| # taz.de -- Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Und immer noch der Fernsehturm | |
| > Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen | |
| > uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 1: Entschleunigung | |
| Bild: Da müssen wir hin, und drei Tage später lag der Fernsehturm immer noch … | |
| Wenn ich bei der RAF gewesen wäre, hätte ich bestimmt auch Stress gehabt, | |
| sagt Helmut. | |
| Aber so. | |
| Ist Stress ein Wort, sagt er, das ihm fremd ist. | |
| Helmut ist ein wundersamer Mann. Ich bin mir gerade nicht sicher, warum ich | |
| das schreibe. Vielleicht habe ich das gerade gedacht, als ich bei ihm saß, | |
| und es ist eben so, dass das passt, wundersam. Helmut heißt Helmut Höge und | |
| ich mag ihn, alle mögen ihn. Er ist 66 und trägt immer einen grauen Anzug | |
| und ein Buch. Er ist schon seit vor der taz bei der taz, und das ist super. | |
| Einmal am Tag sitzt er auf der Couch im fünfeinhalbten Stock und kifft und | |
| das ist auch super. | |
| Niemand kifft eleganter. Mit feinen Fingern drückt er den Tabak an. Den | |
| Haschbrocken rollt er wie ein Papierkügelchen in der Hand. Den Joint baut | |
| er auf „Geistige und körperliche Arbeit“ von Alfred Sohn-Rethel. | |
| Ich lese das seit Zweiundsiebzig, sagt Helmut. Manchmal einen Satz zwanzig | |
| Mal hintereinander, wenn er ihn nicht verstanden hat. Das ist Entspannung | |
| für mich, sagt er: Ein Gedanke, so kompliziert ausgedrückt, dass er | |
| zunächst über die Hutschnur geht. | |
| Ein Gedanke, der über die Hutschnur geht. So was sagt Höge. | |
| Wenn er wie jetzt das Blättchen anfeuchtet, spricht er einfach so weiter, | |
| und wenn er dann zieht, dann auch. Ich finde den Joint ziemlich riesig und | |
| außerdem, dass ich nicht einfach so weiter rede. Höge erzählt, dass er im | |
| Deutschen Herbst mit einem Pferd durch Deutschland gelaufen ist. Meine | |
| Stute, sagt er, oder: Kleines. Und dass er wirklich mit ihr gelaufen ist, | |
| weil er nicht reiten wollte. Er wollte nicht, dass sie bloß auf einer | |
| Koppel lebt. Er wollte ihr die Welt zeigen. | |
| Manchmal hat er in Pensionen übernachtet, ansonsten bei Bauern gearbeitet. | |
| Einer hat ihn bis zum Brenner begleitet. Ab da waren dann noch eine | |
| Freundin und ein Esel dabei, Helmut unterbricht: Ich rede vom | |
| Mittelgebirge. – Und ich bin mir jetzt nicht sicher, wo der Esel und der | |
| Brenner her- oder hinkommen und wann wir das Land verlassen haben, ich kann | |
| meine Notizen nicht richtig lesen, aber er hat das sicher gesagt. | |
| Das Pferd nämlich war langsam. Das ging von Grashalm zu Grashalm. Pfützen | |
| mochte es nicht. Der Esel dagegen ist in jedes Haus rein, jede Treppe hoch. | |
| Die Vorderbeine hat er dann oft auf einen Fenstersims gestellt und durch | |
| die Scheibe gesehen. Das war in Italien, sagt Höge, und bläst Rauch aus. | |
| Vorher war mir schon aufgefallen, wie ich mich entschleunigt hab. Helmut | |
| fängt an, gleich noch einen Joint zu bauen und mir fällt keine passende | |
| Reaktion ein, aber mein Bein zuckt. Wie er also mit dem Pferd auf dem | |
| Nürburgring ging, da hat er sich entschleunigt. Im Schritttempo über die | |
| Rennbahn. Vor sich sah er einen Fernsehturm und dachte: da müssen wir hin, | |
| und drei Tage später lag der Fernsehturm immer noch vor ihnen. | |
| Blanchot hat Helmut damals gelesen, Die wesentliche Einsamkeit, von | |
| Zischler übersetzt. Blanchot, sagt Höge: Der erzählt. Aber es ist | |
| Philosophisches. Nichts Beschreibendes. Er zieht und zitiert, erst | |
| Nietzsche und dann einen Allgemeinplatz, a book a day keeps reality away. | |
| Über uns ist die Lampe echt hell, wenn ich den Kopf von links nach rechts | |
| wiege, ist der ultraweich, und ich muss ihn immer öfter wiegen. | |
| Hunde schneiden immer besser ab als Affen, wenn es um soziale Intelligenz | |
| geht, so sagt Höge. Weil sie so lange schon an Menschen gewöhnt werden. Er | |
| sagt, dass es eine Form der Vergewaltigung ist, ein Tier zu halten, wo es | |
| nicht sein will. Und wenn man sich das mal aus der Vogelperspektive | |
| besieht, ist das ja auch einen Moment lang merkwürdig, oder? Man bindet | |
| einem Tier eine Leine um und führt es um den Block. | |
| Müssen helle Lampen sein? Helmut ist dann aufgestanden, er musste zu einer | |
| Vorlesung über Raben, über die er was schreiben soll, dabei liegt bei | |
| tazzwei noch sein Katzentext. Es war ich weiß nicht wie eine Stunde | |
| vergangen und ich war irgendwie erleichtert, dass Helmut es auch nicht | |
| wusste und auf die Uhr gesehen hat. Gerade war es halb und jetzt ist es | |
| schon wieder halb, hat er gesagt. | |
| Kennen Sie das auch? Augenblicke der absoluten Entspanntheit? Oder können | |
| Sie das schlecht: abschalten? Und: Wie schalten Sie ab? Brauchen Sie dazu | |
| Drogen? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Die Titelgeschichte „Momentan ist echt stressig“ über den Soziologen | |
| Hartmut Rosa und seine Be- und Entschleunigungstheorien lesen Sie in der | |
| taz. am wochenende vom 11./12. Januar 2014 | |
| 11 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Seubert | |
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