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# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Der Bürger wird zum Bittsteller
> Asymmetrische Kriegsführung: Die „Kontopflicht“ wird zur Lebensführung
> notwendig. Das bargeldlose Bezahlen ist da nur ein folgerichtiger
> Schritt.
Bild: Schon ein Auslaufmodell – der Rest der Geldscheine und Münzen könnte …
|Asymmetrische Kriegsführung – dieser in Berlin von einem Clausewitzbold*
popularisierte Begriff taugt auch zum Verstehen des Umgangs von Behörden
und privatisierten Ämtern mit „ihren“ Bürgern. So wurde zum Beispiel die
Sparkasse gegründet, um die „unteren Schichten“ zur Sparsamkeit anzuhalten.
Heutzutage agitieren sie ihre Kunden, ihr Geld in riskante Anlagen zu
„investieren“. Gleichzeitig wurde aus der Freude über den Besitz eines
kleinen Sparkontos die Pflicht, ein Konto zu „führen“: Auf immer mehr
Rechnungsformularen steht nun: „Der Begünstigte muss mit dem Kontobesitzer
identisch sein“. Man kann also nicht mehr sein „Honorar“ irgendwohin
überweisen lassen, um es dort „in bar“ abzuholen.
Gleichzeitig entledigen sich die „Sparkassen“ und Banken immer mehr Kunden,
deren klammes Konto kaum noch „Bewegung“ verzeichnet. Neue Kontobeantrager,
die nur wenig Zinsen und „Bearbeitungsgebühren“ versprechen oder – Gott
behüte – bei der Schufa-Bonitäts-Auskunftei registriert sind, lehnen sie
sogar ab.
Als daraufhin langsam klar wurde, „Analog war besser!“, griff die Regierung
ein: Erstens müssen die „Kreditinstitute“ seit 2010 für finanziell
besonders Bedrängte „pfändungssichere“, sogenannte „P-Konten“,
bereithalten, für die ein „Pfändungsfreibetrag von derzeit 1.029 Euro im
Monat gilt.
Zweitens müssen sie ab Mitte 2016 für alle Armen, Obdachlosen und
Asylsuchenden sogenannte „Basiskonten“ zulassen. Sie können also niemanden
mehr abweisen. Man kann aber davon ausgehen, dass diese scheinbare
Verbesserung sich umdreht – in einen Zwang, das heißt zur „Kontopflicht“
wird, die zur „Lebensführung“ notwendig ist. Der Chef des Bundesverbandes
der Verbraucherzentralen begrüßte diese Androhung der Bundesregierung
bereits: „Dass das Girokonto für jedermann kommt, ist ein Meilenstein für
Verbraucher“, meinte er.
## Der schwedische Weg
Ein Meilenstein auf dem „schwedischen Weg“: Dort will man den
Bargeldverkehr ganz abschaffen: eine brauchbare Idee, um alle analog
Verdienenden (Schwarzarbeiter, Straßenmusiker, Bettler, Drogendealer und
fliegenden Händler) endgültig zu liquidieren. Schon jetzt muss man in
Schweden jeden „Coffee to go“ mit Kreditkarte zahlen.
In Deutschland haben knapp eine Million Bürger kein Konto. Sie müssen sich
darauf gefasst machen: „Die Bargeld-Abschaffung kommt ganz sicher,“ wie
Focus titelte.
Auch die Künstlersozialkasse (KSK), die von Kapital- und staatlicher Seite
kofinanziert wird und deswegen billiger als „normale“ Krankenversicherungen
ist und einen zugleich auch noch rentenversichert, erinnerte sich nach der
neoliberalen Wiedervereinigungsscheiße, dass sie eine Pflichtversicherung
ist. Sie nahm jedoch nicht jeden „Künstler“ mehr auf, sondern im Gegenteil
schmiss sie vermehrt Beitragszahlungsvergessene und unfähige
Formularausfüller immer zügiger raus.
Der Berliner Sachbuchautor Falko Hennig postete jüngst auf Facebook: „Mein
bisher größter Erfolg des Jahres: Die KSK hat meinen Ausschluss rückgängig
gemacht. Darauf einen alkoholfreien Sekt!“
## Von Höflichkeit keine Spur
Vielen Journalisten, die es wegen der „Printmedienkrise“ besonders hart
traf, raten ihre „Arbeitgeber“, sich im deutschen Presseversorgungswerk
(PVW) anzumelden. Das ist irreführend: auch das PVW ist eine
„Pflichtveranstaltung“ – zur Altersfinanzierung. Deswegen darf man dort
ebenfalls keine Höflichkeit gegenüber den Kunden erwarten, sondern muss es
sich gefallen lassen, dass man schon bei der ersten telefonischen Auskunft
angeherrscht wird: Man hätte sich längst anmelden müssen! Dieser Ton gilt
jedoch nicht für gutbetuchte Anmelder, ihnen wird als „Kunde“ eine „weit
überdurchschnittliche Gewinnbeteiligung“ mit der PVW-“Produktvariante
‚Perspektive‘“ angeboten.
Auch die Rentenversicherungsanstalt macht einen auf Wirtschaftskonzern:
Rentenbeantrager, die Unterlagen nachreichen müssen, mahnt sie: „Eilt
sehr!“ Dabei könnte höchstens der Rentenempfänger die Anstalt zur Eile
antreiben – weil er vielleicht nicht mehr lange lebt. Aber es geht hier wie
auch bei den anderen erwähnten Institutionen um das Prinzip: Der Bürger ist
ein Bittsteller, dem man das beibringen muss! Und je mehr von „Kunde“ oder
„Klient“ die Rede ist desto nachhaltiger.
*Herfried Münkler, Kriegstheoretiker der Humboldt-Uni, der den Begriff
„asymmetrische Kriegsführung“ für die Bekämpfung von Terroristen,
Untergrundbewegungen, Verbrecherbanden etc. anwendet.
16 May 2016
## AUTOREN
Helmut Höge
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Windparks
Flüchtlinge
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