| # taz.de -- Digitale Geschwindigkeiten: Facebook, du bist so schön langsam | |
| > Manchmal sitzt die Entschleunigung da, wo man sie am wenigsten vermutet. | |
| > In einem der schnellsten Medien zum Beispiel. | |
| Bild: Das dauert ja mal wieder. Facebook, du Schnecke. | |
| Es muss sich da etwas geändert haben an dem Algorithmus, der mir die | |
| neuesten Nachrichten von Freundinnen, Magazinen und Katzen auf meine | |
| Facebook-Seite sortiert, gerade in letzter Zeit. Ich weiß nicht genau was. | |
| Man weiß das nie so genau bei Facebook. Das ist wie bei Google. Das Rezept | |
| für die Trefferlisten der Suchmaschine oder eben für den News Feed des | |
| sozialen Netzwerks wird von den Konzernen geheim gehalten, als wäre es die | |
| Rezeptur von Coca Cola. Aber irgendwie ist seit einigen Wochen, vielleicht | |
| sogar Monaten, die Geschwindigkeit raus. | |
| Das hat fast etwas Therapeutisches. Ich komme jetzt immer wieder ins | |
| Nachdenken, wenn ich vor dem Strom der Nachrichten sitze, vor diesem Bach | |
| muss man neuerdings eher sagen, manchmal gar: See. Er plätschert vor sich | |
| hin. Ich schaue hinein. Hat er sich bewegt? | |
| Ein Facebook-Freund schreibt etwas über das Outing des ehemaligen | |
| Profi-Fußballers Thomas Hitzlsperger. Hatte ich das nicht neulich schon, | |
| gerade erst, oder war das gestern, gelesen? Ach, nein, vor fünf Stunden, | |
| man sieht es ja. Warum steht die Bemerkung dann ganz oben in diesem News | |
| Feed? Immer noch. Schon wieder. Wieso tut sich da so wenig? | |
| ## Ruhe im Alltag - dank Facebook | |
| Momente der Ruhe in einem schnellen Arbeitsalltag. Innehalten. Dank | |
| Facebook, das man ja eigentlich als Beschleunigungsmedium begreifen könnte. | |
| In der aktuellen Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 10./11. Januar | |
| 2014 beschäftigt sich Oliver Hollenstein mit dem Phänomen der | |
| Beschleunigung: „In modernen, säkularisierten Gesellschaften gibt es weder | |
| den erlösenden Himmel noch die strafende Hölle. Das Leben vor dem Tod ist | |
| zentral. Und das sollen und wollen wir reich und erfüllt führen, sprich: | |
| möglichst viele Optionen nutzen“, schreibt er. | |
| „Neue Technik bietet aber immer mehr Optionen. Um also im Vergleich mit | |
| anderen ein erfülltes Leben zu haben, heißt das für uns: Wir müssen pro | |
| Zeiteinheit immer mehr erleben.“ | |
| Facebook geht das anders an, ruhiger. Man kann die Erlebnisse pro | |
| Zeiteinheit vergleichen. Pro Stunde ein neuer Facebook-Beitrag, manchmal | |
| auch nur ein halber, ein viertel. | |
| Bei Twitter, wo ich häufiger hinsehe, ist das anders. Etwa fünf neue Tweets | |
| pro Minute. Twitter ist ein wirklicher Strom, der sich ständig bewegt. Wenn | |
| ich ihm wirklich folgen will, mit allen seinen Seitenverästelungen und | |
| Nebenflüsschen, muss ich ihn bändigen. Ich muss #Kanäle abfließen lassen - | |
| und manche werden dann wieder zu Strömen. #Tatort. #Aufschrei. | |
| Sekundenweise schießen neue Nachrichten vorbei. | |
| ## Weniger Langeweile - dank Twitter | |
| Ich habe mich daran gewöhnt, ich verlange manchmal sogar danach. Wenn ich | |
| in einer Schlange stehe und auf meinem Smartphone Twitter aufrufe, wird mir | |
| nicht langweilig. U-Bahn-Fahrten sind kürzer geworden. Die Wartezeiten | |
| davor auch. | |
| Twitter gibt mir alles, die volle Dosis. Das meiste von dem, was die | |
| Menschen, denen ich folge, verlinken, kommentieren, bemerken, kommt bei mir | |
| an. Oder: Könnte bei mir ankommen, wenn ich permanent den Twitterstrom | |
| verfolgen würde. Facebook dagegen baut Staudämme. | |
| Das bringt diese Ruhe. | |
| Was für eine Ruhe. | |
| Wenn ich vor diesen Facebook-Nachrichten sitze, von denen schon wieder | |
| einige dieselben wie noch vor Stunden zu sein scheinen, zwischen denen | |
| manchmal Stunden liegen, Tage gelegentlich sogar, die gar nicht | |
| chronologisch geordnet sind, wird mir erst bewusst, wie sehr ich mich an | |
| die Twitter-Beschleunigung gewohnt habe. Wie sehr ich die Welt als eine | |
| begreife, die sich ständig verändert, in der ständig etwas in Bewegung ist, | |
| sein muss. Und zwar linear, entlang einer Zeitachse, hintereinander weg, | |
| nach vorne. Zack, zack. | |
| ## Es passiert nichts. Wie schön | |
| Und dann Facebook: Immer noch der Kommentar über Hitzlsperger. | |
| Ich muss weniger entscheiden, mich weniger konzentrieren, auf das, was ich | |
| in diesem Strom wirklich wichtig finde, muss weniger #Kanäle bauen, weniger | |
| selbst sieben. Es wird für mich ausgewählt, ausgesiebt. | |
| Man könnte sagen: Ich werde von Facebook bevormundet. Schweinerei. Aber | |
| kurz, ganz kurz nur, ist mir das egal. Die Welt bleibt stehen. | |
| Woran es liegt, dass Facebook irgendwann die Geschwindigkeit aus seinem | |
| News Feed genommen hat und damit die Zeitachse gesprengt? Man findet keine | |
| allzu konkreten Antworten. Aber es gibt Hinweise. | |
| Der Entwickler Lars Backstrom etwa arbeitet bei Facebook daran, das | |
| News-Feed-Erlebnis zu verbessern, so ungefähr würde er das wohl | |
| formulieren. Das Ranking, die Auswahl also, sei sicherlich nicht perfekt | |
| und werde permanent verfeinert, aber sie hätten viele Tests laufen lassen, | |
| die gezeigt hätten, dass immer, wenn sie aufhörten zu gewichten und die | |
| Beiträge einfach chronologisch einlaufen ließen – ähnlich wie Twitter also | |
| – die Zahl der Kommentare und Likes zurückgehe. „That's not good for our | |
| users or for Facebook“, schließt Backstrom. | |
| Was für Facebook – und laut Facebook auch für seine Nutzerinnen zählt – … | |
| also Interaktion. Je langsamer der Nachrichtenstrom fließt, desto mehr | |
| Interaktion findet statt. | |
| Das gilt nicht für mich. Ich denke jetzt nur häufiger über den Verlauf der | |
| Zeit nach. Ach, der Beitrag wieder. War das nicht gestern? 9 Stunden. 14 | |
| Stunden. Vorgestern? | |
| Diese Ruhe. | |
| Probieren Sie es mal aus. | |
| Sie werden merken: Es ist auch ein bisschen langweilig. Weil: oft dasselbe, | |
| immer noch, schon wieder. Aber die Langeweile, das hat die Mediensoziologin | |
| [1][Sherry Turkle] [2][gerade erst gefordert], die sich mit der Wirkung von | |
| Technik auf uns Menschen beschäftigt, die Langeweile sollten wir besser | |
| wieder lernen. Auch als Teil der Konversationskunst. Sonst, fürchtet | |
| Turkle, sitzen wir uns irgendwann alle nur noch mit Smartphones vor den | |
| Nasen gegenüber. | |
| Doch: Auch neue Medien können so wunderbar langsam sein, langweilig. | |
| In diesen kurzen Momenten. | |
| Es sind, das muss man nun auch sagen, recht sehr kurze Momente, wenn man | |
| ehrlich ist. | |
| Dann bin ich schon wieder auf Twitter. Im Ticker. Fliegender Blick. | |
| Immerhin. | |
| Kennen Sie die auch: Augenblicke der digitalen Ruhe? Wie bändigen Sie Ihre | |
| Nachrichtenströme? Muss man gar nicht? Schnell ist geil? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Die Titelgeschichte „Momentan ist echt stressig“ lesen Sie in der taz. am | |
| wochenende vom 11./12. Januar 2014 | |
| 10 Jan 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2014/01/the-eavesdropper/355727/ | |
| [2] http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2014/01/the-eavesdropper/355727/ | |
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| Johannes Gernert | |
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