# taz.de -- Album von Wrekmeister Harmonies: Dröhnende Abgründe | |
> Die US-Konzeptualisten Wrekmeister Harmonies sind mit ihrem Album „Light | |
> Falls“ auf Tour – es bezieht sich auf Primo Levis „Ist das ein Mensch?�… | |
Bild: Songwriter JR Robinson und Keyboarderin Esther Shaw | |
Wer Primo Levis Aufzeichnungen aus Auschwitz gelesen hat, bekommt eine | |
brutal genaue Vorstellung von der Organisation und Struktur des Horrors. | |
„Ist das ein Mensch?“, das erstmals 1947 erschienene Buch, hat Levi auch | |
deshalb verfasst, damit nachfolgende Generationen aus der Vernichtung in | |
den Lagern lernen können: „Ich bin überzeugt, dass kein menschliches Leben | |
ohne Sinn ist und jedes eine Analyse verdient, ja, dass man sogar dieser | |
besonderen Welt [des Lagers], von der ich berichte, Grundlegendes | |
abgewinnen kann, mag es auch nicht immer positiv sein.“ | |
Die US-Band Wrekmeister Harmonies bezieht sich nun mit ihrem Album „Light | |
Falls“ auf den Bericht des 1987 gestorbenen Holocaustüberlebenden. JR | |
Robinson, Mastermind des Chicagoer Musikkollektivs, nennt insbesondere das | |
Gedicht, das Levis Buch voransteht, als Inspirationsquelle: „Denket, dass | |
solches gewesen“, heißt es unter anderem darin. | |
Auf seinem Album, so sagt Robinson, beschäftige er sich mit einem | |
langsamen, schleichenden Wandel, der kaum bemerkt vonstatten geht – wie | |
wenn man eben noch in die untergehende Sonne schaue und es plötzlich | |
stockdunkel sei. | |
Es sind Metaphern für den Verfall von Gesellschaften, die Robinson nutzt, | |
und es ist natürlich kein Zufall, dass er diese Sprachbilder im Jahr 2016 | |
nutzt. Mit seinem Ensemble Wrekmeister Harmonies hat sich Robinson | |
konzeptuell bereits auf Vorgängeralben wie „Night Of Your Ascension“ (2015) | |
mit menschlichen Abgründen auseinandergesetzt – damals mit dem | |
Renaissance-Komponisten und Doppelmörder Carlo Gesualdo. | |
Seit 2006 betreibt Robinson die Band, deren Name von dem Béla-Tarr-Film | |
„Werckmeister Harmonies“ abgeleitet ist. Robinson sucht sich immer wieder | |
neue Mitstreiter, diesmal waren es unter anderem Timothy Herzog und Sophie | |
Trudeau von Godpeed You! Black Emperor und die Keyboarderin Esther Shaw. | |
## Affinität zu Drone und Metal | |
Über ihn selbst, einen nicht mehr allzu jungen Typen mit grauem Wallehaar, | |
vollem Bart und Tattoos am ganzen Körper, ist sonst nicht viel bekannt – | |
abgesehen von seiner Affinität zu Drone, Metal und Ambient. | |
Diese Vorlieben sind auch auf „Light Falls“ zu hören. Musikalisch baut sich | |
das Album in den ersten drei Stücken – alle um die sieben Minuten dauernd – | |
sehr langsam auf. Zunächst mit wiederholtem Motiv auf der Akustikgitarre | |
(gespielt von Gastmusiker Ryley Walker), begleitet von Keyboard und Geige. | |
Im zweiten Stück wird das gleiche Motiv mit knarzendem Bass und verzerrter | |
Gitarre variiert, ehe das Ganze in einen Ambient-Track übergeht. 21 Minuten | |
dauert das Album nach dem dritten Stück bereits, man hat tieftraurige, | |
wunderschöne Klänge gehört, und gesungen hat Robinson mit sonorer | |
Bassstimme bislang nur die Worte: „Stay in / Go out / Get sick / Get well/ | |
Light falls“. | |
Da klingt das Leben eines degradierten, im Lager eingepferchten Menschen | |
an: auf Befehle, Grundbedürfnisse, auf äußerliche Einflüsse wie | |
Sonnenaufgang und Sonnenuntergang beschränkt. | |
Schon diese wenigen Silben erinnern an viele Passagen aus Levis Buch, etwa, | |
wo der Erzähler während der Sklavenarbeit in den Buna-Werken fleht, die | |
Sonne möge nicht früher untergehen – denn das hieße, der Winter rücke nä… | |
und die Arbeit würde unerbittlicher. | |
„Light Falls“ hält über die gesamten sieben Stücke diese Spannung zwisch… | |
den leisen Passagen und den lauteren Ausbrüchen, in denen JR Robinson | |
Schlagzeug und eine metallisch bratzende Gitarre einsetzt. Das klingt genau | |
so, wie man es sich vorstellt, wenn eines der prägenden Postrock-Kollektive | |
– Godspeed You! Black Empereor – auf einen Drone- und Metal-Künstler | |
treffen. | |
Mit dem Songtitel „Some Were Saved, Some Were Drowned“ nimmt Robinson noch | |
mal direkt Bezug auf Levi (unter dem Titel „The Drowned And The Saved“ | |
erschienen die Essays Levis zu Auschwitz im Englischen), ehe „Light Falls“ | |
so reduziert endet wie es begonnen hat: das Finale, „My Lovely Son | |
Reprise“, ist ein kurzer Folksong – mit den Versen „Where have you been my | |
lovely son? / Where have you been?“ beschließt Robinson sein Werk. | |
„Light Falls“ erinnert an Konzeptalben, wie sie zuletzt die Einstürzenden | |
Neubauten und die Tindersticks zum Massensterben im Ersten Weltkrieg | |
vorgelegt haben. Was jenen gelang – die Grausamkeit in Klänge zu gießen –, | |
gelingt auch hier. „Light Falls“ ist heavy Listening, das seine Hörer | |
fordert, dessen Erhabenheit man aber keine einzige Sekunde anzweifelt. | |
6 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Popmusik | |
Metal | |
Musikfestival | |
Musik | |
Israel | |
Tanz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Festival „Rencontres Transmusicales“: Von Lichtmischern und Giftmischern | |
Auf dem Festival in der Bretagne werden internationale Stars gemacht. Was | |
aber nervt, sind die Kotzehaufen und Bodenpisserinnen. | |
Klänge fühlen: „Eine tiefe Verbindung zur Musik“ | |
Ohne Hörgeräte ist Mischa Gohlke fast taub. Gerade deswegen ist er Musiker | |
geworden. Seine Erfahrungen gibt er in Workshops weiter. | |
Israelisches InDNegev Musikfestival: Der promiske Sound der Wüste | |
Beim InDNegev-Festival entdecken Punks und Hipster die Musik des Nahen | |
Ostens neu. Elektropop trifft auf traditionelle arabische Musik. | |
Zehn Jahre Radialsystem: Grausamkeit tanzt mit Empathie | |
Die Veranstaltungsreihe UM:LAUT präsentiert an zwei Abenden Ergebnisse | |
ihrer interdisziplinären Arbeit. |