# taz.de -- Debatte AfD und Antisemitismus: Die imaginierte Furcht | |
> Das Aufkommen des Antisemitismus und die jüngsten Erfolge der AfD sind | |
> nicht zu vergleichen. Es gibt aber erstaunliche Parallelen. | |
Bild: Nach den Landtagswahlen: Pressekonferenz der Alternative für Deutschland… | |
„Mit den Waffen der Wahrheit und Thatsachen wollen wir unsere Gegner | |
bekämpfen und ihren, nach unserer festen Überzeugung verderblichen | |
Bestrebungen entgegentreten. Nicht darauf kommt es an, die Gegner | |
persönlich anzugreifen, sondern die innere Unwahrheit ihrer Bestrebungen | |
und die Gefahr ihrer hetzerischen Agitationen darzuthun.“ | |
Diese Zeilen erschienen am 1. Oktober 1891. 126 Jahre sind vergangen, seit | |
sich im deutschen Kaiserreich 1890 der „Verein zur Abwehr des | |
Antisemitismus“ gründete. Ziel seiner honorigen Mitglieder war es, die | |
wachsende Judenfeindschaft wissenschaftlich zu widerlegen. Was das mit der | |
wachsenden Fremdenfeindlichkeit in Deutschland im Jahr 2016 zu tun hat? | |
Mehr als es auf den ersten Blick erscheint. | |
Natürlich lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen nicht im Verhältnis | |
eins zu eins übertragen. Die Zeiten waren andere, der moderne | |
Antisemitismus ist eine besondere Spielart des Rassismus, der sich gegen | |
einen Teil der angestammten deutschen Bevölkerung wandte, und niemand | |
möchte den Wählern der AfD unterstellen, sie planten analog zu den Nazis | |
einen Massenmord an Einwanderern. | |
Doch augenfällig sind auch gewisse Übereinstimmungen. Damals wie heute | |
wenden sich Kreise des deutschen Bürgertums gegen eine bestimmte Gruppe | |
hier lebender Menschen. Damals wie heute werden sie dabei von einer | |
imaginären Furcht vor dem Fremden, Andersartigen getrieben. Sie plagen | |
nicht die Tatsachen und objektive Probleme, die sich durch Einwanderung – | |
damals etwa von Ostjuden ins Kaiserreich, heute vom Flüchtlingen aus dem | |
Nahen Osten in die Bundesrepublik – zweifellos ergeben. | |
## Subjektive Bedrohung | |
Vielmehr begreifen sie die Migrationsbewegung als eine subjektive Bedrohung | |
ihres bisherigen Lebensstils. Diese Fremdenfurcht wird getrieben von | |
weiteren, scheinbar schwer zu durchschauenden politischen und | |
wirtschaftlichen Prozessen, die die eigenen Ersparnisse zu bedrohen | |
scheinen, oder internationale Verwerfungen, die den Traum vom „trauten | |
Heim, Glück allein“ brüchig erscheinen lassen. | |
Aus diesen Unsicherheiten erwächst die Furcht vor Neuem, Unbekanntem. Als | |
scheinbare Lösung erscheint die radikale Ablehnung der Fremden, verbunden | |
mit dem imaginären Glauben, weite Kreise von Politik, Wirtschaft und Medien | |
hätten sich gegen den weiteren Fortbestand des glückseligen Vergangenen | |
verschworen. | |
Heute erklärt die etablierte Politik von Linkspartei bis CSU die Partei | |
dieser Fremdenfeinde als das ursächliche Problem. Dagegen bemüht man sich, | |
die Wähler der AfD zu schonen: Sie gelten als irregeleitete Schäfchen in | |
einer komplizierten Welt, die man zurück auf den Pfad der Tugend begleiten | |
muss. Mal werden sie als Angehörige einer pauperisierten Unterschicht | |
identifiziert, die aus Furcht vor neuer Konkurrenz und infolge fehlender | |
sozialer Maßnahmen im Kapitalismus zu einer solchen Reaktion quasi verführt | |
werden. Bisweilen wird ihre Reaktion auch als logische Folge einer | |
verfehlten Migrationspolitik interpretiert. | |
Tatsache aber ist: Eine große Zahl der AfD-Wähler besteht nicht aus | |
verarmten Hartz-IV-Empfängern. Sie entstammen bürgerlichen Kreisen, vom | |
Handwerksmeister bis zum Universitätsprofessor. Deshalb geht der Vorschlag, | |
die Fremdenfeinde sollten durch soziale Hilfen zurückgewonnen werden, fehl. | |
Es ist nichts dagegen einzuwenden, die wachsende Kluft zwischen Arm und | |
Reich zu bekämpfen. Nur lässt sich dieses Problem damit nicht bekämpfen. | |
## Massenhafte Bewusstseinsstörung | |
Was aber lässt sich gegen eine massenhafte Bewusstseinsstörung tun? Gewiss | |
nicht alle, aber einige AfD-Wähler haben sich ihr eigenes krudes Universum | |
aus Lügen, Halbwahrheiten und Ängsten errichtet. Ihre Vorstellungen sind | |
von Medien und Politik nur noch sehr begrenzt erreichbar. | |
Vor einem ähnlichen Problem standen schon die Mitglieder des „Vereins zur | |
Abwehr des Antisemitismus“. Sie konnten noch so viele Broschüren voller | |
Argumente gegen den Judenhass veröffentlichen – der Hass wuchs trotzdem. | |
Der Historiker Theodor Mommsen schrieb 1894: „Sie täuschen sich, wenn Sie | |
glauben, daß man da überhaupt mit Vernunft etwas machen kann. Ich habe das | |
früher auch gemeint und immer wieder gegen die ungeheure Schmach | |
protestiert, welche Antisemitismus heißt. Aber es nutzt nichts. Es ist | |
alles umsonst. Darauf hört doch kein Antisemit.“ | |
Selbstverständlich dürfen die objektiven Schwierigkeiten, die sich aus | |
Einwanderungsbewegungen ergeben, nicht unter den Teppich gekehrt werden. | |
Natürlich benötigt Deutschland ein Wohnungsbauprogramm, mehr Schulen, | |
Kindergärten, Universitätsplätze und ein Integrationsprogramm, wenn die | |
Bevölkerung anwächst. Aber nichts wäre gefährlicher als den Eindruck zu | |
vermitteln, man könne durch eine teilweise Aufnahme der Argumentationen der | |
AfD deren Anhänger zurück zu den etablierten Parteien führen. Tatsächlich | |
bestärkt man die furchtsamen Fremdenfeinde damit auch noch. | |
## Konsequente Tabuisierung | |
Es hilft nur eine konsequente Isolierung. Wer gegen Fremde hetzt, dem muss | |
klar sein, dass er oder sie damit keinen Blumentopf gewinnen kann. Wer | |
zivilisatorische Grenzen überschreitet, der muss wissen, dass er damit | |
seinen eigenen Ausstoß aus der Gesellschaft befördert. Wer Gewalt oder | |
Volksverhetzung verübt, ist ein Fall für die Justizbehörden und nicht für | |
die Debattenkultur. | |
Mehr als 60 Jahre lang ist es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gelungen, | |
fremdenfeindliche Bewegungen in Deutschland im Zaum zu halten. NPD, | |
Republikaner & Co. sind Fußnoten in der Geschichte der Bundesrepublik | |
geblieben. Dabei waren Antisemitismus und Rassismus in dieser Zeit | |
selbstverständlich nicht verschwunden. Aber sie wurden nicht wirkmächtig. | |
Ein Grund dafür war ihre Tabuisierung. Das mag ein altmodischer Weg sein, | |
weil das Tabu nicht die Ursachen bekämpft, sondern nur die | |
menschenverachtenden Äußerungen missbilligt. Aber wir sind damit alles in | |
allem ganz gut gefahren. Es ist an der Zeit, dieses Tabu neu und verstärkt | |
zu errichten. | |
21 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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