# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Es geht zurück! | |
> Beispiele für das derzeit angesagte "Degrowth" oder Negativwachstum | |
> finden sich in älterer und jüngerer Zeit viele: vom Gaskonzern bis zum | |
> Biobauern. | |
Bild: "Degrowth" bei Kühen: heißt nicht, dass sie kleiner werden sollen. Aber… | |
Wenn ich die Bewegungen „Degrowth“ und „Zurück zum Bauernhof – Wir hab… | |
satt“ sowie die Veganer- und Tierschützer-Bewegung richtig verstanden habe, | |
dann müssen wir noch einmal auf den „realen Sozialismus“ zurückkommen, den | |
Enzensberger einst „als höchste Stufe der Unterentwicklung“ abtat. Heute | |
würde man jedoch statt von Unterentwicklung eher von Negativwachstum oder | |
Gesundschrumpfung sprechen. | |
Beispiele für „Weniger ist Mehr“ gibt es selbst in großen Organisationen: | |
Im April 1999 lud die OAO Gazprom – der weltgrößte Gaskonzern, das auf | |
Aktienbasis privatisierte ehemalige Energieministerium der UDSSR – rund 100 | |
Gasmanager und -Experten aus der ganzen Welt ins Berliner Hotel Adlon. Es | |
ging um das Ende des Gebietsschutzes der nationalen Gaskonzerne und die | |
Privatisierung der Gasnetzzugänge, wovon diese Branche sich ungeahnte | |
Profite versprach. Holland, dessen „Gasunie“ immer noch das größte | |
europäische Versorgungsunternehmen ist, hatte einen Manager auf die | |
Konferenz geschickt, der alle anderen schockte mit seinem Vortrag, in dem | |
er ausführlich erklärte, warum sein Konzern jährlich mehrere Millionen | |
Gulden ausgebe, um die Verbraucher darüber aufzuklären, wie sie weniger Gas | |
verbrauchen können. Das hörte sich unter all diesen Profitrittern geradezu | |
aberwitzig an – und wurde dann in den anschließenden Berichten über die | |
Konferenz auch gar nicht erwähnt. | |
Als Beispiel aus einer kleinen Wirtschaftseinheit sei der Hof des Biobauern | |
Matthias Stührwoldt bei Bad Segeberg erwähnt, der seine Kuhherde um drei | |
Tiere verkleinert, denn er möchte wieder welche mit Hörnern halten. Dazu | |
muss jedoch zuvor der Stall umgebaut werden, wodurch drei Liegeplätze | |
wegfallen. Daneben hat er 30 Hektar Pachtland abgegeben. | |
Auf einer taz-Veranstaltung in Hamburg verriet er mir kürzlich, dass er mit | |
seinen Kolumnen in der Unabhängigen Bauernstimme, seinen Büchern und seinen | |
Auftritten bei Landfrauen- und Jungbauernverbänden, in Buchläden und | |
Kulturzentren inzwischen mehr Geld verdiene als mit seiner Milchwirtschaft. | |
Er könne Letztere jedoch nicht aufgeben, da es zu seinem | |
Schriftstellerimage gehöre, dass er Bauer sei, dazu noch ein politisch | |
aktiver. | |
Stührwoldt bewegt sich politökonomisch zwischen der industrialisierten | |
Landwirtschaft – die gemäß der andauernden EU-Politik „wachsen oder | |
weichen“ ständig expandiert, um auch noch die entferntesten Märkte bedienen | |
zu können –und den „echten Bauern“, über die der Wiener Soziologe Roland | |
Girtler eine Studie veröffentlichte. Den „echten Bauern“ fand er indes nur | |
noch im indischen Gujarat und im rumänischen Siebenbürgen. Gleich am Anfang | |
heißt es in der Studie, „dass sich seit über 5.000 Jahren, als der Mensch | |
sesshaft wurde, in unseren Breiten nicht so viel geändert hat wie nach dem | |
letzten Krieg und vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. | |
Jahrhunderts, als bei uns die alte bäuerliche Kultur allmählich zu Ende | |
ging“. | |
Der „echte Bauer“ stellt laut Girtler „so ziemlich alles, was er zum Leben | |
braucht, selbst her. Er übersteht Krisenzeiten wie Kriege mit Würde und | |
Tüchtigkeit. Er widerspricht einer langweiligen, konformistischen | |
Konsumkultur, „indem er darauf besteht, auch in Zukunft Hand- und | |
Kopfarbeit nicht zu trennen“. Heute hingegen werde der Bauer „dirigiert und | |
geknechtet“. | |
Der Schriftsteller Alexander Tisma meinte, in Serbien gab es nie eine | |
bürgerliche Kultur. Deswegen kamen die Bauern auch während der | |
Bombardierungen in die Stadt – ohne den Preis für ihre Produkte zu erhöhen. | |
10 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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