| # taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: In den Sand gesetzt | |
| > Ob Australien, Namibia oder Odessa: Heimatliche Erde wird weltweit hoch | |
| > gehandelt. Und landet am Ende nicht selten in Berlin. | |
| Bild: Substanz mit hohem Heimatfaktor: Sand | |
| Einst nannte man die Gegend um Berlin „märkische Streusandbüchse“ – ihr… | |
| mageren Böden wegen. Kurz nach der Wende arbeiteten wir für das neue | |
| Touristenmagazin Die Mark an einer Beilage mit dem Titel Märkischer | |
| Sandbote. Derweil organisierten einige Firmen den „Kies“-Nachschub für die | |
| Betonneubauten der Hauptstadt, der seitdem mit Lastkähnen aus Polen über | |
| das Schiffshebewerk Niederfinow kommt. | |
| Ebenso der Sand für die diversen neuen „Strandbars“. Auf einer Fläche an | |
| der Spree fand auch regelmäßig ein „Sandskulpturenfestival“ statt. Für d… | |
| Wannseebad wurde zuvor noch schleswig-holsteinischer Sand vom Ostseestrand | |
| angekarrt. | |
| Neulich wurde Xandi von einem Freund überredet, ihm für seine Tochter | |
| „gelben Wüstensand“ aus Australien mitzubringen. Für die zwölf Kilo muss… | |
| Xandi Übergepäck bezahlen, aber das war ihm das Geschenk wert. Als dann | |
| jedoch ein anderer Freund von ihm starb, ein Australier, der als Musiker im | |
| Prenzlauer Berg gelebt hatte, erbat er sich das Säckchen mit Sand zurück, | |
| um es dem Toten mit ins Grab zu geben. Und so geschah es dann auch. | |
| Auf unserer vor einigen Jahren auf dem Pfefferberg organisierten „Messe für | |
| Geldbeschaffungsmaßnahmen“ waren drei Schwestern aus Kenia für das Catering | |
| verantwortlich, die jüngste, Joseffine, hielt dort außerdem noch einen | |
| Vortrag über ihr „On Bidong“ – das ist eine selbstorganisierte Bank: Jed… | |
| zahlt monatlich einen bestimmten Betrag in eine gemeinsame Kasse, und wenn | |
| einer aus der Gruppe eine Geschäftsidee hat, bekommt er die Summe als | |
| Startkapital. Danach geht es mit den Einzahlungen wieder von vorne los. | |
| Gerade als Joseffine dran war, ihre Existenzidee zu finanzieren, starb der | |
| Mann einer Frau aus der Gruppe und wollte unbedingt in „heimatlicher Erde“ | |
| bestattet werden. Schweren Herzens finanzierte die Bank seine Überführung | |
| nach Kenia. Sie ging dabei bankrott. | |
| Ähnlich war es bei dem taz-Praktikanten Amechi Ochinanwata aus Nigeria: | |
| Hier war es seine im Wedding lebende Ehefrau, die sich schwer verschulden | |
| musste – als er im Krankenhaus starb. Er hatte ebenfalls darum gebeten, in | |
| „heimatlicher Erde“ bestattet zu werden, „in roter“, wie er sich erinne… | |
| hatte. | |
| Kurz zuvor war eine Zeitlang auch von „oranger Erde“ die Rede gewesen, Erde | |
| aus Namibia. Diese hatte Dieter von seiner Journalistenreise mitgebracht, | |
| zusammen mit einigen kleinen Pflanzen. Sie vermehrten sich in seiner | |
| Wohnung derart, dass er immer mal wieder Ableger verschenkte. Sie brauchten | |
| jedoch ebenfalls „orange Erde“ aus Namibia, so behauptete er jedenfalls – | |
| und organisierte einen regelrechten Erdhandel zwischen seiner in Windhoek | |
| verheirateten Schwägerin und seinen Freunden in Berlin. Die Ableger bekamen | |
| sie bei Abnahme von zwei Kilo oranger Erde gratis dazu und obendrein eine | |
| gebundene Kopie des Buchs „Wildflowers of the Southern Namib“. | |
| Eine weitere Sandgeschichte stammt aus Moabit. Dort erzählte mir Edi, wie | |
| seine Familie in Odessa einmal „den KGB austrickste“: Sein kranker Vater, | |
| der mit Familie nach Berlin emigriert war, Anfang der Achtzigerjahre, | |
| wollte in „Odessaer Erde“ begraben werden. Weil er sich aber aus | |
| politischen und finanziellen Gründen nicht dorthin begeben konnte, weder | |
| lebendig noch tot, wollte er sich mit ein paar Zentnern heimatliche Erde | |
| auf dem Friedhof Wilsnacker Straße begnügen. | |
| Die Stadtverwaltung und die Sicherheitsbehörden von Odessa lehnten jedoch | |
| den Versand ihrer kostbaren Muttererde nach Deutschland kategorisch ab. Die | |
| dort noch lebenden Angehörigen von Edi fanden aber eine Lösung: Sie | |
| schickten fortan regelmäßig Pakete mit Odessaer Touristenkitsch an Edis | |
| Vater nach Moabit. Und dieses leicht zerbrechliche Gut verpackten sie nicht | |
| in Holzwolle, sondern in Odessaer Erde. | |
| Nun ist Edis Vater schon lange tot, aber Edi hat noch immer die ganzen | |
| Andenken aus Odessa auf seiner Anrichte stehen. Ich erzählte in Perm diese | |
| Geschichte einmal in einem Restaurant, in das uns ein Ex-KGBler eingeladen | |
| hatte. Der fand sie überhaupt nicht lustig. | |
| 2 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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