Medien kaum Wellen geschlagen hat, das war | |
| im Juli 2015 in Dresden. Auch dort wurde Hals über Kopf auf einer | |
| Industriebrache ein Zeltlager für 1.000 Flüchtlinge vom THW und Roten Kreuz | |
| errichtet. Die NPD hatte zu einer Demo aufgerufen. Wir waren natürlich auch | |
| dort, und da gab es dann wirklich Scharmützel. Sogar Rotkreuzhelfer wurden | |
| tätlich angegriffen. Viel zu wenig Polizei war im Einsatz, die hatten nicht | |
| mal Helme dabei, standen da einfach nur rum, vollkommen unorganisiert. | |
| Und dann kam schon bald Heidenau, erste Augustwoche 2015. Heidenau ist eine | |
| kleine Stadt mit etwa 16.000 Einwohnern, südöstlich von Dresden, zwanzig | |
| S-Bahn-Minuten entfernt. Dort war ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung | |
| eingerichtet worden, direkt an der Hauptstraße liegend im Gewerbegebiet, in | |
| einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt. Und dort kam es durch die Rechten zu | |
| Blockadeversuchen von Bussen mit ankommenden Geflüchteten. Es gab in der | |
| ersten Nacht massive Ausschreitungen, das war wirklich wie ein | |
| Kriegsschauplatz, überall Rauchschwaden, die Nazis haben permanent diese | |
| hier bei uns verbotenen, sehr lauten Böller gezündet, mit Bierflaschen und | |
| Steinen geworfen. Sie hatten schon ordentlich Promille intus, man sah so | |
| gut wie keinen, der nicht eine Bierflasche in der Hand gehabt hätte. | |
| Die Polizei schoss Tränengas ab. Die Rechten haben auch die Polizei | |
| angegriffen – worüber die sehr erstaunt war, denn normalerweise sind die | |
| Nazis ja sehr autoritätshörig. Am Ende gab es 30 verletzte Polizisten. Wenn | |
| die Polizei tatsächlich mal ihren Job macht, sozusagen Recht und Gesetz | |
| durchsetzt, um die Flüchtlinge zu schützen, dann sind sie natürlich nicht | |
| mehr die Guten, sondern nur noch die Feinde. Wir waren dort auf dem | |
| Parkplatz etwa 200 Leute, die Gegenseite wahrscheinlich doppelt so viele. | |
| Und wir hatten uns eigentlich verstanden sozusagen als moralischer Support. | |
| Die Scharmützel zogen sich über mehrere Nächte hin. Wir haben versucht, den | |
| Zugang zur Unterkunft gegen die Nazis zu blockieren, und fanden das total | |
| krank, gegen traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge, Familien und ihre | |
| Kinder, mit Böllern vorzugehen. Die haben ja Angst, dass sie jetzt | |
| vielleicht doch noch umgebracht werden. | |
| Als Reaktion auf diesen Praktiker-Angriff haben wir, das ‚Bündnis | |
| Nazifrei‘, dann eine Woche später – zusammen mit der ‚Interventionistisc… | |
| Linken Berlin‘ – ein Willkommensfest für die Bewohner des Baumarktes auf | |
| die Beine gestellt. Zwei Tage zuvor war übrigens Kanzlerin Merkel in | |
| Heidenau und hat zum ersten Mal eine Erstaufnahmeeinrichtung für | |
| Geflüchtete besucht. Sie wurde mit Hupkonzerten und dem Ruf: | |
| ‚Volksverräter, Volksverräter!‘ begrüßt von den ‚besorgten Bürgern�… | |
| Tage später kamen dann wir, und bei uns geht es ja nicht um die | |
| Imagepflege, wir wollten wirklich etwas tun für die Familien und Kinder, | |
| mit Hüpfburg, Grill, Musik, Limonade, Kuchen und vielen Spielen. Es gab | |
| auch einen Neuntonner voller Spenden aus Berlin. Und auf diese Weise haben | |
| wir den Diskurs wieder so ein bisschen ins Lot gebracht und medial | |
| aufgefangen. | |
| ## Fest in Heidenau | |
| Es gab natürlich rechtliche Probleme, einen Konflikt mit dem | |
| Innenministerium, das unser Willkommensfest eigentlich verbieten lassen | |
| wollte, weil die Nazis gedroht hatten es zu sabotieren. Sicherheitsfragen, | |
| polizeilicher Notstand, das waren so die Begründungen. Die wurden dann aber | |
| vor Gericht abgeschmettert und das Fest konnte tatsächlich stattfinden. | |
| Aber nicht nur die Antifa war da, es kamen an diesem Tag auch anders | |
| denkende Heidenauer Bürger. Einige sagten: Schön, dass es euch gibt, ich | |
| denke genau so wie ihr! Cem Özdemir ist aus Berlin gekommen. | |
| Es kam auch ein vollkommen ungebetener Gast, der sächsische Innenminister, | |
| der eben noch das Fest hatte verbieten lassen wollen. Er wurde aber, | |
| zusammen mit seinen Bodygards, ganz schnell vom Hof gescheucht mit | |
| resoluten Sprechchören, Buhrufen und Pfiffen. Er hatte nicht mal | |
| Gelegenheit, die Fotos für die Imagepflege machen zu lassen. Er sah sehr | |
| verlegen aus. Angesichts dieser peinlichen Situation ist er geradezu | |
| geflüchtet zu seiner Dienstlimousine. Und weg war er. Auf | |
| Nimmerwiedersehen, hoffentlich! | |
| Ansonsten verlief das Fest vollkommen ungestört. Es waren so etwa 300 bis | |
| 400 Menschen da, überall Geflüchtete, die haben auf der großen Wiese Ball | |
| und Frisbee gespielt, miteinander getanzt, gegessen und waren fröhlich und | |
| entspannt. Besonders die Kinder, die in der Hüpfburg herumsprangen und mit | |
| den gespendeten Spielsachen spielten. | |
| Das waren Freital und Heidenau, die beiden wichtigsten Auslöser dafür, dass | |
| Pegida wieder mehr Zulauf bekam. Und in diesem Kontext haben wir uns dann | |
| auch gesagt, jetzt müssen wir nachdenken und uns etwas einfallen lassen. | |
| Und wir müssen uns auf viel Geduld einrichten. Es ist einfach so, dass es | |
| langer, langer Arbeit bedarf, um so einen generellen Rechtsruck in der | |
| Gesellschaft irgendwie wieder aufzufangen.“ | |
| 3 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Goettle | |
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