# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Der Bauer klatscht und erntet Kacke | |
> Wenn Stadtbewohner aufs Land ziehen und dabei Konflikte entstehen – etwa, | |
> weil sie den Dorfbewohnern ihren Lebensstil aufzwingen. | |
Bild: So sieht es aus, wenn Jungbäuerinnen sich von Städtern inspirieren lass… | |
Der Schriftsteller Geert Mak hat 1996 den „Untergang des Dorfes in Europa“ | |
an einem friesischen Ex-Dorf namens Jorwerd nachgezeichnet. Was von den | |
Dörfern übrig geblieben ist, verschließt sich nun immer mehr der Natur, | |
während die Städte sich ihr öffnen, bemerkte der Münchner Ökologe Josef | |
Reichholf. Dennoch wird das sich entleerende (Um-) Land für die | |
naturliebenden Städter immer attraktiver. | |
Bisher hat es vornehmlich zwei soziale Gruppen aufs Land gezogen: zum einen | |
Selbständige mit zu viel Geld und zum anderen welche mit zu wenig Geld. Von | |
„oberer Mittelschicht“ und „Studenten/‚Aussteiger‘“ sprachen | |
Sozialwissenschaftler, die vor 1989 den Spuren der Protagonisten einer | |
„Revitalisierung der Dörfer“ in Hessen nachgegangen waren. Nur von den | |
„Habenichtsen“ erwarteten diese eine Aneignung der dörflichen Erfahrungen | |
und kulturellen Eigenarten, während die Wohlhabenden den Dörflern eher | |
besserwisserisch kämen. | |
Nach allem, was man von dieser „Stadtflucht“ weiß, zwingt die wohlhabende | |
Mittelschicht ihrer neuen (dörflichen) Umgebung vor allem mit juristischen | |
Mitteln einen neuen „Lebensstil“ auf. So haben es die aus der Stadt in ein | |
Dorf Gezogenen einem Bauern gerichtlich verbieten lassen, dass seine Kühe, | |
wenn er sie durch den Ort auf die Weide treibt, auf die Straße kacken, weil | |
ihre Autos dadurch verdreckt werden. Er gab aber nicht klein bei, sondern | |
trainierte seiner 16-köpfigen Herde das Scheißen zwischen Stall und Weide | |
ab. Sie tun das jetzt erst, wenn sie von der Straße runter sind und er in | |
die Hände geklatscht hat. | |
Nun soll er seinen Misthaufen auf dem Hof hinters Dorf schaffen – wegen des | |
Gestanks und der Fliegen. Der Streit ist noch nicht entschieden. Es häufen | |
sich ähnliche Fälle in den Gerichten der Kreisstädte. Das Problem ist, dass | |
Stadt und Dorf ein anderes Konfliktlösungsverhalten haben, was sich im | |
Ost-West-Falle als Klassenkampf und Klassenjustiz geriert. | |
Grob gesagt holt man beim nahezu unbekannten Nachbarn in einem | |
großstädtischen Mietshaus die Polizei, wenn er nach zweimaligem Beschweren | |
die Musik nicht leiser macht. Im Dorf erträgt man Derartiges eher und wirkt | |
auf die Nachbarn ein. Bis in die siebziger Jahre kam in unserem | |
norddeutschen Dorf der Bürgermeister noch aufs Feld zu den Bauern, um sie | |
zu fragen: „Ich muss deinen Sohn zur Wehrerfassung melden. Willst du, dass | |
er zur Bundeswehr geht? Wenn der Bauer sagte: „Um Gottes willen, den brauch | |
ich, du weißt, mein kaputtes Kreuz …“ Dann hat er den Sohn nicht gemeldet. | |
Einmal stieg ich am Ökobahnhof „Kloster Chorin“ aus und schnüffelte im | |
„Ökodorf Brodowin“ herum. Als ich dann darüber schrieb, bekam ich Briefe | |
von Brodowinern, die meinten, ich hätte mich von der freundlichen | |
Oberfläche des Dorfes blenden lassen und hätte nicht einmal erwähnt, dass | |
ein reicher Wessi im „Ökodorf-Projekt“ der flächenmäßig größten deuts… | |
Bio-LPG das Sagen habe: „Bauernland in Junkerhand“. | |
All diese Zwielichtigkeiten zwischen Alteingesessenen und | |
Neuhinzugezogenen, Kopf- und Handarbeitern, Ostlern und Westlern | |
thematisiert die Zeitung von Strohdehne Wahrsager 2016. Zur Beantwortung | |
der darin gestellten Frage „Gehört die Kuh ins Dorf?“ diente das 174 Tage | |
dauernde Kunstprojekt „Versorgungsengpass“, das in der Mitte des | |
Elbe-Fischerdorfes einen „Kulturversorgungsraum“ mit Kiosk betrieb. | |
26 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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