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# taz.de -- Antifaschismus in Sachsen: Mit viel Geduld die Pegida bekämpfen
> Albrecht von der Lieth, Sprecher des Bündnisses „Nazifrei – Dresden
> stellt sich quer“, erzählt vom Widerstand gegen die Rechten.
Bild: „Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der Straße statt…
Albrecht von der Lieth, Sprecher des „Bündnis Dresden Nazifrei“. Student d.
Theologie, arbeitet seit einem Jahr im sozialen Bereich. Aufgewachsen u.
Schulbesuch in Cottbus u. Dresden. Wollte eigentlich Gitarre studieren,
dann aber Aufnahme eines geisteswissenschaftl. Studiums.
Auslandsaufenthalte in Israel u. Graz. Danach Studium d. Theologie in
Münster. Nach d. Abschluss Übersiedelung nach Dresden, dort Arbeit an
seiner Dissertation u. politisches Engagement gegen rechte Aktivitäten. Er
wurde 1979 in Berlin-Friedrichshain (DDR) geboren, sein Vater ist
Bauingenieur, die Mutter Sozialpädagogin.
Albrecht von der Lieth ist von erfreulicher Pünktlichkeit, hat die
erbetenen schriftlichen Materialien mitgebracht und beginnt nach einem
Schluck Tee ruhig und sortiert von seiner politischen Arbeit zu erzählen:
„Anfangs habe ich mich jährlich am 13. 2. an den ‚Februar Blockaden‘ in
Dresden zur Verhinderung der Naziaufmärsche beteiligt – anlässlich dieses
Gedenkdatums gibt es ja immer Aufmärsche. Also ich ging da hin, aber
sozusagen nicht konzentriert, eben immer wenn es passte. Das war relativ
unverbindlich. In diesem Kontext der Blockaden ist dann im Oktober 2009 das
Bündnis ‚Nazifrei – Dresden stellt sich quer‘ entstanden. Im Prinzip
sozusagen als Angebot der Radikalen an die bürgerliche Gesellschaft.
Letztlich als Versuch, mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis einen
entsprechend großen und wirksamen Widerstand gegen rechts zu organisieren.
2010 gab es die erste Blockade. Meines Wissens war das zugleich die erste
Blockade von Naziaufmärschen, also sozusagen eine Dresdner Errungenschaft,
die sich etabliert hat inzwischen. Nein, ich war kein Gründungsmitglied.
Ich habe aber im Laufe der Zeit mit einiger Entrüstung festgestellt, dass
Leute auf einmal anfingen, noch mehr zu marschieren, und zwar auch
außerhalb dieser jährlich wiederkehrenden Aufmärsche.
Im Oktober 2014 erschien Pegida. Ich habe das erst gar nicht so richtig
ernst genommen, dachte – wie so viele Leute –, das sind irgendwie harmlose
Spinner. Dann wurde aber schnell klar, dass die gefährlich sind und man
dagegen Widerstand leisten muss. Mir war das eigentlich gar nicht recht,
denn ich musste sozusagen jede Woche mindestens einen Tag von meiner Diss
opfern.
## Einen Dialog führen
Die URA (undogmatische radikale Antifa, Anm. G.G.), die haben in den ersten
vier Wochen damals den Protest gemacht gegen Pegida. Die haben von Anfang
an die Gefahr erkannt. Und ein paar Wochen später hat Dresden Nazifrei
beschlossen, wir müssen was tun und darauf hinweisen, dass hier was
brodelt. Wir müssen einen Dialog führen, zwischen den antirassistischen,
weltoffenen Akteuren und Akteurinnen in der Stadt, die bereit sind, auch
gegen Pegida und für die geflüchteten Menschen aktiv zu werden.
Ich bin dann fast zufällig bei einem Montagsprotest gewesen, den Dresden
Nazifrei organisiert hatte. Und irgendwie ist mitten während der Demo die
ganze Kommunikationsstruktur zusammengebrochen. Keine Ahnung, was da
schieflief. Mit einem Mal rannten Gruppen von Menschen konfus
durcheinander. Ich schrieb danach eine Mail an Dresden Nazifrei und habe
meine Hilfe angeboten: Falls ihr jemanden braucht, der Twitter bedient oder
so, dann mache ich das. Meldet euch.
Tatsächlich kam bald die Antwort: Ich soll doch einfach mal hinkommen. Und
so fing das an, dass ich da reingerutscht bin. Jedenfalls habe ich mich
dann im Bündnis engagiert, u. a. in der Pressearbeit, habe auch
mitgeschrieben, und weil ich im Prinzip relativ viel Zeit zur Verfügung
stellen konnte, habe ich mich um Dinge gekümmert, die sonst liegen
geblieben wären. Und später war es dann so, dass der bisherige Sprecher
ausgeschieden ist und ich seine Stelle übernommen habe.
Am Anschwellen der Pegida-Teilnehmerzahlen zeigte sich früh, dass das nicht
so bald im Sande verlaufen wird. Am Anfang waren es wenige Hundert, aber es
ging fix in die Tausenderzahlen. So um die Jahreswende 2014/15 waren es
regelmäßig 10.000 und mehr. Ich glaube, die höchsten Zahlen waren so um
25.000. Neonazis waren von Anfang an mit dabei, aber damals fielen sie
wegen der vielen Teilnehmer optisch nicht so auf. Das wurde auch relativ
offen kommuniziert, dass sie Skins als Ordner benutzen wollen, als Schutz
gegen die, wie sie sagten, ‚gewaltbereite Antifa‘.
Die Zahlen sind allerdings von der Polizei und waren relativ unzuverlässig.
Das hat die Gruppe ‚Durchgezählt‘ gezeigt – eine wissenschaftliche
studentische Forschungsgruppe der Uni Dresden, die seit März 2015 Zählungen
macht und zu anderen, wesentlich niedrigeren Ergebnissen kam. Daraufhin war
die Polizei beleidigt und hat gesagt, sie zählt nicht mehr.
## Männer um die 50 aus der Mittelschicht
Aber ich denke, ob es jetzt 20.000 sind oder 25.000, ist eigentlich nicht
der Punkt. Es gab diese Überlegung: Für jeden Demonstranten sitzen 10
Gesinnungsgenossen zu Hause. Und wenn man das bedenkt, dann sind ja 10.000
schon ein riesiges Problem, selbst 3.000 sind mehr als genug! Inzwischen
hat es sich eingependelt auf zwei- bis dreitausend Teilnehmer. Im
Frühsommer werden es erfahrungsgemäß weniger, wir vermuten, es liegt daran,
dass mancher um diese Zeit lieber im Garten ist, zum Grillen oder so.
Voriges Jahr wurden es im Herbst dann wieder mehr.
Es hat sich auch, was die Teilnehmer betrifft, etwas umgeschichtet. Am
Anfang gab’s noch sozusagen den Opa, der gegen die GEZ, die
Gebühren-Einzugszentrale, und ihre Zwangsgebühren protestiert hat. Aber
viele von diesen zu Recht frustrierten Menschen sind im Laufe der Zeit
weggeblieben, weil ihnen das zu sehr in eine unliebsame Richtung ging.
Altersmäßig sind es jetzt weitgehend Männer so um die 50, durchaus in
Arbeit, sozusagen Mittelklasse, mit Eigenheim und Auto vor der Haustür.
Relativ wenige Frauen sind zu sehen.
Also übrig geblieben ist sozusagen der harte Kern, letztlich Leute, die
kein Problem damit haben, dass irgendwelche Redner jeden Montagabend ihre
rassistische Hetze und ihr Nationalitäts- und völkisches
Ideologiegeschwurbel ins Mikro, in ihre Ohren brüllen. Das ist eine endlose
Leier, da kommt nichts Neues mehr.
## Jeden Montag sind sie wieder da
Es gibt so eine Art Abstumpfungsprozess. Auf allen Seiten. Aber das ändert
nichts, jeden Montag sind sie wieder da. Voriges Jahr haben wir uns gesagt,
es hat ja keinen Sinn, dieses Ritual jede Woche zu vollziehen, wir haben
alles gesagt dazu, alles getan dagegen. Die, die da jetzt noch jeden Montag
in der Stadt rumrennen, sind für kein Argument mehr erreichbar. Deshalb war
der strategische Sinn eines wöchentlichen Protests, der beim politischen
Gegner absolut nichts ausrichtet, für uns nicht mehr zu erkennen. Jetzt
noch mehr Protest zu machen unsererseits, hätte ihnen nur noch mehr
Aufmerksamkeit gegeben.
Und da haben wir uns entschlossen, wir stellen vorerst mal den
Montagsprotest ein und widmen uns den Flüchtlingsheimen. In dieser Zeit
nahm die Zahl der Übergriffe auf die Heime ständig zu. Naziaufmärsche zu
blockieren, das war zwar unser Markenzeichen sozusagen, unser
Aktionskonsens, es war das, was wir können, wofür wir eine Infrastruktur
haben, aber das hat leider nicht gefruchtet. Also mussten wir uns Gedanken
machen. Totschweigen war auch keine Option, denn das Problem existiert ja
weiterhin. Also, was tun? Und wir sagten uns, wir brauchen Hilfe von außen,
müssen irgendwie auf neue Formen des Widerstands kommen, und so entstand
die Idee einer Strategiekonferenz.
## Neue Vernetzungen
Die Strategiekonferenz war im Januar 2016 im Hörsaalzentrum der TU. Wir
hatten als Teilnehmer ganz unterschiedliche Gruppen und Personen
eingeladen. Also eben nicht sozusagen die Antifa-Gruppe aus Dortmund oder
so, sondern lokale Bündnisse vor Ort. Natürlich niemanden von Pegida und
dergleichen, wir sprechen nicht mit Rassisten! Aber sonst luden wir ein,
was es so an gesellschaftlichen Initiativen gibt in Dresden, auch
kirchliche Verbände, Sportvereine und sogar Wirtschaftsverbände – weil ja
immer gesagt wird, Pegida wirkt sich negativ auf die Hotelübernachtungen
aus. Die kamen natürlich nicht! Auch kaum Rückmeldungen von den
Kirchengemeinden.
Die Sportvereine haben ihr Couscous-Essen gemacht. Und die Wirtschaft
gründete das so genannte City Management, eine findige Initiative von
Geschäftsleuten, um die Shopping-Flaute in der Innenstadt zu bekämpfen.
Unter dem Slogan ‚Dresden geht aus‘ soll nicht etwa demonstriert werden,
nein, die Dresdner sollen künftig jeden Montag von 17 bis 20 Uhr mit
speziellen Events, freiem Streichquartett und Rabattaktionen usw. dazu
verlockt werden, zum Shoppen anzumarschieren, um den zwanzigprozentigen
Umsatzverlust wieder auszugleichen.
Und ansonsten, die Bündnisse – besonders die Willkommensbündnisse, waren
natürlich auf dem Kongress. Es bildeten sich viele Workshops, es ergaben
sich spannende Diskussionen, neue Vernetzungen. Also alles in allem war der
Kongress sehr erfolgreich. Aber es zeigte sich für mich, dass es relativ
viele Menschen gibt, die bereit sind, sich für etwas zu engagieren, aber
die Bereitschaft zu einem Engagement gegen etwas, die ist wesentlich
geringer.
Das Problem ist eben, dass man beim Versuch einer stadtweiten Vernetzung
natürlich immer auch mit Gruppen zusammen arbeiten muss, die nun nicht
gleich das System stürzen wollen. Es gibt sehr viele, auch ganz
konservative Gruppen und Einzelpersonen, die eine andere Vision von
Gesellschaft haben als wir, die sich aber energisch für die Geflüchteten
einsetzen. Die kommen dann plötzlich selbst unter Generalverdacht, werden
als linke Chaoten tituliert, und das ist für die ein großes inneres
Problem. Sie wollen einfach nur anderen Menschen in Not helfen. Und das ist
vollkommen in Ordnung. Für uns greift das aber zu kurz, auch in Bezug auf
das Problem Pegida.
## Analyse von Pegida
Die Strategiekonferenz hat – grob zusammengefasst – für uns am Ende
Folgendes ergeben: Es stand ja das jährliche Gedenken zum 13. 2. bevor, in
diesem Zusammenhang wurde unser Erfolgskonzept, der ‚Mahngang Täterspuren‘,
sozusagen wissenschaftlich erweitert. Zusammen mit einem Dozenten der
Evangelischen Hochschule für Soziales wird ein Konzept erarbeitet für ein
Studium-Generale-Angebot, das die Studenten mit dem Thema ‚Mahngang
Täterspuren‘ vertraut macht. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie
Vernetzung zu ersten konkreten Ergebnissen führen kann.
Und was unsere zukünftige Arbeit betrifft, so kristallisierte sich kurz
Folgendes heraus: Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der
Straße stattfinden. Zwar bleibt unser Anspruch auf jeden Fall weiterhin,
Naziaufmärsche zu blockieren. Woran es aber bisher fehlte, ist eine genaue
inhaltliche Analyse von Pegida und der Tatsache, dass sie ausgerechnet in
Dresden derart groß werden konnte. Daran müssen wir arbeiten. Sehr wichtig
auch, wir müssen Bildungsarbeit machen.
Generell muss sich das Bündnis durch breitere Vernetzung in der Stadt
ausweiten und seine Kommunikation und seine Strukturen besser organisieren.
Auch soll eine Demo-Beobachtungsgruppe eingerichtet werden, eine Gruppe von
Leuten, die dafür sorgt, dass auch Polizeiverhalten konsequent und objektiv
dokumentiert wird. Und nicht zuletzt soll der Schutz von Flüchtlingsheimen
gegen jegliche Art von rechten Übergriffen verstärkt werden.
## Wasserfeste gelbe Aufkleber
Damit hatten wir ja schon Erfahrungen gesammelt. Freital war der erste
große Eklat, das war Mitte/Ende Juni 2015. Dort wurde im Prinzip von jetzt
auf nun, mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen, in vollkommen
chaotischer Art und Weise eine Erstaufnahmeeinrichtung für 350 Flüchtlinge
etabliert. Man nutzte dafür das seit Kurzem leerstehende Hotel Leonardo am
langen Rain, auf einem Hügel über der Stadt. Dagegen erhob sich dann in
Freital massiver Protest. Typisch, die wasserfesten gelben Aufkleber die
man überall, auch am Bahnhof platziert hat, sie tragen folgenden Text:
‚BITTE FLÜCHTEN SIE WEITER! ES GIBT HIER NICHTS ZU WOHNEN! REFUGEES NOT
WELCOME!‘
Das ist nur eine der zahlreichen fremdenfeindlichen Aktivitäten ‚besorgter
Bürger‘. Freital ist eine recht große Kreisstadt, mit knapp 40.000
Einwohnern, südwestlich von Dresden, 10 S-Bahn-Minuten entfernt. Es gibt
dort mehrere größere Arbeitgeber, z. B. Stahlindustrie, ein Ziegelwerk usw.
Freital trägt seinen Namen übrigens nicht zu Unrecht, es war mal Anfang des
20. Jahrhunderts, zu Beginn der Weimarer Republik, sozusagen eine
Sozialistenhochburg. Man führte zahlreiche soziale Errungenschaften ein,
besonders in der Gesundheitspolitik, im Schulsystem, im Bau von
vorbildlichen Arbeitersiedlungen.
Die Stadt bekam deshalb den Spitznamen ‚Rotes Wien in Sachsen‘. Das ist
dann im Nationalsozialismus – und auch in der SED-Zeit – vollkommen
erodiert. Aber es gab auch nach 1933 in Freital noch sehr aktive
Widerstandsgruppen gegen das Naziregime. Also die Stadt hat eine ganz
andere Herkunft, als man heute vermuten möchte.
## Hilfe für Freital
Heute herrscht dort eine erzkonservatives, ein schwarzbraunes Klima, von
einigen Aufrechten mal abgesehen. Es ist ja viel berichtet worden in den
Medien über die Vorfälle in Freital. Ich will mal versuchen, meine
persönlichen Eindrücke zu schildern. Ich sah dort vor allem eins: eine
grölende Menschenmenge, die ihrem Hass freien Lauf ließ. In Freital gibt es
einen Pegida-Ableger, die nennt sich ‚Frigida‘. Es gibt Videoaufzeichnungen
im Netz mit Interviews, da werden ‚besorgte Bürger‘ z. B. gefragt, ob sie
nicht vielleicht mehr Angst haben müssten vor denen, die da grölen, Steine
und Böller schmeißen, als vor den Flüchtlingen. Antwort: ‚Die schmeißen ja
nicht auf Deutsche!‘ Also, das ist schon schlimm, wenn die Leute gar nicht
mehr merken, was sie da sagen.
Es gibt allerdings, wie gesagt, auch die anderen. Zum Beispiel das
‚Willkommensbündnis Freital‘, bestehend aus etwa 5 Menschen. Die sind an
uns herangetreten und sagten: Wir schaffen’s alleine nicht, bei uns gibt es
kein Potenzial für eine Gegendemo, keine Gruppe, die sich vor das
Flüchtlingsheim stellen würde. Wir brauchen eure Hilfe! Die haben wir
natürlich zugesagt und angefangen, im Prinzip täglich zu mobilisieren nach
Freital. Immer am Nachmittag um vier sind wir hin gefahren und standen dann
dort vor dem Gebäude bis, na, sagen wir mal, bis abends um 10. So etwa zwei
Wochen lang.
Das Hotel Leonardo liegt etwa 1 Kilometer vom Bahnhof entfernt, und da geht
man dann eben als Gruppe im Außenbereich am Hang entlang, den ‚langen Rain‘
hoch. Man bewegt sich besser nicht durch den Ort. Bei der Ankunft vor der
Unterkunft wird man dann sozusagen umgehend von der Polizei empfangen und
einsortiert. ‚Protestbürger‘ waren auch schon da um diese Zeit, einige aus
den umliegenden Wohnanlagen. Also, wir standen zwischen den ‚besorgten
Bürgern‘ und dem Eingang des Heims. Mit der Zeit, so nach Betriebsschluss,
wurden es mehr. Die Sprechchöre wurden lauter und richteten sich auch gegen
uns.
Es gibt dort so ein kugeliges rechtes Mädel, mit zur Hälfte geschorenem
Kopf und Ordnerbinde, die hat ziemlich schrille Vorgaben gemacht und die
Menge hat brav wiederholt. Was da so skandiert wurde, war vollkommen
abstrus, z. B.: ‚Volksverräter‘; ‚Ami go home‘ – ich muss mal überl…
ja, ‚Antifa, ha, ha, ha …‘; ‚Lügenpresse‘; ‚Raus aus der Nato‘; …
muss weg‘. Sie trugen die üblichen seltsamen Fahnen und ein Spruchband mit
der Aufschrift: ‚Kein Ort zum Flüchten!‘ Aber wir haben das einfach
ignoriert und uns lieber den Geflüchteten zugewandt.
Diese kleine Freitaler Unterstützergruppe hatte schon ein gutes Verhältnis
hergestellt zu einigen Familien, sodass die rauskamen uns auch vertraut
haben. Sie haben schon gesehen, dass wir die ‚Guten‘ sind.“ Er lacht leis…
streicht sich über die Glatze und fährt fort: „Bei uns gibt es übrigens
signifikant mehr Frauen und junge Leute, die sehr kommunikationsfreudig
sind. Wir hatten immer Spiele dabei, Federball, Frisbee, und haben mit
Geflüchteten nicht nur gesprochen, sondern auch gespielt, das entspannte
die Situation total. Da sind ja auch viele Kinder dabei. Mit ihnen kann man
mit Malkreiden auf der Straße Hüpfspiele machen, das geht alles und macht
allen viel Vergnügen. Ja gut, das war halt so Freital. Es war das erste
Mal, dass sich diese böse Fratze sozusagen überregional so unverhüllt
gezeigt hat.
## Scharmützel mit Nazis
Danach gab es etwas, das in den Medien kaum Wellen geschlagen hat, das war
im Juli 2015 in Dresden. Auch dort wurde Hals über Kopf auf einer
Industriebrache ein Zeltlager für 1.000 Flüchtlinge vom THW und Roten Kreuz
errichtet. Die NPD hatte zu einer Demo aufgerufen. Wir waren natürlich auch
dort, und da gab es dann wirklich Scharmützel. Sogar Rotkreuzhelfer wurden
tätlich angegriffen. Viel zu wenig Polizei war im Einsatz, die hatten nicht
mal Helme dabei, standen da einfach nur rum, vollkommen unorganisiert.
Und dann kam schon bald Heidenau, erste Augustwoche 2015. Heidenau ist eine
kleine Stadt mit etwa 16.000 Einwohnern, südöstlich von Dresden, zwanzig
S-Bahn-Minuten entfernt. Dort war ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung
eingerichtet worden, direkt an der Hauptstraße liegend im Gewerbegebiet, in
einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt. Und dort kam es durch die Rechten zu
Blockadeversuchen von Bussen mit ankommenden Geflüchteten. Es gab in der
ersten Nacht massive Ausschreitungen, das war wirklich wie ein
Kriegsschauplatz, überall Rauchschwaden, die Nazis haben permanent diese
hier bei uns verbotenen, sehr lauten Böller gezündet, mit Bierflaschen und
Steinen geworfen. Sie hatten schon ordentlich Promille intus, man sah so
gut wie keinen, der nicht eine Bierflasche in der Hand gehabt hätte.
Die Polizei schoss Tränengas ab. Die Rechten haben auch die Polizei
angegriffen – worüber die sehr erstaunt war, denn normalerweise sind die
Nazis ja sehr autoritätshörig. Am Ende gab es 30 verletzte Polizisten. Wenn
die Polizei tatsächlich mal ihren Job macht, sozusagen Recht und Gesetz
durchsetzt, um die Flüchtlinge zu schützen, dann sind sie natürlich nicht
mehr die Guten, sondern nur noch die Feinde. Wir waren dort auf dem
Parkplatz etwa 200 Leute, die Gegenseite wahrscheinlich doppelt so viele.
Und wir hatten uns eigentlich verstanden sozusagen als moralischer Support.
Die Scharmützel zogen sich über mehrere Nächte hin. Wir haben versucht, den
Zugang zur Unterkunft gegen die Nazis zu blockieren, und fanden das total
krank, gegen traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge, Familien und ihre
Kinder, mit Böllern vorzugehen. Die haben ja Angst, dass sie jetzt
vielleicht doch noch umgebracht werden.
Als Reaktion auf diesen Praktiker-Angriff haben wir, das ‚Bündnis
Nazifrei‘, dann eine Woche später – zusammen mit der ‚Interventionistisc…
Linken Berlin‘ – ein Willkommensfest für die Bewohner des Baumarktes auf
die Beine gestellt. Zwei Tage zuvor war übrigens Kanzlerin Merkel in
Heidenau und hat zum ersten Mal eine Erstaufnahmeeinrichtung für
Geflüchtete besucht. Sie wurde mit Hupkonzerten und dem Ruf:
‚Volksverräter, Volksverräter!‘ begrüßt von den ‚besorgten Bürgern�…
Tage später kamen dann wir, und bei uns geht es ja nicht um die
Imagepflege, wir wollten wirklich etwas tun für die Familien und Kinder,
mit Hüpfburg, Grill, Musik, Limonade, Kuchen und vielen Spielen. Es gab
auch einen Neuntonner voller Spenden aus Berlin. Und auf diese Weise haben
wir den Diskurs wieder so ein bisschen ins Lot gebracht und medial
aufgefangen.
## Fest in Heidenau
Es gab natürlich rechtliche Probleme, einen Konflikt mit dem
Innenministerium, das unser Willkommensfest eigentlich verbieten lassen
wollte, weil die Nazis gedroht hatten es zu sabotieren. Sicherheitsfragen,
polizeilicher Notstand, das waren so die Begründungen. Die wurden dann aber
vor Gericht abgeschmettert und das Fest konnte tatsächlich stattfinden.
Aber nicht nur die Antifa war da, es kamen an diesem Tag auch anders
denkende Heidenauer Bürger. Einige sagten: Schön, dass es euch gibt, ich
denke genau so wie ihr! Cem Özdemir ist aus Berlin gekommen.
Es kam auch ein vollkommen ungebetener Gast, der sächsische Innenminister,
der eben noch das Fest hatte verbieten lassen wollen. Er wurde aber,
zusammen mit seinen Bodygards, ganz schnell vom Hof gescheucht mit
resoluten Sprechchören, Buhrufen und Pfiffen. Er hatte nicht mal
Gelegenheit, die Fotos für die Imagepflege machen zu lassen. Er sah sehr
verlegen aus. Angesichts dieser peinlichen Situation ist er geradezu
geflüchtet zu seiner Dienstlimousine. Und weg war er. Auf
Nimmerwiedersehen, hoffentlich!
Ansonsten verlief das Fest vollkommen ungestört. Es waren so etwa 300 bis
400 Menschen da, überall Geflüchtete, die haben auf der großen Wiese Ball
und Frisbee gespielt, miteinander getanzt, gegessen und waren fröhlich und
entspannt. Besonders die Kinder, die in der Hüpfburg herumsprangen und mit
den gespendeten Spielsachen spielten.
Das waren Freital und Heidenau, die beiden wichtigsten Auslöser dafür, dass
Pegida wieder mehr Zulauf bekam. Und in diesem Kontext haben wir uns dann
auch gesagt, jetzt müssen wir nachdenken und uns etwas einfallen lassen.
Und wir müssen uns auf viel Geduld einrichten. Es ist einfach so, dass es
langer, langer Arbeit bedarf, um so einen generellen Rechtsruck in der
Gesellschaft irgendwie wieder aufzufangen.“
3 Jun 2016
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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