| # taz.de -- Festival „Rencontres Transmusicales“: Von Lichtmischern und Gif… | |
| > Auf dem Festival in der Bretagne werden internationale Stars gemacht. Was | |
| > aber nervt, sind die Kotzehaufen und Bodenpisserinnen. | |
| Bild: Flora Fishbach lächelt nie, zündet sich aber gern die ein oder andere F… | |
| Bald schon feiert das Musikfestival „Rencontres Transmusicales“ im | |
| bretonischen Rennes sein 40. Jubiläum, aber jetzt feiert es erst mal die | |
| Krise: „Musique de Crise“, so hat ein fideler französischer A&R-Manager den | |
| Sound der Pariser Künstlerin Flora Fishbach getauft, die dieses Jahr auf | |
| persönliche Einladung von Jean-Louis Brossard, Festivalgründer und | |
| künstlerischen Direktor des Transmusicales, an fünf Tagen hintereinander im | |
| Theater L’Air Libre vor den Toren der Stadt umjubelte Konzerte gespielt | |
| hat. | |
| Ist diese ominöse „Musique de Crise“ ein Sound, der in der Luft eines | |
| Landes im Ausnahmezustand liegt? Musikalischer Aufschrei der prekären | |
| französischen Jugend? Oder doch bloß Hype-Delirium? Zu Fishbach später | |
| mehr. | |
| Als Kommentar zum Zeitgeschehen wirkt „Musique de Crise“ fast schon wieder | |
| ironisch; ob sich damit aktuelle Künstlerpersonen-Beschreibungen liefern | |
| lassen oder die Headmap des definitiven Poptrends zur Zeit erzeugt werden | |
| kann, bleibt abzuwarten. Und doch spricht einiges dafür, den Zustand | |
| allgemeiner körperlicher Dauererschöpfung im Social-Media-Alltag und eine | |
| daraus resultierende leise Verzweiflung unter der Lupe von „Musique de | |
| Crise“ zu betrachten. | |
| Am Donnerstag ließ sich all das feststellen beim Konzert von Laura Cahen | |
| aus Nancy, die zur Eröffnung der Reihe „Bars En Trans“ im kleinen | |
| Innenstadtclub Le Gatsby spielte. Die 26-Jährige ist eine Erscheinung, | |
| nicht nur, weil sie wie an diesem Abend, quer über ihren Augen einen | |
| breiten schwarzen Schminkstreifen aufgetragen hatte, coole Kriegsbemalung | |
| mit Manga-Comic-Anleihen. Ansonsten blieb Cahen friedlich, kam im eleganten | |
| schwarzen Jumpsuit daher, der ihren sehr ansehnlichen Rücken frei ließ. | |
| Musikalische Rückendeckung erhielt sie von einer superben Backingband. | |
| ## Der Abgrund hinter dem Vorhang | |
| Cahens Stimme klingt tough und verletzlich zugleich, abgeklärt bewegt sie | |
| sich auf der Bühne, suchend und dabei Sehnsucht erzeugend. Wenn sie Gitarre | |
| spielt, fallen minimalistische Riffs mit Drive ab, Stilelemente zwischen | |
| klassischem Chanson und lupenreinen Popsong ordnen sich unkonventionell an. | |
| Cahen mag lakonische Songtitel, etwa „Le Réverbère“, in dem der | |
| titelgebende Laternenmast in Ermangelung von menschlicher Zuneigung Wärme | |
| spendet. | |
| Cahens Vortrag bleibt unterkühlt, „Froid“ (Kalt) heißt einer ihrer | |
| einprägsamen Songs, die auf dem im Februar erscheinenden Debütalbum | |
| enthalten sein dürften. Man wird das Gefühl nicht los, direkt hinter dem | |
| Bühnenvorhang lauere der Abgrund, oder wenigstens dieser an die Tradition | |
| spröder französischer Sängerinnen wie Françoise Hardy gemahnende | |
| existenzialistische Ennui. Cahen geht dank ihrer Band einerseits | |
| rockistischer zu Werke als die Ahnen, andererseits auch verzinkter. Das | |
| Leben in der Gegenwart ist kompliziert, die Kriegsbemalung nicht nur Zierde | |
| – die junge Frau meint es ernst. | |
| Möglich, dass die Begeisterung auch vom Bühnenlicht getriggert wurde, | |
| bisweilen tauchte es Cahen in milde Dunkelheit, dann wurde sie von einem | |
| Kegel elegant verhüllt. Während des Konzerts bedankte sich Cahen auch bei | |
| ihrem eigenen Lichtmischer. Was in Deutschland Luxus ist, intelligente | |
| Bühnenbeleuchtung, ist in Frankreich Usus: Viele Künstler beschäftigen | |
| eigene Lichtmischer, sie sind – auch das undenkbar in Deutschland – | |
| zusammen mit den Musikern Angestellte der Plattenfirma. | |
| Auch etwas anderes sorgt für Planungssicherheit. In Frankreich gibt es eine | |
| Ticketing-Steuer: Pro Jahr kommen so bis zu 30 Millionen Euro | |
| Steuereinnahmen zusammen, die auf Konzertkarten erhoben werden und der | |
| französischen Urheberrechtsgesellschaft Sacem zugeführt werden. Diese | |
| fördert damit wiederum junge KünstlerInnen wie Laura Cahen. Manche murren | |
| allerdings, dieses Modell würde die Kreativität nicht automatisch | |
| verbessern. | |
| Aber ohne staatliche Hilfe läuft nichts. Cécile Moroux, eine junge | |
| französische Bookerin, erzählt davon, wie man in Paris Agenturen und | |
| kleinen Plattenfirmen die Existenz sichern will: Im 18. Arrondissement gibt | |
| es die Möglichkeit, bezahlbare Büros und Übungsräume zu nutzen, angesichts | |
| der hohen Mieten unerlässlich. | |
| ## Keine Zugpferde und Superstars, trotzdem kommen 20.000 | |
| Von solchen musikwirtschaftlichen Details will das Feierpublikum, das | |
| während der vier Tage Anfang Dezember nach Rennes kommt, nichts wissen. Das | |
| Alleinstellungsmerkmal der Transmusicales: Es ist ein Festival ohne | |
| Zugpferde und Superstars, trotzdem kommen pro Abend mehr als 20.000 | |
| Menschen. Stars werden in Rennes erst gemacht. Was dieses Jahr nervte, | |
| waren die Kotzehaufen und Bodenpisserinnen unter der feiernden Meute. | |
| Künstlerisch schlug negativ zu Buche, dass nirgends Global-Pop-Talente zu | |
| sehe waren, so wie in früheren Ausgaben. Dafür wurde am späteren | |
| Donnerstagabend beim Konzert der Band HMLTD (Happy Meal Limited) aus London | |
| eine Lanze für Glamrock gebrochen. Glitterdämmerung: Optisch bildeten HMLTD | |
| die Schnittmenge aus David Bowie, Killing Joke und Gay Bikers on Acid, | |
| wahrscheinlich stehen hinter dieser Crossdressing-Extravaganza mehrere | |
| Avon-Beraterinnen. Sänger Henry Spychalski im roten Anzug, Vokuhila, | |
| Plateausohlenschuhe, geschminkt, dann irgendwann halbnackt, na gut. | |
| Der Bassist trug zum rappelkurzen Blondschopf eine Chiffonbluse, seinen | |
| Mund zierte Lippenstift, während der Leadgitarrist mit schwarzem Netzhemd, | |
| Lederhose und Krümelmonster-Fransenjacke, irgendwann Atemprobleme hatte. | |
| Ist halt keine Funktionskleidung. Auch der Trevor-Horn-Klon am Keyboard und | |
| der Drummer mit der Löwenmähne übernahmen dankbar alles, was die | |
| Image-Mottenkiste hergab. Musikalisch kamen HMLTD nur schwer vom Fleck, die | |
| gesammelten Rock-’n’-Roll-Klischees von „Choo Choo Train“ bis „Childr… | |
| the Boogie“ reichten dennoch für 40 Minuten lustigen Trash. | |
| ## Es roch nach fermentiertem Gras, viele Zuschauer lächelten | |
| Glamrock hat Verwandtschaft beim Bombast, dessen FreundInnen am | |
| Samstagabend in der Kirche Chapelle Saint-Yves in der Altstadt von Rennes | |
| durchaus beseelt wurden. Ein leibhaftiger Hippie, langhaarig, barfüßig und | |
| bärtig, stieg auf den Altar, ließ sich im Schneidersitz nieder und begann | |
| an den dort aufgebahrten alten Synthesizern und Bandmaschinen zu schrauben. | |
| Lag es an der beeindruckenden Resonanz des mittelalterlichen Gemäuers? Oder | |
| den spezialangefertigten weißen Trichter-Lautsprechern, die den Sound | |
| übertrugen? | |
| Jedenfalls waberten und schmierten die Töne von Le Comte, einem Lokalhelden | |
| aus Rennes, im feisten, durchaus beflügelnden, mit freundlicher | |
| Unterstützung des französischen Filmkomponisten Francoís de Roubaíx | |
| entstandenen Progsounds. Laizismus schien auch innerhalb der Kirche ein | |
| Gebot zu sein, bald roch es penetrant nach fermentiertem Gras. Viele | |
| Zuschauer lächelten. | |
| Flora Fishbach lächelt nie, aber sie hat schon mal von Giftmischern gehört. | |
| Die 24-jährige wirkt etwas verlebt. Genau das trägt auch zu ihrem Charisma | |
| bei: Ihre Songs und Gesten erzählen von privaten Dramen und öffentlichen | |
| Abstürzen. „Musique de Crise“, so wurde ihr Sound genannt: Fishbach spielt | |
| Gitarre und singt, ihre Band komplettiert eine ebenso charismatische | |
| Bassistin, ein weiterer Gitarrist sowie ein Keyboarder. Fishbach ist eine | |
| Erscheinung wie Brigitte Fontaine, unnahbar, divenhaft und düster. Dunkle | |
| Klamotten. Wenn sie Lust verspürt, im Liegen vorn an der Bühnenrampe eine | |
| Zigarette zu rauchen: Voilà, sie drapiert sich hin, raucht und singt. Jeder | |
| Move ist einstudiert. | |
| Und ihr Stil passt sich den Gegebenheiten an, klingt mal New Wavy, mal | |
| Deephousy, mal Sixties-Twangy, was schon allein durch ihre rautenförmige | |
| Gitarre hervorgerufen wird. „C’est brutal, incarné, viscéral, nocturne!�… | |
| jubelte eine Journalistin angesichts dieser wohldosierten Mischung. Stimmt | |
| alles, beim ausverkauften Fishbach-Konzert am Freitag (dem dritten von | |
| fünf) wirkte der theatralische Moment nur manchmal zu aufdringlich. Das | |
| wird sich geben, die Musik zur Krise ist eine Chance. | |
| 6 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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