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# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Besser machen!
> Die Slogans sind flott: Gestaltet eure Zukunft selbst! Macht was draus!
> Doch was heißt das?
Bild: Sei eine Leuchte!
Ende 1989 versprach der Genosse Egon Krenz einer Arbeiterdelegation, es
fürderhin alles „besser“ zu machen. Zur selben Zeit mühte sich der Künst…
Thomas Kapielski mit der Westberliner Gruppe „Bismarc Media“ ab, im
Künstlerhaus Bethanien eine Ausstellung zum Thema „Besser Machen!“ zu
organisieren.
Nachdem die damalige Kultursenatorin Anke Martiny sich geweigert hatte,
Geld dafür rauszurücken, wurde daraus schließlich – im Osten, auf dem
Pfefferberg – eine „Messe über Geldbeschaffungsmaßnahmen (GBM)“, obwohl
auch hier der Senat seine Unterstützung versagte, das heißt der
Innensenator, der der Messe als Leihgabe ein „Geldübergabegerät (Güg)“ v…
Kaufhauserpresser Arno Funke alias Dagobert aus der Asservatenkammer der
Polizei zur Verfügung stellen sollte.
Obwohl die GBM-Messe ein Erfolg war und natürlich auch das „Besser Machen!“
bei den gezeigten Geldbeschaffungsmaßnahmen thematisierte, hörte man nie
wieder etwas von beidem, ebenso wenig von der Gruppe Bismarc Media – nur
dass der Verleger Jörg Schröder sauer auf die Gruppe war, weil er mal eine
Firma gleichen Namens in der Schweiz gegründet hatte und damit ein Recht
auf den Namen beanspruchte.
Aber jetzt, im Juni dieses Jahres, ging es wieder los: mit dem
Zitty-Heftschwerpunkt „Besser machen!“ Der handelt davon, „wie wir das
Berlin der Zukunft jetzt selbst gestalten“. Dazu heißt es: „Berlin ist voll
von Gründern, die an Lösungen für das Übermorgen tüfteln.“ Was dann im
Einzelnen an Ideen vorgestellt wurde, war jedoch das übliche
Öko-Wellness-3-D-Druckzeug – bis auf Pia Poppenreiter, der als „Berlinerin,
die ihren Traum verwirklicht“, etwas richtig Zukunftsweisendes einfiel:
„Sie vermittelt Prostituierte per App“. Da ist Mann/Frau baff!
Hier soll deswegen von einer anderen Existenzgründung (ohne App) die Rede
sein: vom Buchladen Zabriskie in der Kreuzberger Manteuffelstraße. Seit
Ende der sechziger Jahre gab es immer wieder linke Buchläden, noch heute
existieren die Kollektive Schwarze Risse, OH 21, b-books, Anakoluth und Zur
schwankenden Weltkugel. Sie sind mehr oder weniger voll mit
antikapitalistischer Literatur. Inzwischen macht sich jedoch ein gewisser
Überdruss an der Menschheit, mindestens eine Menschenmüdigkeit – auch und
gerade in der Linken – bemerkbar. Dies geht einher mit einer Hinwendung zu
nichtmenschlichen Wesen bis hin zu Bakterienkulturen.
## Explodierende Luxusvilla
Dem trägt die Existenzgründung von Lorena Carràs und Jean-Marie Dhur
bereits im Namen Rechnung: „Buchladen für Kultur und Natur“, wobei ihr
Hauptwort „Zabriskie“ auf den Film „Zabriskie Point“ von Antonioni
anspielt, über den sie schreiben: „In der finalen erlösenden Schlüsselszene
des Films explodiert eine Luxusvilla in der Death-Valley-Wüste, in vielen
aneinandergereihten Zeitlupen. Gegenstände, die Symbole für
Konsumgesellschaft und westliche Zivilisation sind, zerbersten und
zersplittern in einer wunderschönen Choreografie der Zerstörung:
Kühlschränke, Fernseher, Lebensmittelpackungen, und zu guter Letzt ein
riesiger Haufen an Büchern.“ Der Witz an dieser Szene ist, dass Antonioni,
der in Italien an Dreharbeiten für wenig Geld gewöhnt war, am Ende seines
Films noch einige Millionen Hollywood-Dollar über hatte – und deswegen
alles real in die Luft sprengte.
Und nun ist dieser Name „Zabriskie“ nach Kreuzberg gewandert, wo man auch
alles real (nicht nur als Spezialeffekt oder virtuell) in die Luft sprengen
will: das ganze Schweinesystem! Da das aber nicht so einfach ist, kämpft
man erst mal gegen Schweinemastanlagen (zum Beispiel in Haßleben) und gegen
Großschlachthöfe (etwa in Wietze) – immer in der Hoffnung: wenn man die
Schweine rettet, implodiert das ganze System. Gleiches gilt auch für
Rinder, Schafe und Hühner. Neben dem Großthema „Natur“ haben die beiden
ehemaligen Philologie-Langzeitstudenten auch noch „Rauschkunde“,
„Müßiggang“, „Musik/Film“ und „Selbermachen“ in den Regalen.
Was nun das „Besser Machen! angeht, dazu verriet ihnen der Besitzer des
Argument-Buchladens gegenüber bei der Zabriskie-Eröffnung eine
Buchhändlerweisheit: Wenn man sieben Jahre durchhalte, sei man über den
Berg. Lorena Carràs ist sich jedoch bereits nach sieben Monaten sicher:
„Das geht schneller bei uns! In sieben Jahren bin ich vielleicht schon
woanders.“
6 Jul 2014
## AUTOREN
Helmut Höge
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