# taz.de -- Kommentar Ehrung Historiker Winkler: Demagogie und Wortverdreherei | |
> Heinrich August Winkler kritisiert einmal mehr Angela Merkels | |
> Flüchtlingspolitik. Und das in einer Rhetorik im Stil der neuen Rechten. | |
Bild: Am Mittwochabend im Leipziger Gewandhaus: Sachsens Ministerpräsident Sta… | |
LEIPZIG taz | Der Eröffnungsabend der Buchmesse im Leipziger Gewandhaus | |
steht traditionell im Zeichen einer Selbstvergewisserung der Werte. Der | |
Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels Heinrich Riethmüller | |
klang dabei für seine Verhältnisse dieses Jahr fast schon aktionistisch. Er | |
rief die Versammelten aus Buchbranche und Politik dazu auf, deutlich Flagge | |
für die Demokratie zu zeigen. Auf sein Zeichen erhob sich das Publikum zum | |
Fotoshooting. Hunderte streckten vorgefertigte Pappschilder in die Höhe. | |
Auf denen stand: „Für das Wort und die Freiheit“. | |
Durch alle Reden im Gewandhaus zog sich die Sorge vor dem neuen Rassismus | |
in Europa, sehr unterschiedlich war jedoch dabei der Bezug auf die | |
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung | |
(SPD) versuchte, sich als Kommunalpolitiker klar zu äußern: „Unser Problem | |
heißt nicht Flüchtlingskrise, sondern Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“ | |
„Und“, das war vielleicht schon an den später ausgezeichneten Historiker | |
Heinrich AugustWinkler gerichtet, so Jung weiter, „wir vor Ort in den | |
Kommunen und den Städten haben eine Antwort darauf: Menschlichkeit, | |
Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.“ Winkler erhielt den Leipziger | |
Buchpreis zur Europäischen Verständigung. | |
Auf AfD und Pegida nahm auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich | |
(CDU) Bezug. Seine Rede zeigte, wie sehr die Politik gerade im Osten unter | |
Druck steht, wo in einzelnen Kommunen neben den Flüchtlingen längst auch | |
demokratische Amtsträger angegriffen werden. Er mahnte das Engagement der | |
Zivilgesellschaft an – „die eigene Verantwortung endet nicht am heimischen | |
Bücherregal.“ „Wir haben in der DDR erlebt, wie sehr es auf das Engagement | |
der Bürger ankommt und wie hilfreich eine Bestärkung von außen ist,“ sagte | |
Tillich. Im Kampf gegen den Rechtspopulismus müsse man die demokratischen | |
Parteien und Organisationen attraktiver machen, damit sich mehr Menschen | |
aktiv beteiligten. Im benachbarten südlichen Teil von Sachsen-Anhalt gingen | |
am letzten Wochenende sämtliche Wahlkreise an die AfD. | |
## Stichwortgeber rassistischer Angstbürger | |
Der 1938 in Königsberg geborene Historiker Heinrich August Winkler wurde in | |
Leipzig für seine vierbändige „Geschichte des Westens“ geehrt. Laudator | |
Volker Ullrich, einst Redakteur der Zeit, hob hervor was unstrittig ist. | |
Winkler gehört zu den bedeutenden Historikern der Bundesrepublik. Ansonsten | |
befleißigte sich Ullrich in seiner Laudatio genau jenes Vokabulars, | |
weswegen der Politiker Winkler nicht erst seit gestern auch als | |
bildungsbürgerlicher Stichwortgeber rassistischer Angstbürger gilt. | |
Im Gewandhaus bejahte Ullrich Winklers Thesen einer angebliche „deutschen | |
Sondermoral“ im Zuge von Merkels Flüchtlingspolitik: „Wie hochempfindlich | |
unsere Nachbarn in Europa immer noch reagieren, wenn sich Deutschland als | |
moralischer Lehrmeister aufspielt, das hat gerade in jüngster Zeit die | |
Auseinandersetzung um die Flüchtlingskrise gezeigt,“ meinte Ullrich. In | |
dieser Sicht stehen nicht die nationalistischen unter den | |
EU-Mitgliedsstaaten in der Kritik, die sich weigern Flüchtlinge | |
aufzunehmen, sondern eine Kanzlerin, die die Grenzen im Spätsommer 2015 | |
öffnen ließ. | |
Und Winkler, was sagte der Meister selbst? Er legte in Leipzig in seiner | |
Kanzlerinnen-Schelte nach, die er seit September immer wieder vorgebracht | |
hat. „Eine humanitäre Asylpolitik, die nachhaltig sein will, muss darauf | |
achten, dass die Bedingungen ihrer Möglichkeit auch morgen und übermorgen | |
noch gesichert sind,“ so Winkler. „Zu diesen Bedingungen gehört nicht nur | |
die Beachtung der Grenzen der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit, sondern | |
auch der politische Rückhalt in der Bevölkerung.“ | |
Ja, so sagt das ein Seehofer auch. Richtig demagogisch wird Winkler aber, | |
wenn er einmal mehr in Leipzig behauptet, der eigentliche Nationalismus | |
stecke in Merkels Offenheit gegenüber den Flüchtlingen, „die von unseren | |
Nachbarn als selbstgerecht und anmaßend empfunden wird – als ein Versuch, | |
zumindest auf dem Gebiet der Asylpolitik ein ‚deutsches Europa‘ zu | |
schaffen.“ Typische Wortverdreherei im Stile der Neuen Rechten. | |
17 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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