| # taz.de -- Leipziger Buchpreise 2016: Geschichten des Lebens | |
| > Guntram Vesper, Jürgen Goldstein und Brigitte Döbert werden in Leipzig in | |
| > den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung geehrt. | |
| Bild: Die Preisträger_innen (v.l. Goldstein, Döbert, Vesper) freuen sich | |
| Leipzig taz | Es gibt Geschichten, an denen schreiben Menschen ein Leben | |
| lang. Und es gibt Menschen, die Leben als eine Reihe von Geschichten | |
| begreifen. Dass Guntram Vesper für „Frohburg“ mit dem diesjährigen | |
| Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, hat sicher | |
| auch mit dem Aufwand und der Zeit zu tun, die in diesem Lebenswerkprojekt | |
| stecken. | |
| Vor dreißig Jahren schon hatte der Schriftsteller einen Gedichtband | |
| veröffentlicht, den er schlicht nach seinem Geburtsort Frohburg benannte. | |
| Nun hat der inzwischen 74-Jährige einen 1.000 Seiten dicken Roman mit | |
| demselben Titel nachgelegt. Man ahnt es: Vesper hatte nie aufgehört daran | |
| zu arbeiten. | |
| Auf halber Strecke zwischen Leipzig und Chemnitz befindet sich die | |
| 10.000-Seelen-Stadt, die Vesper als Ausgangspunkt nimmt, um nicht eine, | |
| sondern viele verästelte Geschichten zu erzählen. Als Jugendlicher war | |
| Vesper 1957 gemeinsam mit seiner Familie über Westberlin in die | |
| Bundesrepublik geflohen. Immer wieder kreist sein Werk um Herkunft und | |
| Heimatverlust. Fast musealen Charakter hat nun sein Opus magnum, das sich | |
| collagenhaft aus Gesprächsnotizen, Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen | |
| zusammensetzt. | |
| Der Roman erzählt vom Zweiten Weltkrieg, den Anfängen der sowjetischen | |
| Besatzung, der Nachkriegszeit in Ost und West – Weltgeschichte wird auf | |
| einem Kleinstadt-Marktplatz verhandelt, anekdotisch, essayistisch, | |
| autobiografisch – und fiktional. Am stärksten ist die Erzählung immer dann, | |
| wenn Vesper seine Erinnerungsarbeit reflektiert, und zwar als Romancier, | |
| nicht als Dokumentar: „Die Geschichten, die ich als Kind […] eingetrichtert | |
| bekam, waren meist falsch. Erst die Fortsetzungen, die ich mir selber | |
| ausdachte, […] klangen einigermaßen wahr, wenn ich sie mir erzählte.“ | |
| ## Sachbuch/Essayistik: Jürgen Goldstein | |
| In der Kategorie Sachbuch/Essayistik waren Bücher von fünf Professoren | |
| nominiert, über eine Frau in diesem Kreise wäre sicher niemand betrübt | |
| gewesen. Mit der Nominierung von Hans Joachim Schellnhubers Buch | |
| „Selbstverbrennung“ und Werner Busches Porträt von Adolph Menzel hat die | |
| Jury erstmals den Blick für die Naturwissenschaften und den Kunstband | |
| geöffnet. | |
| Einige hatten fest mit einer Nominierung von Stefan Martus‘ viel gelobtem | |
| Epochenbild der Aufklärung gerechnet, doch offenbar interessierten weniger | |
| die großen historischen Panoramadarstellungen. | |
| Zwar führt der diesjährige Sachbuch-Preisträger die LeserInnen auch in die | |
| Aufklärung, aber nicht in die Panoramaperspektive, sondern zu einem | |
| vergessenen, jedoch in seiner Zeit viel diskutierten Entdecker, | |
| Naturforscher, Revolutionär und Übersetzer: Georg Forster. | |
| Preisträger Jürgen Goldstein, Professor für Philosphie in Koblenz-Landau, | |
| hat mit „Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt“ (Matthes & | |
| Seitz) die gut erzählte, zitatreiche Biografie einer schillernden Gestalt | |
| verfasst: Mit James Cook umsegelte Georg Forster die Welt, verfasste | |
| erfahrungsgesättigte, literarische Naturbeschreibungen und ethnologische | |
| Beobachtungen, die Humboldt und Goethe begeisterten und rief als | |
| republikanischer Revolutionär die Mainzer Republik aus – die erste Republik | |
| in Deutschland. | |
| ## Übersetzung: Brigitte Döbert, „Die Tutoren“ | |
| In der Kategorie Übersetzung wird Brigitte Döbert für ihre deutsche Fassung | |
| von Bora Ćosić’ Roman „Die Tutoren“ ausgezeichnet. Ćosić’ auf 792 S… | |
| erzählte, einen Zeitraum von 150 Jahren umspannende Familienchronik ist | |
| voller Stilbrüche, wechselnder Textsorten. Sie pflegt einen höchst | |
| spielerischen Umgang mit Sprache – und enthält zahlreiche parodistische | |
| Anspielungen, die für deutsche Leser oft kaum nachvollziehbar sind. Das | |
| macht die Übertragung besonders schwer. | |
| Seiner sprachlichen und stilistischen Eigenheiten wegen galt das Buch als | |
| „unübersetzbar“. Zudem ist es in einem höchst beiläufigen Plauderton | |
| gehalten oder wartet seitenweise mit Listen auf, die Einträge enthalten | |
| wie: „Deutlich: wenn du so sprichst, dass es jedem in den Schädel fährt“ | |
| oder „Wählen: tut man seine Worte, aber es kommt dumm und nichtig heraus.“ | |
| Döbert sagt, sie benötigte zweieinhalb Jahre für die Übersetzung. Das mutet | |
| im Verhältnis zur bewältigten Aufgabe durchaus sportlich an. | |
| 17 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
| Tim Caspar Boehme | |
| Tania Martini | |
| ## TAGS | |
| Buchpreis | |
| Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024 | |
| Deutscher Buchpreis | |
| Ethnologie | |
| Leipzig | |
| deutsche Literatur | |
| Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024 | |
| Männer | |
| Flüchtlingspolitik | |
| Literatur | |
| Buchpreis | |
| Literatur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gedenken an Ethnologen Georg Forster: Ein Freund der Freiheit und Gleichheit | |
| Er war Revolutionär und Globalisierungstheoretiker: In Paris erinnerte ein | |
| Kolloquium an seinem Todestag an den Gelehrten Georg Forster. | |
| Ausgezeichneter Buchhandel in Leipzig: Anders lesen lassen | |
| Drei Leipziger Buchhandlungen sind in diesem Jahr prämiert worden. Sie sind | |
| allesamt ungewöhnliche Orte der Kreativtät. | |
| Thema Familie in der deutschen Literatur: Diktaturen in unserem Wohnzimmer | |
| Von Uwe Timm bis Katja Petrowskaja, von Frank Witzel zu Guntram Vesper – | |
| warum ist deutsche Literatur so vernarrt in Familiengeschichte? | |
| Leipziger Buchmesse: Wege aus dem moralischen Eifer | |
| In der Literatur zeigt sich 2016 die Lust am Exzess. Diese Kunst beherrscht | |
| keiner so gut wie Thomas Glavinic mit „Der Jonas-Komplex“. | |
| Liverpool auf der Leipziger Buchmesse: Die Schönheit der Stimme beim Lesen | |
| Literatur will erobert werden. Wie man beim Zugang zum Buch hilft, zeigt | |
| das Projekt „The Reader“ aus Liverpool in Leipzig. | |
| Romane von Männern über Männer: Seelenerkundungen starker Egos | |
| Exzess und Katzenjammer oder lieber Passivität und Beziehungsarbeit? Thomas | |
| Glavinic und Michael Kumpfmüller erzählen von Erziehung. | |
| Kommentar Ehrung Historiker Winkler: Demagogie und Wortverdreherei | |
| Heinrich August Winkler kritisiert einmal mehr Angela Merkels | |
| Flüchtlingspolitik. Und das in einer Rhetorik im Stil der neuen Rechten. | |
| Autor Heinz Strunk über das Schreiben: „Reine Apokalypse wäre zu viel“ | |
| Heinz Strunk hat sich in den Hamburger Frauenmörder Honka hineinversetzt. | |
| Auf der Leipziger Buchmesse gehört er zu den Favoriten für den | |
| Literaturpreis. | |
| Leipziger Buchpreis: Augur des Status quo | |
| Mit Heinrich August Winkler ehrt die Leipziger Buchmesse am Mittwoch einen | |
| Gegner von Angela Merkels Flüchtlingspolitik. | |
| Shortlist des Leipziger Buchmessepreises: Heinz Strunk unter den Nominierten | |
| Eine überraschende Auswahl präsentierte die Jury im Bereich Belletristik. | |
| Die nominierten Sachbücher handeln vom Klima, von Restaurants und Pferden. |