# taz.de -- Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Faschistisch abhängen | |
> Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen | |
> uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 4: Schule. | |
Bild: Psychopathen haben keine prospektiven Angstgefühle, sagt der Praktikant. | |
Helmut Höge kommt um ungefähr exakt zehn Sekunden vor fünf die taz-Treppen | |
hochgelaufen, während ich die Treppen runterlaufe. Wir treffen uns auf | |
halber Treppe. Um ungefähr exakt fünf Uhr sitzen wir zwischen dem fünften | |
und sechsten Stock auf dem Besetzersofa mit den abgestoßenen Armlehnen und | |
den etwas verblassten Baummustern. | |
Etwas später kommt Helmut Höges derzeit persönlicher Praktikant. Ich | |
glaube, er heißt Stefan. Ich müsste das mal nachrecherchieren. Er hat | |
jedenfalls ein Wernher-von-Braun-Gymnasium besucht, was nun bald nicht mehr | |
so heißen soll, was aber alles erst im Laufe des Gesprächs herauskommt. | |
Was habt ihr denn diesmal, fragt Helmut Höge. | |
Diesmal haben wir: Schule. Ein bisschen auch: Neukölln, Bildung, | |
Gentrifizierung. | |
Helmut Höge, taz-Autor, taz-Aushilfshausmeister und der einzige Mensch, der | |
jeden Tag im Anzug in der taz erscheint, öffnet seinen Tabakbeutel und | |
leckt Blättchen zusammen. Er nimmt meinen Block zum Drehen. | |
Wobei ihm einfällt: Gerade hat er einen Text von Wladimir Kaminer | |
redigiert, in dem der darüber schreibt, dass sein Sohn in der Schule einen | |
Aufsatz über Freiheit schreiben sollte. Das habe Kaminer selbst in der | |
Sowjetunion auch immer tun müssen. „Wahrscheinlich wird das auch noch | |
ideologisch benotet“, sagt Helmut Höge. „Wenn du schreibst 'Ich bin für | |
totale Unfreiheit' kriegste gleich ne Sechs.“ | |
Ich versuche mir den Satz zu merken. Ich habe ja gerade nichts zu | |
schreiben. | |
## "Glücklicherweise nicht gezwungen, das anders zu sehen" | |
Helmut Höge ging in Bremen zur Schule, 52, 53, muss das gewesen sein. | |
Eingeschult so mit fünf. „Ich fand das alles schrecklich und meine Eltern | |
haben mich glücklicherweise nicht gezwungen, das anders zu sehen.“ | |
Den sollte ich mir auch noch merken vielleicht. | |
Damals jedenfalls wollte seine Lehrerin in der ersten Klasse ihn | |
umerziehen, zum Rechtshänder. Da haben seine Eltern dafür gesorgt, dass er | |
die Klasse wechselt. Er war dann nicht mehr 1a, sondern 1b. Oder 1c. | |
Er hat fertig gedreht und gibt mir den Block zurück. | |
Im Zuge der Reeducation sei das aber auch mit der Umerziehung alles ein | |
wenig weniger streng geregelt worden im Nachkriegsdeutschland, weil man da | |
plötzlich erfuhr, dass es in den USA soundsoviele Linkshänder gibt. Einfach | |
so. Helmut Höge durfte Linkshänder bleiben. | |
Er erinnert sich an einen Biologielehrer, der kam immer im weißen Kittel. | |
War auch schon albern. Gar nicht in irgendeinem Kabinett oder im Labor, | |
sondern im normalen Klassenzimmer. Weißer Kittel. Mit Herzen Botaniker war | |
der. Er hat mit den Schülern ein Herbarium angelegt, das fand Helmut gut. | |
Er war schon immer sehr für Biologie. Er dachte ja, er würde mal Biologie | |
studieren. Und immer schon viele Tierbücher. | |
Manchmal hat der Biologielehrer einen grauen Kittel über den weißen | |
gezogen, wohl damit er den weißen Plastikkittel nicht schmutzig macht. Der | |
weiße Plastikkittel war wohl Privatbesitz und der graue gehörte der Schule. | |
Irgendwie so. | |
## Kinder auf der Straße | |
„Wir hatten ja noch Lehrmittelfreiheit“, sagt Helmut Höge. Bücher, Stifte, | |
Hefte, gab es alles in der Schule, man konnte so viel nehmen, wie man | |
brauchte, und man nahm eher immer noch ein bisschen mehr. „Ich hatte ganz | |
viele angefangene Hefte.“ Wenn zum Beispiel die Hausaufgaben irgendwie | |
nicht so waren. „Da hat man die Blödigkeit überspielt mit einem neuen | |
Heft.“ | |
Aber sonst, alles schrecklich. Die Lehrer. | |
Wir schweifen dann etwas vom Thema ab und es geht um Autos und Straßen und | |
Kinder, die erst noch auf der Straße waren und dann nicht mehr. Als Helmut | |
in Hessen war, da kam manchmal eines dieser neuen amerikanischen Autos, | |
Cabriolet, in den Ort gefahren und die ganze Produktion stand still. Alle | |
guckten. | |
Mitte der 60er muss das gewesen sein. | |
Seinen Praktikanten Stefan, der seine Doktorarbeit über etwas Suizidales | |
bei Fontane geschrieben hat, hat er übrigens irgendwann einmal über die | |
Auseinandersetzung mit Gert Postel kennengelernt, dem psychiatrischen | |
Oberarzt, der mal ein Postbote gewesen war und seine Zeugnisse selbst | |
gemacht hatte. | |
## Wie waren wir jetzt darauf gekommen? | |
Das sei jetzt vielleicht etwas Off-Topic, sagt der Praktikant, aber die | |
Suizidforschung habe gezeigt, dass Suizidopfer oft eine glückliche Kindheit | |
hatten. „Viel Liebe mit hoher Kontrolle“, sagt der Praktikant, der | |
möglicherweise Stefan heißt. | |
Wie waren wir jetzt darauf gekommen? Ach ja, Helmut Höge hatte erzählt, | |
dass ihn zwei Frauen manchmal nerven, weil sie gar zu kinderverhätschelnd | |
seien. | |
Gab es denn irgendeinen Unterricht, der Helmut gefallen hat, damals? | |
„Sportunterricht ging noch“, sagt Helmut Höge. | |
Sie hatten einen ehemaligen SS-Boxlehrer. „Wenn wir an den Ringen nicht | |
faschistisch genug hingen, dann hat er uns die Springseile über die Beine | |
gezogen.“ Damals haben sich noch keine Eltern über so was beschwert. | |
Häng dich ma anständig hin, sagte der ehemalige SS-Boxlehrer. | |
Faschistisch? | |
„Naja“, sagt Helmut Höge, „ganz gerade und alles im rechten Winkel. Also: | |
Kopfstand an den Ringen im Hitlergrußwinkel.“ | |
Überhaupt war das alles sehr Ordnung und Sauberkeit damals und Disziplin. | |
„Das war so fast das A und O damals. 90 Prozent Selbstdisziplinierungen. | |
Richtig sitzen, zuhören.“ | |
Wird ja heute immer weniger. Die Russen beispielsweise finden, dass es hier | |
mittlerweile fast zu wenig ist, sagt er. In Pankow etwa. | |
Er hat ganz gute Verbindungen nach Pankow zurzeit, weil seine Freundin da | |
wohnt. | |
Manchmal schickt man Fotografinnen in eine Schule, um den Unterricht zu | |
fotografieren und die Fotografin wundert sich, dass es da gar keinen | |
Unterricht gibt. | |
Also nicht mehr so, wie sie Unterricht kannte. Mit sitzen, auf die Tafel | |
schauen und sich melden. | |
„Die machen ja heute ständig irgendwelche Workshops“, sagt Helmut Höge. | |
Oder Rollenspiele. „Oder bemalen Cartons bunt und stülpen sie sich über den | |
Kopf.“ | |
Wir lachen jetzt häufiger. | |
## Jagen mit Schiller | |
Helmut Höge hatte auch mal ganz gute Verbindungen nach Steglitz, als seine | |
damalige Freundin da wohnte. Er ist dabei auf eine Schülerzeitung gestoßen. | |
„Spätlese“. Fand er gut. Er hat ihnen angeboten, das in der taz zu drucken, | |
als Beilage. Mitte der Neunziger muss das gewesen sein. Sie haben das dann | |
über Werbung finanziert und weil die Unternehmen das mit den jungen Leuten | |
so toll fanden, war plötzlich lauter Werbung für Unternehmen da drin, die | |
die jungen Leute wiederum gar nicht toll fanden. Riesige Werbeerlöse. Ein | |
paar tausend Mark. | |
Sie sind dann danach mit den Schülerzeitungsleuten im Sale e Tabacci, im | |
Italiener, der damals noch die taz-Kantine war, essen gegangen. Knapp 1.000 | |
Mark. Langer Abend. Neunhundertirgendwas, sagt Helmut Höge. | |
Er hat sich wohl dafür zu interessieren begonnen, für diese | |
Schülerzeitungen, als das mit den Jungs aufkam, „dass die Jungs so luschig | |
werden und die Mädels so durchstarten, dass die nicht in die Hufe kommen. | |
Immer nur Club und Drogen und Kiffen, sagen wir mal.“ Während die Mädchen | |
sich für so vieles interessieren. | |
Wie war das bei ihm mit Literatur? In der Schule? Hat er sich dafür | |
interessiert? | |
Die Klassiker natürlich. Schiller. Goethe. Glocke. Faust. | |
„Konntste mich damit jagen“, sagt Helmut Hoege. Faust heute dagegen, ganz | |
andere Sache. | |
Eines fällt ihm noch ein. Sie waren ja an der Weser damals, in Bremen. Und | |
es gab dieses Buch mit den zwei Kindern, die auf Fässern ins Meer | |
hineintreiben. In die gefährliche Nordsee. Daran erinnert er sich noch. Er | |
weiß nur nicht mehr, wie das Buch heißt. Aber es war sehr einprägsam. Er | |
hatte dann immer Respekt vor dem Meer, vor der Tiefe. | |
22 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
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