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# taz.de -- Degrowth-Aktivistin über Klimacamp: „Wir sind in der Pflicht“
> Ein Klimacamp im Rheinland will die Gesellschaft von morgen leben.
> Veranstalterin Ruth Krohn über mögliche Lösungsansätze und Ziele.
Bild: Im Kühlschrank muss nicht immer mehr Essen liegen
taz: Frau Krohn, am Wochenende treffen sich rund 400 Menschen auf einer
Wiese irgendwo im Rheinland. Was ist da los?
Ruth Krohn: Wir veranstalten zum zweiten Mal die Degrowth-Sommerschule mit
dem Ziel, Bewegungen miteinander zu vernetzen. Auf einem großen Gelände
bieten wir die Infrastruktur für Kurse und Workshops, ein buntes Zirkuszelt
dient als Plenumssaal, und eine Küchencrew wird alle mit Essen versorgen.
Das Camp ist ein Ort, an dem schon heute die Gesellschaft von morgen gelebt
wird.
Werden wir in der Postwachstumsgesellschaft alle zelten?
In meiner Utopie werden wir nicht alle zelten. Könnten wir aber, wenn es
das ist, was alle wollen. Degrowth bedeutet nicht, zurückzugehen in eine
weniger entwickelte Welt.
Sondern?
Der Grundsatz von Degrowth lautet: In einer Welt mit begrenzten Ressourcen
ist unendliches Wachstum nicht möglich. Wenn wir ein gutes Leben für alle
wollen, dann müssen wir im globalen Norden aufhören zu wachsen. Aber es
gibt Sektoren wie die erneuerbare Energie, in denen Wachstum sinnvoll ist.
Wir müssen also schauen, wo wirkt Wachstum wie. Unsere Ausrichtung auf dem
Klimacamp ist systemkritisch. Wir wollen bestehende Herrschaftsverhältnisse
aufbrechen und Produktion und Konsum verändern. Das geht nur mit einer
sozialökologischen Transformation. Die Grundlage dafür ist die Vernetzung
mit anderen Bewegungen, die unsere Interessen teilen, wie zum Beispiel die
feministische oder die antirassistische Bewegung.
Aber so eine Transformation kommt doch nicht ohne Verteilungskämpfe aus.
Die Degrowth-Bewegung kommt aus dem globalen Norden. Die Elite und die
Reichen des globalen Nordens sind zuerst in der Pflicht, ihr Wachstum zu
minimieren, damit alle Menschen am Guten Leben teilhaben können. Das
kapitalistische Wachstum und die bestehenden Herrschaftsstrukturen treiben
globale Ungerechtigkeit an. Deswegen müssen wir die Gesellschaft neu
organisieren. Wenn es nach mir geht, auf gewaltfreie Art.
Aber wie sieht die Transformation im Konkreten aus?
Wenn wir alle im Bioladen einkaufen, haben wir noch keine Transformation,
denn damit verändern wir das System nicht. Initiativen wie foodsharing sind
dagegen ein gutes Beispiel dafür, wie Transformation schon jetzt umgesetzt
werden kann. Wer von Essen lebt, das sonst weggeschmissen würde,
unterstützt das kapitalistische System nicht länger. Und wer lernt, Dinge
zu reparieren oder selbst zu machen, verlässt die Wegwerfgesellschaft. Auf
dem Camp versuchen wir, die Transformation zu leben: Das Essen ist
regional, saisonal und vegan und der Strom kommt von einem selbstgebauten
Windrad.
Das Motto der Sommerschule lautet „Skills for System Change“: Welche
Fähigkeiten braucht eine Bewegung, um eine Alternative zu bieten?
Wir brauchen Fähigkeiten auf drei verschiedenen Ebenen: der persönlichen,
der organisatorischen und der theoretischen. Das Bildungsangebot der
Sommerschule deckt alle drei Ebenen ab: Wie lege ich ein Hochbeet an? Wie
moderiere ich eine Großgruppe? Was können wir von ähnlichen Bewegungen in
Südamerika lernen?
Wer nimmt an so einem Camp teil?
Die Menschen, die sich angemeldet haben, sind sehr divers und reisen aus
der ganzen Welt an. Viele Leute kommen aus der Anti-AKW- oder
Klimagerechtigkeit-Bewegung. Wir ziehen aber auch viele Studierende an, die
vielleicht noch nicht so tief in den Themen drinstecken.
Sie waren in der Hochschulgruppe der Grünen in Magdeburg aktiv. Wird es
eine Partei wie die Grünen nach der Transformation noch geben?
Die Grüne Partei treibt gerade den Green New Deal sehr stark voran, der
Effizienzsteigerung und technische Großinnovationen als Lösung vorschlägt.
Das steht dem Grundgedanken von Degrowth entgegen. Solange wir wachsen,
treiben wir Klimawandel und globale Ungerechtigkeit weiter an. Ich verstehe
unter Demokratie etwas anderes als die sogenannte repräsentative
Demokratie, in der wir leben. Ich finde es einfach undemokratisch, wenn
große Lobbyverbände wichtige Entscheidungen treffen, und kann mir eher ein
anarchistisches Rätesystem vorstellen. Also nein, die Grüne Partei wird es
in meiner Utopie nicht mehr geben.
17 Aug 2016
## AUTOREN
leonie Sontheimer
## TAGS
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Duisburg
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