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# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Verdammte Branche!
> Immer öfter muss man sich in Kneipen an einer Ausgabestelle einreihen:
> das McDonald’s-Prinzip. „Selbstbedienung“ nennt sich das. So wird
> Personal gespart.
Bild: Kommt nur auf Bestellung, und dafür muss man selbst ran
„Die besten Wirte sind manchmal auch die besten Parasiten.“ (Michel Serres)
Früher bestand die Kommunikation – wenigstens in den „gehobeneren“
Restaurants – darin, dass der Oberkellner die Bestellung entgegennahm und
der Kellner sie servierte. Später gab es nur noch Kellner oder sogar nur
noch den Wirt, der mitunter gleichzeitig kellnerte und kochte. Aus dem
französischen Wort Menü, der Speisenfolge, wurde unterdessen erst das
(englische) Wort menu, die Speisekarte, und dann eine interaktive
Benutzerführung bei Computerprogrammen.
Am Rande dieser Entwicklung tat sich auch in der Restaurant-Kommunikation
einiges: So zeigt man in nordfriesischen Kinos sein Begehren nach Speis und
Trank während der Vorstellung an, indem man ein kleines Lämpchen anknipst,
woraufhin eine Kellnerin erscheint. Genau umgekehrt ist es in der
Schöneberger Raststätte Gnadenbrot: Wenn der Koch das Gericht zubereitet
hat, lässt er am Tisch des Gastes ein Lämpchen aufleuchten, woraufhin
dieser sich das Bestellte an der Küchenausgabe abzuholen hat.
Mit Lämpchen operieren auch einige Ballhäuser für Vereinsamte und
Schüchterne: Dort hat jeder ein nummeriertes Tischtelefon vor sich. An dem
angewählten Apparat leuchtet dann diskret ein Lämpchen auf.
Im Charlottenburger Restaurant Zwiebelfisch nimmt zwar eine Kellnerin die
Bestellung an, aber der Koch bringt dann das Gewünschte an den Tisch. Das
ist also beinahe noch oldschool – und gehört sukzessive der Vergangenheit
an.
Immer öfter muss man sich an einer Ausgabestelle oder Theke einreihen: das
McDonald’s-Prinzip. „Selbstbedienung“ nennt sich das. Dies ist oft in
Szenenkneipen, wie im Tante Horst in Kreuzberg oder im Baiz in Prenzlauer
Berg, so. Die Betreiber sparen auf diese Weise Kellner ein und die
Tresenbedienung lange Wege. In Schweden, wo die Löhne hoch und die
Lebensmittel billig sind, kann man wählen: zwischen billig essen und sich
selbst bedienen, und teuer essen und bedient werden.
Im Holy Fields in Mitte ist das Essen dagegen nicht ungewöhnlich
preisgünstig, aber bedient wird man trotzdem nicht: Dort hat man jetzt die
Kellner durch Laptops ersetzt. Auf selbigen kann man sich nun sein Menü auf
dem menu zusammencomputieren. Und wenn man auf enter drückt, landet der
Essenswunsch in der Küche.
Erwähnen müsste man in diesem Zusammenhang auch noch die teuren
Chichi-Lokale in Mitte, die ihre Kreativität vor allem in die Erstellung
der Speisekarte legen – mit vielen Spezialausdrücken meist französischer
oder italienischer Herkunft. So werden aus wabbeligen Aldi-Karotten
handgeschnitzte teure „Gascogne-Möhrchen“.
Dieser Neureichen-Bluff wird gerne mit einer intensiven, fast schon
familiären Kommunikation unterfüttert: alle nasenlang kommt einer der
Kellner oder die Wirtin, mitunter gar die Geschäftsführerin, vorbei und
fragt, ob alles „o. k.“ sei. Ganz übel ist das in Südostasien, wo die
Arbeitskraft so gut wie nichts kostet: Dort hat jeder Tisch seinen eigenen
Kellner, der devot hinter einem steht und auf „Befehle“ wartet. Manchmal
kommt dazu noch ein zweiter, der einem, falsch gewünscht, den Nacken
massiert und dann mit heißen Tüchern traktiert. Das kommt hier auch noch.
Die US-Sauerei „Oben-ohne-Bedienung“ hat sich hierzulande jedoch nicht im
größeren Stil durchgesetzt. Ebenso wenig die nervigen, aber stets
lächelnden KellnerInnen, die einen sofort abkassieren wollen, wenn man
nichts mehr bestellt. Im Gegenteil: Hier dauert es manchmal noch eine
Ewigkeit, bis die Bedienung auf einen Blickkontakt, einen Ruf oder eine zur
Meldung erhobene Hand reagiert und eine Bestellung aufnimmt oder die
Rechnung bringt. Hier gilt zum Glück noch halbwegs Heiner Müllers weise
Einschätzung: „Auch die schlechte Laune der Kellnerinnen ist noch eine
echte Errungenschaft des Sozialismus.“
In dem Dunkelrestaurant unsicht-Bar in – natürlich – Mitte sollen die
„Okulartyrannis“ gebrochen und alle anderen Sinne befreit werden. Die
Kommunikation geschieht hier allein durch Laute. In einigen Restaurants
führen die Kellner, die eigentlich Künstler sind, nebenbei noch halbe
Zirkusnummern vor: „Event-Gastronomie“ nennt sich das. Was wird dieser
verdammten Branche wohl als Nächstes einfallen?
4 May 2014
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
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Berlin
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