Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Bierforschung oder Dönerforschung?
> Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen
> uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 9: Bürgerforscher.
Bild: In Kneipen kann man viel lernen, sagt Helmut Höge.
Das Sofa ist weg. Oder vielmehr die Sofas. Die, die bislang immer im
taz-Treppenhaus im fünfeinhalbten Stock standen. An ihrer Stelle steht nun
etwas, das aussieht wie eine ziemlich große orange Sanduhr, bei näherer
Betrachtung aber ein Aschenbecher ist. Ein ziemlich großer, wie gesagt.
Sonst ist der dunkelrote Linoleumfußboden im Zwischengeschoss verwaist.
Was mit den Sofas passiert ist? Die sind abgebrannt. So lautet zumindest
das Gerücht. Schwehlbrand, Feuerlöscher, Wasser, kaputt, erklärte die
Kollegin oben im sechsten Stock. Ja, ja, sagt Helmut. Es gebe das Gerücht,
dass taz-Blogwart Matthias Bröckers und er das waren. Und stimmt's? Ich
glaube nicht, sagt Höge.
Also, weil es ja keine Sofas mehr gibt – was gut ist, denn nun muss ich
nicht zum wiederholten Mal beschreiben, wie diese Sofas aussehen, was ja in
dieser Artikelreihe schon häufiger vorgekommen ist, aber es gibt sie ja
nicht mehr, die Sofas, zum Glück – gehen wir auf den Dachgarten.Helmut Höge
nimmt auf einer der verwitterten Bierbänke Platz und guckt auf die kleine
Wiese, die vor uns liegt.
Helmut Höge hat Utensilien mitgebracht: Eine Kaffeetasse, sein Brillenetui
und einen Text, den er schon mal über
[1][//www.taz.de/Buerger-und-Wissenschaften/!145052/:das Thema Citizen
Science] geschrieben hat – über Bürgerwissenschaften wollen wir heute
nämlich reden. Das wird kein leichtes Geplauder. Denn auf diesem Gebiet ist
Höge Spezialist.
„Erst Mal sind wir das ja alle“, sagt Höge. Citizen Scientists meint er,
oder eben, wie man deutsch sagen könnte: Bürgerforscher. Menschen also, die
einfach nur so, weil sie darauf Lust haben, oder weil die äußeren Umstände
sie dazu zwingen, Experten eines Themas geworden sind. Aber auch
Spezialisten, so wie Höge, aber das ist ja irgendwie dasselbe. Oder nicht?
Höge nimmt drei Blättchen zur Hand, leckt, klebt. Es wird ein ziemlich
breiter Fächer daraus.
„In der Linken habe das angefangen“, sagt Höge. Nicht das Kiffen, also das
bestimmt auch. Aber Höge meint den Forschungsdrang der Bürger. „Wir haben
doch in den Sechziger und Siebziger Jahren alle gelesen, wie blöd.“ Ahnung
wollte man haben, mitreden können, nicht dumm da stehen. Den Gegner mit
Argumenten bezwingen. „Da wurde auch kein Unterschied gemacht, zwischen
Studenten und Nicht-Studenten.“
## Die Bienen, die Elefanten, die Kühe
Höge legt Tabak auf den Blättchenfächer, wuzelt Dope zu Bröseln (oder
bröselt Dope zu Wutzeln?) und verteilt sie darauf.
Er war ein Student, der Höge, an der PH Berlin, der FU Berlin, der Uni
Paris VIII in Vincennes und an der Uni Bremen eingeschrieben. Das steht
zumindest in seinem Wikipedia-Eintrag. Ich habe recherchiert. Dort steht,
er unternahm ein „autodidaktisches Universalstudium“. „Er erwarb keinen
Studienabschluss“, steht da noch. Was ja heute eher ein trauriger Satz ist.
Auf den ersten Blick zumindest. So viel Mühe und keine Resultat und so...
All die Zeit, ganz um sonst... „Was? Nein! Zum Glück!“, sagt Höge. „Das…
mir gar nicht in den Sinn. Das war früher verpönt, dass man auf einen
Abschluss studiert.“ Die ganzen Kommunisten an der Uni, die immer geweint
hätten, wenn sie mal eine 2 bekamen? „Das fand ich immer eher peinlich.“
Als Höge fertig ist, also mit dem Joint, nicht mit dem Thema, da ist er
noch lange nicht fertig. Als also der Joint fertig ist, ist er imposant.
Daumendick und durchaus Ehrfurcht einflößend. Mit so einem eingedrückten
Deckel oben drauf. Höge steckt den Joint an.
Er war nicht nur Student, sondern er hat auch in der Landwirtschaft
gearbeitet, und als Zoowärter. Also genauer gesagt, als Übersetzer im Büro
eines Tierhändlers in Bremen, eines indischen Tierhändler in Bremen, der
Tiere an Zoos lieferte, diese tauschte, ein Elefant gegen zwei weiße Tiger.
„Aber ich war nicht nur im Büro“, sagt Höge. „Die Pfleger fielen oft aus
und mir war das nur recht.“ Einmal musste er sogar einen Elefanten von
Bremen nach Berlin begleiten, im Zug, dreieinhalb Tage lang. Höge lag neben
dem Elefanten im Stroh.
Deshalb nun also die Tiergeschichten. Die Bienen, die Elefanten, die Kühe,
die Menschenaffen, die Katzen. Über sie alle hat Höge schon geschrieben. In
er taz und in seinen Büchern. Ohne Biologie studiert zu haben, wie er das
mal vor hatte. Als Bürgerforscher Höge sozusagen.
## Demokratisierung des Wissens
Wir rauchen. Die Asche des Joints brennt sehr, sehr gleichmäßig herunter.
Keine lodernden Ecken, die man dann auf der anderen Seite anlecken muss.
Auch im Jointbauen ist Höge Experte. Oder Spezialist? Na egal. Auf jeden
Fall ein Kenner.
Wir rauchen und ich werde immer langsamer im Kopf. Höge assoziiert frei vor
sich hin. Er ist ja der Experte, gibt sich selbst Stichworte, die er
leichtfüssig aufgreift, um thematisch immer weiter zu tänzeln, also verbal.
Ich komme langsam nicht mehr so ganz mit.
„In Berlin wurde das so zugespitzt“
„Was?“
„So was wie die Genialen Dilletanten.“
„Hä?“
„Na, Wolfgang Müller.“
„Aha?“
„Darwin, Marx, Humboldt, die waren alle Bürgerforscher.“
„Hm“.
Erst jetzt beim Schreiben wird mir klar, was er eigentlich gemeint hat. Als
sich der Nebel langsam wieder lichtet. Geschichte nämlich. Früher, als die
Universitäten und die Forschungsrichtungen noch nicht so spezialisiert
waren, da seien alle Bürgerforscher gewesen, also Generalisten, statt
Spezialisten. Und jetzt, werde das wieder mehr und mehr so. Weil die
Forscher das gar nicht mehr alles erledigen können, das ganze Datensammeln.
Die Forscher profitieren von den Bürgerforschern. Die Vogelforscher zum
Beispiel, die schaffen das ja alles gar nicht. „Weil die Vögel so verdammt
beweglich sind.“
Also müssen andere für sie beobachten, für die Forscher, weil die ja keine
Zeit mehr haben. Und die Daten stellen sie dann ins Internet. Auf
[2][eBird] zum Beispiel. Überhaupt das Internet: Demokratisierung des
Wissens. Unendliche Informationsquelle. „Aber wenn man gründlich sein will,
muss man auch in die Bibliothek gehen“, sagt Höge. „Für viele Information…
ist das Internet noch zu jung.“
## Techno im Keller
Und dann ist da noch Bruno Latour, ein französischer Soziologe und
Philosoph. Wir müssen alle Mitreder werden, sagt der. Also sagt Höge, aber
der zitiert jetzt Latour, wie so oft. Wir müssen uns selbst informieren,
sagt Latour (durch Höge), weil die Forschung das Labor längst verlassen
habe und uns an allen Ecken und Enden betrifft. Ökologie, Klima,
Atomforschung, Landwirtschaft, Höge ist in seinem Element. Im
Latour-Element.
Ich will aber zurück zu Höge und den Tieren. Latour ist interessant, aber
mir grad zu kompliziert. Höge tut mir den Gefallen. Und erzählt von
Fruchtfliegen.
Warum er sich für all das interessiert, will ich wissen. Ich schreibe nur
über Tiere, die ich selbst mal hatte, sagt er und zählt auf: Kraniche,
Enten, Vögel (okay, Kraniche und Enten sind auch Vögel), Fische, Katzen,
Hunde, Ziegenbock, Eidechsen, Schlangen, Krebs, Meerschweinchen, ne weiße
Ratte, Pferde, Vögel? Ach das hab ich schon gesagt.
Die Fruchtfliegen also. „Weißt Du, wie sich Drosophilae paaren?“ fragt
Höge. Ich schüttle den Kopf „Sie stehen sich gegenüber und immer einer
tritt vor und zurück und tanzt. Ist das nicht süß?“ Das ist ein Niveau, auf
dem ich folgen kann.
Wir sind mittlerweile beim zweiten Joint angekommen, der ebenso perfekt und
imposant ist, wie der erste – Höge, der Expertenspezialist, das hatten wir
bereits. Das Annekdotische liegt uns jetzt besser.
Wir reisen einmal um die Welt, plaudern über Dingos in Australien (die
immer mehr verhunden), über Bakterien in der Antartiks (oder in der
Arktis?), die sich nur alle Jubeljahre mal teilen, über Poller, die überall
auf der Straße und Gehwegen herumstehen und hinter denen eine ganze Mafia
steckt und über Glühbirnen sowieso. Schon mal darüber nachgedacht, warum es
keine Glühbirnen gibt, die ein Leben lang brennen? Eben.
Höge ist nämlich nicht nur Tierexperte, sondern auch Poller und
Glühbirnenforscher. Angefangen habe das alles im Fischbüro, einer Kneipe
„Am Ende der Welt“, in der Köpeniker Straße in Berlin. „Das war das ers…
Mal, dass mir das richtig gut gefallen hat“, sagt Höge, den Ansatz des
Forschens auf alles mögliche anzuwenden.“ Am Tresen habe es da einen Spruch
gegeben: Machen wir jetzt noch eine Bierforschung, oder schon eine
Nachhausegehforschung? Nee, machen wir lieber erstmal noch eine
Dönerforschung. Dann haben dort alle möglichen Leute spontan einen Vortrag
gehalten. Und Techno gehört, im Keller, eher die anderen als Höge, aber
Höge war auch dabei. „Scratch Art nannte man das“, sagt er. „Aber für m…
war das alles nichts Neues. Ich hatte ja in Frankfurt schon mit Westbam zu
tun.“
Aber das führt jetzt echt zu weit.
Machen Sie das auch? An etwas forschen, einfach weil sie Lust dazu haben?
Oder weil sie nicht ertragen können, dass es dazu keine Forschung gibt?
Oder die falsche? Oder finden Sie eher, dass man sich nur mit einem
Universitätsabschluss Forscher nennen darf?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Exzellenzinitiative aus dem Plattenbau“ über Menschen,
die auf ihrem Gebiet zu Experten geworden sind, lesen Sie in der [3][taz.
am wochenende vom 30./31. August 2014].
30 Aug 2014
## LINKS
[1] http://https
[2] http://ebird.org/
[3] /Ausgabe-vom-30-/-31-August-2014/!144988/
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
Auf 13 Joints mit Helmut Höge
Citizen Science
Bürgerwissenschaft
Buch
Auf 13 Joints mit Helmut Höge
Bienen
Oradexon
Cannabis
Erbe
Auf 13 Joints mit Helmut Höge
Kiffen
Wissenschaftsladen
Nachruf
Helmut Höge
Berlin
taz.gazete
Auf 13 Joints mit Helmut Höge
Auf 13 Joints mit Helmut Höge
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Sommer in der Bücherei
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Universalgelehrter. Wir
treffen uns mit ihm auf 13 Joints – oder so. Teil 13: Expertenwissen.
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Er ist kein Freund der Männerkultur
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Universalgelehrter. Wir
treffen uns mit ihm auf 13 Joints – oder so. Teil 11: die Türkei.
Schimpansen-Forscherin in Berlin: Summen für die Umwelt
Jane Goodall zu Gast in Berlin: Die bekannte Verhaltensforscherin eröffnet
ein Bienen-Hotel.
Drogen aus Tiermedikamenten: Hundsmäßig druff
Partygänger, Sportler und Prostituierte haben neue Wege gefunden, um sich
zu dopen: Ketamin ist nicht das einzige Tiermedikament, das konsumiert
wird.
Seniorinnen kiffen zum ersten Mal: „Hihihi“
Ein Youtube-Video zeigt drei ältere Frauen dabei, wie sie zum ersten Mal in
ihrem Leben kiffen. Danach müssen sie mit Bauklötzen und Karten spielen.
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Mercedes für den Vietcong
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Universalgelehrter. Wir
treffen uns mit ihm auf 13 Joints – oder so. Teil 11: Sterben und Erben.
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: „Ideologischer Kack“ ins Nichts
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen
uns mit ihm auf 13 Joints – oder so. Diesmal: Extremismus und Dschihad.
Verwaltungsgerichts-Urteil: Null-Toleranz für Kiffer am Steuer
Der Führerschein ist auch weiterhin schon beim Nachweis geringster Mengen
THC weg. Damit wies ein Leipziger Gericht die Klage eines BWL-Studenten ab.
Kolumne Wirtschaftsweisen: Es geht zurück!
Beispiele für das derzeit angesagte "Degrowth" oder Negativwachstum finden
sich in älterer und jüngerer Zeit viele: vom Gaskonzern bis zum Biobauern.
30 Jahre Wissenschaftsladen in Bonn: Einmal Wissenschaft für alle, bitte
Der größte deutsche Wissenschaftsladen feiert Jubiläum. Auf seine
basisdemokratischen Strukturen sind die Betreiber sehr stolz.
Nachruf auf Klaus Zapf: Sein letzter Umzug
Der Unternehmer Klaus Zapf formte aus einem Umzugskollektiv eine
millionenschwere Firma. Am Mittwoch ist er im Alter von 62 Jahren
gestorben.
Helmut-Höge-Preisung: Die Wahrheit halluzinieren
In Bewegung bleiben, weggehen und hundert Blumen wuchern lassen. So was wie
ein Interview mit Helmut Höge.
Formen des Protests: Voll in die Parade gefahren
Die berauschende Wirkung von Umzügen spürt man immer seltener. Gedanken zum
Protest- und Demowesen anlässlich der Hanfparade in Berlin.
Kolumne Wirtschaftsweise: Männer sind schon als Baby blau
Die einen werden blau, die anderen sind es schon: Über Blue Man Groups in
Berlin.
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: „Arbeit würde ich es nicht nennen“
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen
uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 8: Berufsperspektiven.
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Von Spionen und Stimmenhörern
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen
uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Thema diesmal: NSA und Facebook.
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Die Pflanzen schwer vor Wasser
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen
uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Thema diesmal: Landwirtschaft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.