# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweise: Männer sind schon als Baby blau | |
> Die einen werden blau, die anderen sind es schon: Über Blue Man Groups in | |
> Berlin. | |
Bild: Blaue Männer in der Dunkelheit. Sie sind immer noch da | |
Anfang 2007 gastierte im Theater am Potsdamer Platz ein lautes New Yorker | |
Drummerperformance-Trio, das blaue Glatzen und Gesichter hatte. Ende 2007 | |
gaben sie auf Plakaten kund, sie würden nur noch wenige Tage in der Stadt | |
bleiben. 2014 sind sie aber immer noch da – im eigenen „Bluemax-Theater“. | |
Berlin stehe nun mal „für Kreativität und künstlerische Energie, das passe | |
sehr gut zum Geist der Blue Man Group,“ so begründete Chris Wink, einer der | |
drei Gründer der Gruppe, ihre Standortwahl. | |
Aber sind es überhaupt noch dieselben Typen? Inzwischen gibt es die „Blue | |
Man Group“ nämlich auch in Boston, Chicago, Orlando, Sydney, Amsterdam, | |
Tokio, auf dem Kreuzfahrtschiff „Norwegian Epic“, in Oberhausen und | |
Stuttgart. Sie sehen alle wie geklont aus – während sie multimedial auf | |
ihre „Drumstationen“, „Drumbones“ und „Extra Big Drums“ hauen und d… | |
derart artistisch rumhampeln, dass es ein wahrer Graus ist. Der | |
Amüsierpöbel dankt es ihnen dann auch in Massen. | |
Und nicht nur der, auch die drei glatzköpfigen Schluckspechte Bernd, Holger | |
und Frank, die sich seit 2012 „Blue Man Group“ nennen. Der Name stammt | |
eigentlich von Emma, der Bedienungsmöwe im „Felsenkeller“, die bereits | |
2008, als die drei mal wieder besoffen dort aufkreuzten, stöhnte: „Ach du | |
Scheiße, die Blue Man Group, und das kurz vor Feierabend!“ Der Name | |
brauchte vier Jahre, bis auch die damit gemeinten ihn akzeptierten. | |
## Im Futonficker-Bezirk | |
Neulich klebten in der Akazienstraße Sticker mit der Aufschrift: „Nur noch | |
wenige Jahre: Die Blue Man Group – fast täglich im Felsenkeller!“ Vor zwei | |
Wochen traf ich sie allerdings im Futonficker-Bezirk am Südstern, wo in der | |
Brause-Galerie eine Ausstellung über den Weddinger Klavierstimmer Oskar | |
Huth eröffnet wurde. Sie hieß „Für den Fall der Nüchternheit“, was sich… | |
den Titel eines Buches über ihn bezog. Daneben gab oder gibt es noch zwei | |
weitere Charlottenburger Oskar-Huth-Fankreise, in den Schankwirtschaften | |
„Hoeck“ und „Zwiebelfisch“, auch sie haben Bücher über ihn publiziert… | |
Hoeck’sche stammt von Thomas Kapielski und hat den Titel „Der Einzige und | |
sein Offenbarungseid. Verlust der Mittel“. | |
Oskar Huth war während der Nazizeit untergetaucht, hatte sich bewaffnet und | |
eine Druckmaschine angeschafft. Damit fälschte er Lebensmittelmarken, mit | |
denen er 60 versteckte Juden versorgte, und außerdem Ausweise – u. a. für | |
die der Gestapo entkommenen Brüder Hammerstein. Jahrelang war er zu Fuß in | |
der Stadt unterwegs, ein „Monstermarsch“, wie er es nannte. Zuletzt, im Mai | |
45, tötete er in einem Wilmersdorfer Luftschutzkeller noch einen besonders | |
widerlichen SA-Mann. „Was mir dazu geholfen haben muß, durchzukommen, ist | |
wohl, daß mich die Leute hinsichtlich meiner Nervenfestigkeit, meiner | |
physischen Kraft und (wenn ich’s mal ein bißchen eitel sagen darf) auch, | |
was die Sache eines gewissen Witzes angeht, unterschätzt haben“, meinte er | |
rückblickend in seinen Erinnerungen, die ein Malerfreund unter dem Titel | |
„Überlebenslauf“ veröffentlichte – und in der Kneipe „Zwiebelfisch“ | |
verkaufte. | |
Nach dem Krieg bot man dem anerkannten „Anti-Nazi-Activist“ Huth eine | |
Stelle im Kultursenat an. Der sich als „freischaffender Kunsttrinker“ | |
Bezeichnende zog es jedoch vor, selbständig zu bleiben. Seine Einheit von | |
Leben und Werk war derart überzeugend, das ihn praktisch die halbe | |
Westberliner Künstlerscene der Nachkriegszeit literarisch, lyrisch und | |
sonstwie verehrte. Zuletzt Hans-Magnus Enzensberger in seiner | |
Hammerstein-Biografie (2009) und Hanns Zischler in seinem Berlinbuch | |
(2013). | |
## Freischaffender Trinker | |
Bernd, Holger und Frank wußten von Oskar Huth bisher nur, dass er es als | |
„freischaffender Kunsttrinker“ zu einiger Berühmtheit gebracht hatte, und | |
als „Blue Man Group“ wollten sie es ihm nachtun. Nicht nur verlief ihr | |
Leben bereits ähnlich wie das von Oskar Huth nach dem Krieg: in einigen | |
Schankwirtschaften alkoholhaltige Erfrischungsgetränke zu sich nehmen, | |
Gespräche führen oder Schach oder Klavier dort spielen. Wobei die drei | |
Schöneberger Trinker kein Klavier spielen können, sondern einfach so laut | |
sind. | |
Das Besondere an dem 1991 mit 73 Jahren gestorbenen Huth war jedoch: Je | |
betrunkener er wurde, desto luzider wurden seine Gedanken. Davon kann bei | |
den drei etwa vierzigjährigen Schönebergern (noch?) keine Rede sein. „Das | |
Hüthchen“, wie Günter Grass ihn nannte, war außerdem bilokativ, d. h. | |
fähig, an zwei Orten (Kneipen) zugleich zu sein. Es gibt Zeugen dafür! „Das | |
können wir – Multilokativen – doch schon lange,“ meinten Bernd, Holger u… | |
Frank dazu: „Es gibt die Blue Man Group im Felsenkeller und die in Mitte, | |
in New York, Boston, Chicago, Las Vegas, Orlando, Sydney, Amsterdam, Tokio, | |
Oberhausen, Stuttgart und auf der Norwegian Epic. Dolle Sache. Nächstes | |
Jahr sind wir auch noch in Peking und Kuala Lumpur – wetten! Da gibts jetzt | |
schon Blue Man Groupies.“ | |
3 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
## TAGS | |
taz.gazete | |
Helmut Höge | |
Trinken | |
Erntehelfer | |
Kreuzberg | |
Auf 13 Joints mit Helmut Höge | |
Waschbären | |
taz.gazete | |
Kneipe | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Wirtschaftsweisen: Von Äpfeln und Birnen, dialektisch gesehen | |
Herbstzeit ist Erntezeit | |
Kolumne Wirtschaftsweisen: Neuerfindungen am laufenden Band | |
Alles Mögliche muss sich derzeit „neu erfinden“ - auch Kreuzberg, in dem | |
nicht nur der Computer, sondern auch die Selfies und Shelfies das Licht der | |
Welt erblickten. | |
Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Bierforschung oder Dönerforschung? | |
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen | |
uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 9: Bürgerforscher. | |
Wahrnehmung invasiver Arten: Der ungeliebte Streuner | |
Auf Bärenjagd: Unser Autor bekommt einen Journalisten-Preis, weil er ein | |
großer Entdecker ist. Hier beobachtet er eine Invasion. | |
Kolumne Wirtschaftsweisen: Besser machen! | |
Die Slogans sind flott: Gestaltet eure Zukunft selbst! Macht was draus! | |
Doch was heißt das? | |
Kolumne Wirtschaftsweisen: Verdammte Branche! | |
Immer öfter muss man sich in Kneipen an einer Ausgabestelle einreihen: das | |
McDonald’s-Prinzip. „Selbstbedienung“ nennt sich das. So wird Personal | |
gespart. | |
Kolumne Wirtschaftsweisen: Schon Engels litt unter Gentrifizierung | |
Die Gentrifizierung hat das Wohnen zum Problem gemacht. Was sagen die | |
Philosophen dazu? |