# taz.de -- Beruf: Festival-Veranstalter: Sommer-Ökonomie am See | |
> Mit Festivals kann heute quasi jedermann Geld verdienen. Im Idealfall | |
> sind Anbieter und Besucher am Ende sogar identisch. | |
Bild: Noch ist die Nachfrage größer als das Angebot: Festivals gehen immer | |
Für den Anarchisten Erich Mühsam setzte sich die Boheme aus „Verbrechern, | |
Landstreichern, Huren und Künstlern“ zusammen. An allen vieren hat Berlin | |
reichlich. Sie „weisen einer neuen Kultur die Wege“, wird Mühsam im | |
Aufsatzband „Boheme nach '68“ zitiert, um sodann ihre Entwicklung bis zur | |
„digitalen Boheme“ (2006) zu verfolgen. Ab da schälte sich aus den vier | |
genannten Gruppen ein Berufsbild heraus: der Festival-Veranstalter. | |
Er arbeitet, wenn andere Urlaub machen, indem er mit vielen freiwilligen | |
Helfern („Volunteers“, „Praktikanten“) im Sommer ein Open-Air-Festival, | |
möglichst auf einem verlassenen Militärflughafen an einem See, organisiert. | |
Seine Wirtschaftsform reicht vom politischen Kollektiv, in dem Frauen | |
dominieren, über den leicht verdrogten ehemaligen Clubbesitzer, der sich | |
mit alten Kumpeln zusammengetan hat, bis zum großkreditwürdigen | |
Eventkonzern, dessen Scouts lohnendes Engagement auf den Sektoren Techno, | |
Psychedelic, Goa, Trance signalisierten. Für ihn zählen einzig Zahlen. | |
So klagt etwa Folkert Koopmann von der „FKP Scorpio Konzertproduktionen | |
GmbH“, der im Süden mit 130 DJs das „Southside Festival“ und im Norden d… | |
„Hurricane-Festival“ veranstaltet, dass die großen Festivalveranstalter | |
Marek Lieberberg Konzertagentur und Deutsche Entertainment AG ihm die | |
besten Bands aus dem „Headliner-Bereich wegschnappen“. Aber „wenn man wei… | |
dass ein Musiker 3.000 Leute zu seinem Konzert zieht, dann aber 500.000 | |
Euro fordert, dann steht das nicht mehr im Verhältnis“. | |
Die zur „Festival-Boheme“ zusammengewürfelten „Verbrecher, Landstreicher, | |
Huren und Künstler“ haben unterschiedliche Präferenzen. So waren bei den | |
etwa 500 Leuten, die das „Artbase Festival Grabowsee“ besuchten, fast alle | |
Künstler, meinte eine der Cateringgruppen, die selbst aus „Lebenskünstlern�… | |
bestand. Auf anderen Festivals wird mehr Wert auf Drogen gelegt, wenn man | |
so sagen darf – nicht zuletzt, um zum Beispiel mit Christal Meth drei | |
sagenhafte Tage lang quasi durchzuvögeln. | |
Beim Musikfestival „SonneMondSterne“ am Bleilochstausee, das die Seekers | |
Event GmbH in Jena veranstaltet, konnte die Polizei bereits am ersten Tag | |
„300 Drogendelikte aufklären“. Auf dem studentischen „Fuchsbau-Festival�… | |
Lehrte ging es dagegen eher kulturpolitisch zu, eine | |
Diskussionsveranstaltung hieß dort: „Wofür kämpfen wir 2017?“ Die | |
Organisatoren kommen von der Uni Hannover, um die etwa 1.000 Besucher zu | |
„händeln“, brauchten sie über 200 „Mitarbeiter“ und natürlich eine g… | |
Risikobereitschaft – keine Angst vor Schulden. | |
Aber das Risiko ist gering: Erstens übersteigt die Nachfrage noch immer das | |
Angebot und dieses ist noch längst nicht konzeptionell ausentwickelt | |
beziehungsweise kommerziell ausgeschöpft. Zweitens verteilt sich das Risiko | |
auf die Gruppen und Firmen, die mehr oder weniger vegetarisches Essen und | |
exotische Getränke anbieten, sowie jede Menge Paraphernalia. Der Verein | |
„Ourworld Festival“ in Auerstedt, der seine hippiesk beworbene | |
Veranstaltung wegen Unwetter abbrach, will einen Teil der Ticketkosten | |
zurückerstatten. Allein 55.600 Euro kamen durch „Crowdfunding“ herein. | |
Etwas zurückgeben wollten auch die Veranstalter des polnischen Festivals | |
„Haltestelle Woodstock“ bei Küstrin, zu dem 750.000 Besucher anreisten. Es | |
wird von einer Stiftung organisiert, die sich damit bei den Spendern für | |
Kinderkrankenhäuser bedankt. Der Eintritt ist frei: „Umsonst und Draußen“. | |
Im Idealfall werden Veranstalter und Besucher identisch. In diese Richtung | |
bewegen sich die durch das allsommerliche Festivalland streichenden | |
Bohemiens, schon allein um das mitunter sehr hohe Eintrittsgeld | |
„abzuarbeiten“ – eine Art von bargeldloser Geschäftigkeit. Nicht selten | |
sind sie mit ausgebauten Kleinlastern, Wohnwagenanhängern oder Wohnwagen | |
mit Zugmaschinen unterwegs. Auf dem „Fusion-Festival“ in Lärz beeindruckte | |
ein Besucher, der seinen Lkw zu einem buddhistischen Kloster ausgebaut | |
hatte: „Das Auge kifft ja mit“, meinte er. | |
28 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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