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# taz.de -- Essay Konservatismus in Deutschland: Ein grauer Traum
> Die AfD-Erfolge zeigen: Die bürgerliche Mitte ist verunsichert. Doch
> Alarmismus nutzt nichts. Eine Rolle rückwärts würde der CDU schaden.
Bild: Deutsche Zustände: Dass so viele Deutsche für Parolenpolitik empfängli…
Am Tag nach dem Erfolg der Rechtspopulisten herrscht bei den etablierten
Parteien allgemeines Händeringen. Ein CDU-Minister fordert von der
Bundesregierung, sie müsse die Asylfrage jetzt endgültig in den Griff
bekommen und für die von der komplexen Welt überforderten Bürger
„Verständnisschneisen“ schlagen.
Die Wahlforscher haben betrübliche Nachrichten für die Strategen in den
Zentralen der wankenden Volksparteien. Die Angst vor Asylbewerbern, das
gravierende Problem der Kommunen, die Flüchtlinge unterzubringen, so ihre
Analyse, ist nur der Anlass für den überwältigenden Erfolg der
Rechtspopulisten.
Die Gründe liegen tiefer. Die Bindungskraft von CDU und SPD schwindet. Vor
allem von Abstiegsängsten geplagte Männer haben in Scharen bei den Rechten
ihr Kreuz gemacht. Doch anders als früher wählen nicht vor allem Ältere
rechts, sondern Jüngere.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung entdeckt ein beunruhigendes
Phänomen. Die Bürger neigen zu „aggressiver Apathie“. Und, besonders
bedenklich, es sind nicht nur Unterschichtswähler, die ihrem Protest Luft
machen. Die Rechtspopulisten kommen auch bei Hochgebildeten und
Gutverdienenden an. Sie lassen sich auch nicht mehr einfach als
Rechtsextreme verdammen. Die Rechtspopulisten setzen sich vielmehr als
wahre Konservative in Szene, die zur Sprache bringen, was viele denken: Der
Parteienstaat ist verkrustet. Der Parteichef der Rechtspopulisten in
Stuttgart verkündet am Tag nach der Wahl, dass das alte Parteiensystem
jetzt „endgültig ausgedient“ hat.
## Angstbilder schon in den Neunzigern
All das war im April 1992. Die „Republikaner“ bekamen in Baden-Württemberg
fast 11 Prozent. Im März waren 35.000 Asylbewerber nach Deutschland
gekommen, auf der Flucht vor dem Krieg in Bosnien. Die Medien beherrschten
Angstbilder von Flüchtlingsfluten, die uns überschwemmen. Und genau so
selbstsicher wie die AfD heute, verkündeten die Reps damals, dass sie die
Altparteien mit ihren Forderungen vor sich hertreiben. Damit hatten sie
sogar recht. Am Ende beschnitten Union und SPD das Asylrecht 1993 bis zur
Unkenntlichkeit.
Es wäre fahrlässig, ja töricht, bloß zu hoffen, dass die AfD wie die Reps
letztlich im politischen Aus landen. Doch auffällig ist, dass an der
Diskursfront vieles vertraut, ja gleich klingt. Der Studienrat und der
Handwerksmeister, der immer CDU wählte und sich jetzt zu den
Rechtspopulisten bekennt, ist keine neue Figur. Auch die Erkenntnis, dass
Wähler launisch sind, zu Affektentscheidungen neigen, die allerdings noch
lange keine stabile neue Bindung begründen, ist auch schon älter.
Wie die Reps 1992 versucht die AfD ein Doppelspiel zu inszenieren – nach
außen konservative Bürgerlichkeit zu demonstrieren und unter der Hand
Rechtsextremismus zu dulden. Was bei der AfD der gemütliche Jörg Meuthen
ist, war damals bei den Reps der eloquente Anwalt Rolf Schlierer.
Klüger als einen alarmistischen Angstton anzuschlagen, ist es nun, bei der
AfD die Widersprüche zwischen freundlicher Parteispitze und rüder Basis,
zwischen der jovialen Fassade im Süden und dem kaum verdeckten Extremismus
im Osten aufzudecken. Die AfD ist bislang vor allem ein Container für Wut.
Sie braucht und bedient diese Ressentiments, von dem sich Frauke Petry und
Jörg Meuthen stets mit Unschuldsmiene zu distanzieren verstehen.
Doch hate speech auf die politische Klasse ist der Treibstoff, der sie in
die Höhe geschossen hat. Ob die AfD dauerhaft Erfolg haben wird, hängt auch
davon ab, ob es der demokratischen Öffentlichkeit gelingt, kühl und ohne
Schaum vor dem Mund, dieses Doppelspiel zu enthüllen. Immerhin glaubt auch
die Hälfte der AfD-WählerInnen, dass die Rechtspopulisten zu wenig Distanz
zu Rechtsextremen haben.
## CDU von unbekannte Fliehkräften erfasst
Neu ist, dass die klassischen Parteien der alten Bundesrepublik, CDU, SPD
und FDP, in Stuttgart und Magdeburg von weniger als 50 Prozent gewählt
wurden. Ist dies also doch das Wetterleuchten jenes neu formierten
Parteiensystems, das die Reps schon 1992 gekommen sahen? Der Anfang vom
Ende der bislang in Stein gemeißelten Fixierung auf die Mitte als dem Ort,
an dem die Macht gewonnen wird?
In Baden-Württemberg ist die CDU in der Tat von bislang unbekannten
Fliehkräften erfasst worden. Mehr als 100.000 WählerInnen, die bei der
Union beheimatet waren, haben sich Richtung liberale Grüne, die Merkel
unterstützen, verabschiedet – andere in Richtung AfD. Ist dies ein
Passepartout für eine Spaltung, die der bürgerlichen Mitte in der Republik
bevorsteht?
Diese großformatige Vermutungen ist naheliegend, zu naheliegend. Wir sind
in Deutschland, verglichen mit anderen EU-Ländern, ein äußerst stabiles
Parteiensystem gewohnt. Wenn das Bild immer mehr oder weniger gleich war,
erscheint schon der Steinschlag als Lawine.
Dass die Krise der Mitte wie unter einem Mikroskop vergrößert scheint,
liegt auch an der Kanzlerin. Merkel hat ein Jahrzehnt lang perfekt die
Sehnsucht der Gesellschaft nach Politik ohne Streit erfüllt und eine leicht
sedierte Form von Demokratie perfektioniert. Das bedächtige bundesdeutsche
Konsensmodell, das die AfD nun krachend stört, ist fast so alt wie die
Republik.
Doch in der Ära Merkel und in Zeiten der Großen Koalition wurde der Streit,
Motor der Demokratie, scheinbar ganz und gar außer Kraft gesetzt. Alles
Schrille war auf Zimmerlautstärke heruntergedimmt, SPD und Union waren
mitunter nur noch schwer unterscheidbar. Selbst als die EU in der
Finanzkrise zu implodieren drohte, vertraute man hierzulande, dass Merkel
und ihre Experten in Brüssel am Ende schon irgendeine Lösung finden. Die
AfD füllt nun das diskursive Vakuum der Merkel-Ära mit rüden
antipolitischem Ressentiment.
Die Kanzlerin, meinen manche, hat das Bürgertum und ihre Partei mit zu viel
Liberalität überfordert. Demnach war die Flüchtlingspolitik nur der letzte
Tropfen. Das klingt plausibel – ist es aber nicht. Denn diese Lesart
übersieht, dass die Merkel-Kritiker in der Union nie ein klare Alternative
anzubieten hatten. Ob sie für oder gegen den Mindestlohn, Eurorettung oder
den Ausstieg aus der Atomenergie waren, blieb stets unklar. Die Opposition
gegen Merkel ähnelte in vielem der Merkel-CDU – in zentralen Fragen war sie
schwankend.
Fast 200.000 Ex-CDU-Wähler in Baden-Württemberg haben diesmal bei der AfD
ihr Kreuz gemacht. Davon werden, wenn der Flüchtlings-Hype vorbei ist,
einige wieder zur Union zurückkehren. Irgendwann wird auch dem schwäbischen
Handwerksmeister Björn Höckes überdrehter Kreischton auf die Nerven fallen.
Es gibt auch einen harten Kern, der bei den Rechtspopulisten bleiben wird.
Das paradise lost der AfD ist eine Republik ohne Windräder und Moscheen,
ohne Euro und Homo-Ehe, mit Wehrpflicht und Atomkraftwerken. Kurzum – ein
grauer Traum von den 80er Jahren. Die AfD ist eine Partei der
Phantomschmerzen.
## Keine Überraschung
In der CDU liebäugeln nun manche mit einer Rolle rückwärts, um sich als
Volkspartei der Mitte wieder in Stand zu setzen. Doch das rechnet sich
nicht. Es wird der CDU in der Mitte weit mehr kosten, als es ihr bei den
unbehausten Retro-Konservativen nutzt.
Und schließlich: Wer sich wundert, dass mehr als ein Zehntel der Bürger im
Westen (und in Sachsen-Anhalt mit traditionell schwachen Mitteparteien und
situativ mobilisierbaren Affektwählern sogar ein Viertel) für
Parolenpolitik empfänglich ist, war bisher schlecht informiert. Wilhelm
Heitmeyer hat in den Studien „Deutsche Zustände“ jahrelang gezeigt, dass
ein Fünftel zu autoritären Mustern bis hin zu rassistischen Vorurteilen
neigt.
Diese Studien haben auch klargemacht, dass diese Mentalitäten keineswegs
immer gleich sind. In der Merkel-Ära sank die Zahl überzeugter
Rechtspopulisten eine Weile. Denn rechte Vorurteile bilden kein
monolithischen, abgedichteten Block, sie reagieren vielmehr feinnervig auf
gesellschaftliche Debatten.
Nur wer glaubte, dass die Merkel-Union unmerklich und widerspruchsfrei in
den liberalen urbanen Mitte ankommen und der Rechtspopulismus sich dabei
sanft in Luft auflösen würde, ist nun um eine Illusion ärmer.
Vielleicht stellt die AfD nicht die Union, sondern SPD und Linkspartei vor
komplizierte Aufgaben. Denn in der Unterschicht und der unteren
Mittelschicht lösen Migrationsbewegungen harte Verteilungskämpfen aus –
nicht bloß Phantomschmerzen. Linkspartei und SPD aber haben offenbar die
Sensoren in diese Milieus verloren. Und damit auch die Kraft, Ressentiments
im demokratischem Diskurs aufzufangen.
15 Mar 2016
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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