# taz.de -- Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Sommer in der Bücherei | |
> Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Universalgelehrter. Wir | |
> treffen uns mit ihm auf 13 Joints – oder so. Teil 13: Expertenwissen. | |
Bild: Lexika seien ja schön, vor allem die alten, aber unbrauchbar, findet Hel… | |
Es ist dunkel geworden, die ersten Mitarbeiter haben den Heimweg | |
angetreten. Ich warte auf eine Mail von Helmut, wann wir uns treffen | |
können. Er schreibt: „Heute?“ | |
Zwei Stockwerke tiefer hole ich ihn aus seinem Büro ab. Da er noch an einem | |
Vortrag arbeitet, den er morgen Abend halten muss, treffen wir uns heute. | |
Schon beim Treppensteigen reden wir über Tierbücher und bevor ich den | |
Anschluss verliere, muss ich noch schnell mein Notizbuch holen. „Gut, dann | |
bau ich schon mal.“ sagt Helmut und lässt sich auf dem Sofa nahe der | |
Terrassentür nieder. Neben ihm der Tabak und die Süddeutsche. | |
Die viel beschriebene Technik von Helmut habe ich noch nirgendwo gesehen. | |
Zwei Blättchen werden parallel aneinander geklebt, das dritte quer an das | |
Ende. Dann Tabak und Hasch – vermischt, gedreht und zugeklebt. Erst jetzt | |
kommt der Filter zur Hälfte in den Joint, die raus stehende Pappe wird mit | |
einem weiteren Blättchen befestigt, der überstehende Rest abgerissen. Kurz: | |
Helmut ist Experte. Aber wie wird man eigentlich zum Experten? | |
Helmut meint: „Erst studierst du Kunstgeschichte oder so, alle machen dann | |
Öko-Kunst, deswegen machst du Tierstudien und auf ein Mal bist du Experte. | |
Das heißt: Die Leute fragen dann bei dir nach, was du zu dem und dem Thema | |
zu sagen hast.“ Er durfte auch mal Experte sein, für die ZEIT. „War auch so | |
etwas ähnliches wie Lexika-Einträge.“ Da hat er in der Printausgabe kurze | |
Artikel über Glühbirnen geschrieben oder Petroleum-Lampen, die man nicht | |
putzen muss. Und in der Einleitung war immer ein Gedicht „von Goethe oder | |
so.“ | |
## Zu wenig Laienwissen | |
Dabei hatte er sogar einen Lexikon-Eintrag für einen Brockhaus | |
angefertigt.Themengebiet: Irrtümer und Täuschungen. Dort schreibt er über | |
Menschen, Hochstapler, die sich als Doktoranden oder Adelige ausgeben. | |
Helmut ist einer der wenigen Autoren, die im Autorenregister kein Dr. oder | |
Prof. vor dem Namen stehen haben. Er verstünde nicht, was das Ganze soll. | |
„Das liest doch keiner.“ Lexika seien ja schön, vor allem die alten, aber | |
unbrauchbar. Da könne man auch gleich zu Wikipedia und „[1][Ringelgans]“ | |
oder so was eingeben. | |
Mit jedem Zug am Joint werden meine Notizen stichpunktartiger und die | |
Schrift immer größer. Ich freue mich über das Ringelgans-Beispiel, weil ich | |
nicht weiß, wie eine Ringelgans aussieht und mir irgendwas Gestreiftes | |
vorstelle, mit nem langen Hals, der sich wie ein Korkenzieher dreht. | |
Ich frage nach, ob es ihn nicht störe, dass Wiki-Artikel voller Halbwissen | |
seien. Aber das will Helmut nicht hören. Für ihn sind das noch zu wenige | |
persönliche Laieneinträge. Die meisten Wiki-Einträge würden Firmen über | |
ihre eigenen Produkte machen. „Da bin ich mir ziemlich sicher.“ | |
Bestes Beispiel findet er den [2][Eintrag über weibliche Ejakulation]. Der | |
war erst von Männern gemacht, die meinten, dass das weibliche Ejakulieren | |
biologisch gar nicht möglich wäre. Eine Freundin von Helmut konnte den | |
Eintrag dann ändern und damit richtig stellen. | |
## Helmuts Wikipediaeintrag | |
Das Tolle ist ja, dass man bei Helmut einfach nach irgendwas fragen kann, | |
worauf er immer eine Geschichte zu erzählen hat. Er ist wirklich: Ein | |
wandelndes Lexikon. Da sitzt die Helmut-Höge-Gesamtausgabe. Ich schlage | |
nach: Die Entstehung von [3][Helmut Höges Wikipediaeintrag]. | |
„Das war bei einem Vortrag an der Uni in Siegen.“ Dort wurde in einem | |
Seminar über seine Texte geredet. Die Hausarbeit der Studenten war dann, | |
einen Wikipedia-Eintrag über den Referenten, in diesem Fall Helmut, | |
anzufertigen. „Der war dann natürlich total lustlos.“ | |
Ich stehe kurz auf, gehe zur Tür um abzuaschen und ein bisschen Luft zu | |
atmen. Mir fällt ein, dass ich mir seinen Eintrag neulich noch mal | |
durchgelesen habe. Und dass ich den gut fand, mit den Zitaten und so. „Da | |
konnte ich auch nachschauen, was deine ersten Bücher waren und da habe ich | |
mir gleich „Wölfe, Partisanen & Prostituierte“ bestellt.“ | |
– „Da haste dir aber das falsche Buch gekauft.“ | |
## Mongolei von A bis Z | |
Seine Reiseberichte, die seien gut, meint Helmut. Wie er von Europa über | |
Asien bis nach Japan gereist ist. Wie er mit einem mongolischen Freund | |
Zeitschriften über die Mongolei rausgebracht hat. „Mongolei von A bis Z. | |
Wäre durchaus vorstellbar“, fällt ihm da ein. „Aber da denkst du dann sch… | |
nach, was du bei „F“ machst.“ | |
Ich muss lachen. Vielleicht ein bisschen zu viel. Helmut ignoriert das | |
freundlicherweise und redet vom Westend-Verlag, der auch mal ein Lexikon | |
rausgebracht hat. Über Geld, Sexualität und den Act-of-State. Ganz | |
unkonventionell, die hätten sich da nicht über jeden Buchstaben Gedanken | |
gemacht. Die seien auch auf der Leipziger Buchmesse. Er fragt mich, ob ich | |
auch dahingehe. | |
„Nee, ist mir zu stressig“ sage ich und da muss Helmut auch mal lachen. | |
– „Was? Du musst da doch gar nichts machen.“ | |
„Aber die vielen Menschen …“ | |
– „Das ist doch toll“ meint Helmut „und wie die sich verkleiden, die…… | |
heißen die noch Mal?“ | |
## Alles nur blabla | |
Wir finden später heraus, dass von Cosplayern die Rede ist. Cosplayer | |
verkleiden sich wie Manga-Figuren und [4][Cosplay] findet Helmut richtig | |
toll. Wie viel Mühe die sich mit den aufwendigen Kostümen geben, inklusive | |
Bewaffnung. Und dass es wohl ein Messegesetz gibt, das vorschreibt, wie | |
lang und aus welchem Material so ein Cosplay-Schwert sein darf. | |
Und weil wir eigentlich beim Wissen sind und wir so über Messen reden, | |
meint Helmut: | |
„Wir leben in einer Zeit, wo dieses Weltwissen vermessen wird.“ | |
Die Mehrdeutigkeit dieser Aussage lässt mein Hirn kurz rotieren. Der Joint | |
ist schon lange tot. Wir haben uns Zigaretten gedreht. Ich stehe an der Tür | |
rum. Helmut lässt sich Zeit, rollt seine fertige Zigarette zwischen den | |
Fingern hin und her und beendet die Gesprächspause mit: „Richtig gelesen | |
wurde ich, als mich noch keiner kannte.“ Das hat Foucault gesagt. Und das | |
treffe wohl auch auf die heutigen Wisschenschaftler zu, über die dann auch | |
wieder ellenlange Bücher verfasst würden. „Wie viele Biographien habe ich | |
schon gelesen, die nur blabla waren.“ | |
Dabei geht’s auch anders herum. Bei der taz wurden Sozialwissenschaftler | |
für ihre Beiträge erst gar nicht bezahlt. „Das haben die damals auch | |
verstanden. Heute streiken die wohl.“ | |
Den Punkt verstehe ich nicht, vielleicht auch eine Lücke in meinen Notizen. | |
Wenn Sozialwissenschaftler streiken können, kann ich dann auch als | |
Praktikant streiken? | |
Ich überlege, morgen zu streiken – oder mir noch einen weiteren Job zu | |
suchen. | |
## Heuballen und Adorno | |
Und wie hat Helmut im Studium sein Geld verdient? „Zum Beispiel ein | |
Sommerjob von der Uni Bremen. Bücher sortieren in der Stadtbücherei.“ Da | |
hatte er sich richtig drauf gefreut: „Den ganzen Sommer mit klugen Leuten | |
und klugen Büchern verbringen zu dürfen.“ Und als er dort anfing, waren da | |
nur pensionierte Lehrer, die Ahnenforschung betrieben haben und denen er | |
die Bücher bringen durfte. Den ganzen Sommer lang. „So ein Scheißjob.“ | |
Dann war er zu Fuß unterwegs und hat in der Landwirtschaft gearbeitet. „Da | |
brauchte ich nur drei Bücher und…“ Helmut will natürlich weiter erzählen, | |
ich will aber wissen, welche drei Bücher das genau waren. „Naja“ sagt er | |
„Was man halt so braucht: Freud, marxistische Theorien, Frankfurter | |
Schule.“ | |
Die Antwort ist jetzt nicht sehr genau, ich erfreue mich aber an der | |
romantischen Vorstellung, auf Heuballen rumzuliegen und Adorno zu lesen. | |
Vielleicht werde ich morgen beim Bio-Bauer nach einem Job fragen. | |
## Kollektives Wissen | |
Dann gibt’s noch ein langes Gespräch über Pinguine, Schwäne von A-Z, um ein | |
sehr persönliches Buch über Raben und über Tierlexika, in denen der Spatz | |
über hundert Seiten einnimmt. | |
Er fragt, ob mir noch was zum Thema einfallen würde, und wir kommen | |
irgendwie zu „Geistiges Eigentum“. Wie das Wissen des Einzelnen in der | |
Enzyklopädie kollektiviert wird und es bei Wikipedia ja irgendwie anders | |
herum ist. Die Menschen gingen, wegen der ganzen Massenmedien, viel | |
sensibler mit geistigem Eigentum um. | |
„Früher haben wir für die taz Bilder aus Magazinen oder Büchern | |
rausgeschnitten und selber Texte übersetzt. Heute darf man ja so etwas | |
nicht mehr. Wenn ein Fotograf seine Bilder in der taz sieht, muss man den | |
dann auch noch im Nachhinein bezahlen“, sagt Helmut und schüttelt den Kopf. | |
Dann packt er seinen Tabak weg und die Zeitung unter seinen linken Arm. Ich | |
nehme mein Notizbuch zur Hand, blättere die sieben vollgeschriebenen Seiten | |
zurück und sage: | |
„Das kann ich doch niemals lesen.“ | |
„Tja“ sagt Helmut „Das kenn ich.“ | |
13 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ringelgans | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Weibliche_Ejakulation | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_H%C3%B6ge | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Cosplay | |
## AUTOREN | |
Nils Elias Molle | |
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