# taz.de -- Autor Heinz Strunk über das Schreiben: „Reine Apokalypse wäre z… | |
> Heinz Strunk hat sich in den Hamburger Frauenmörder Honka hineinversetzt. | |
> Auf der Leipziger Buchmesse gehört er zu den Favoriten für den | |
> Literaturpreis. | |
Bild: Heinz Strunk war bislang für autobiografisch geprägte, humorvolle Roman… | |
taz: Herr Strunk, Ihre Hauptfigur Fritz Honka wurde in den 70er Jahren von | |
der Boulevardpresse als „Monster“ bezeichnet. Woher kommt Ihr Interesse an | |
so einem Menschen? | |
Heinz Strunk: Ich habe einmal eine Reportage über Jürgen Bartsch gesehen, | |
dessen Geschichte ja psychologisch sogar eigentlich noch interessanter als | |
die von Honka ist, noch monströser. | |
Bartsch war ein pädosexueller Serienmörder. | |
Ja. Aber in einer Erzählung über Bartsch würde sich jedweder Humor | |
verbieten, außerdem ist der Fall für mich zu weit entfernt. Die | |
Grundproblematik zwischen Täter und Opfer blieb jedoch seit damals ein | |
Faszinosum für mich, und als ich Gast im „Goldenen Handschuh“ wurde, | |
entstand die Idee, die Honka-Story zu erzählen. | |
Der „Goldene Handschuh“ ist eine Gaststätte auf St. Pauli, die immer noch | |
existiert. Dort fand Fritz Honka damals seine Opfer. Verstehen Sie Honka? | |
Na ja, hoffentlich merkt man in meinem Buch, dass ich versucht habe, mich | |
nicht nur in Honka, sondern vor allem auch in die Frauen einzufühlen, die | |
seine Opfer wurden. Vielleicht ist falsch, was ich geschrieben habe, aber | |
ich denke, dass es so hätte sein können. Es hat mich selbst gewundert, dass | |
dieses Einfühlen funktioniert – für mich ist es authentisch. | |
Wie versetzt man sich als heutiger Mann in Figuren wie Honkas Opfer hinein | |
– in mittellose Frauen, die in den frühen 70ern um die 50 Jahre alt waren? | |
Für die Frauen dieser Generation, die um die Jahrhundertwende und kurz | |
danach geboren sind, hatte ich zum Beispiel meine Großmütter vor Augen. Das | |
waren einfache Frauen, zum Teil aus der Zone geflohen – was die mitgemacht | |
haben, Vergewaltigungen, Hunger, Entwurzelung, Vertreibung, solche | |
Schicksale sind wirklich kaum zu fassen. Dann stirbt der Mann, und die | |
Frauen haben nichts – keinen Beruf, kein Geld, keine Perspektive. So habe | |
ich mir die Gerda vorgestellt, Honkas erstes Opfer: Sie versucht ihr | |
grässliches Leben auszuhalten, bis sie endlich das Rentenalter erreicht hat | |
und der Staat sich um sie kümmert, sie eine winzige Wohnung mit Bett, Stuhl | |
und Heizung bekommt. Sie hat nicht einmal mehr Erinnerungen! | |
Und wie lassen sich Honkas unfassbar grausame Taten beschreiben, damit also | |
auch ein Stück weit erklären? | |
Es gibt einen Satz von Rolf Bossi, dem damaligen Staranwalt, der Honkas | |
Anwalt wurde: Honka sei nicht nur das ärmste aller Würstchen gewesen, | |
sondern habe auch noch das Pech gehabt, zum Mörder zu werden. Das trifft es | |
für mich sehr gut. Diese ganzen Bezeichnungen, Serienmörder, Massenmörder, | |
sind alle irgendwie unpassend. Bei ihm waren das vor allem Situations- und | |
Milieutaten, die im Alkoholwahnsinn passiert sind. Honka hat nicht die | |
undurchschaubare Psyche eines Naziverbrechers wie Dr. Mengele. Es gab bei | |
ihm keine Vorsätze. Honka hat meiner Ansicht nach ein besonders furchtbares | |
Schicksal gehabt – Missbrauch, Zementkrätze, diese Versklavung in den 50ern | |
auf Bauernhöfen. Er ist immer wieder zusammengeschlagen worden, so dass der | |
Kiefer noch dreimal gebrochen wird, ein Albtraum. So erkläre ich mir das. | |
Wie historisch genau sind Ihre Beschreibungen? | |
Ich habe im Staatsarchiv neben vielen anderen Akten ungefähr eine Seite | |
über jeden Mord gefunden und habe daraus konstruiert, wie es abgelaufen | |
sein könnte, in all seiner Monstrosität. Über den ersten Mord wusste ich am | |
meisten, habe aber am wenigsten darüber geschrieben, um erst mal nur eine | |
Fährte zu legen. Sehr umfangreich in der Recherche war die | |
Reedergeschichte. | |
Sie erzählen sie im zweiten Strang Ihres Romans. | |
Ja. Und zur Containerrevolution, die viele Hamburger Reeder in eine Krise | |
stürzte, und der Gelben Flotte, die nach dem Sechstagekrieg jahrelang im | |
Suezkanal festsaß, habe ich viel gelesen und nachgeprüft. Ich hatte einen | |
Informanten, der jede Menge Details aus dieser Zeit wusste. | |
Wieso haben Sie die Parallelgeschichte mit der Reederfamilie mit ins Buch | |
genommen? | |
Mir war von Anfang an klar, dass 250 Seiten purer Honka-Horror einfach zu | |
massiv gewesen wären. Und außerdem ist – in aller Bescheidenheit – ein | |
Qualitätsmerkmal des Buches, dass ich versucht habe, diese | |
unterschiedlichen Milieus auch sprachlich abzubilden. Meine eigenen | |
sprachlichen Möglichkeiten als Autor wären sehr begrenzt gewesen, wenn ich | |
nur in Honkas Sprache geschrieben hätte. | |
Die gewalthaltigen Stellen sind so gut geschrieben, dass die Situationen | |
mich bedrücken. Sie nicht? | |
Nee, gar nicht. Meine Aufgabe war, dem Ganzen so nahe wie möglich zu kommen | |
und es mit den passendsten Worten zu beschreiben. Über den Roman | |
„Kaltblütig“ wurde ja immer kolportiert, dass sein Autor Truman Capote an | |
dem Buch zerbrochen ist, weil es ihn so mitgenommen hat. Bei mir war das | |
nicht so. | |
Gemein haben die Storys aus beiden Milieus, Honka und die Reeder, dass es | |
um verzweifelte, komplett gescheiterte Männer geht. | |
Genau. Die Aufgabe in der Überarbeitung während des Lektorats war es darum | |
auch, ein paar Figuren ein wenig zu entschärfen. Die Figur der Gisela aus | |
der Heilsarmee zum Beispiel habe ich erst später hineingeschrieben, um mal | |
eine andere Stimme zu haben. Reine Apokalypse wäre einfach zu viel. | |
Haben Sie je überlegt, ob man die historische Figur Honka, die Sie an | |
Fakten entlangerzählen und die das Leben von realen Personen beeinflusst | |
hat, überhaupt mit rein fiktiven Figuren vermischen darf? | |
Ob das legitim ist oder nicht, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht | |
– es steht ja schließlich Roman drunter. Ich hätte gern noch lebende | |
Personen befragt, habe aber keine gefunden. Nur der jetzige Besitzer des | |
„Goldenen Handschuhs“, der Enkel des damaligen Wirts, hat mir einige Dinge | |
erzählt – er hatte Honka aber natürlich auch nicht mehr kennengelernt. | |
Viele Figuren sind ausgedacht – Gerdas Tochter Rosi zum Beispiel. Auch | |
Honkas Bruder – es gab einen, aber über den weiß ich kaum etwas. | |
Sie haben die unterschiedlichen Slangs schon angesprochen – zum Beispiel | |
der sabbelnde Hamburger Kapitän bei der Hafenrundfahrt. | |
Da habe ich natürlich selbst einige mitgemacht und dabei viel gelauscht. | |
Und diese bizarren Monologe in den Bars mitanzuhören war ein großer Teil | |
der Recherche. In diesen Sequenzen habe ich mir auch erlaubt, Humor mit | |
einzubringen – ich persönlich fand es jedenfalls irre komisch. Die | |
Hafenrundfahrt ist ein klassischer comic relief, damit man mal ein paar | |
Seiten Entlastung hat. Honka war ja damals wirklich kurz auf dem | |
aufsteigenden Ast. | |
Er fand eine Stelle als Nachtwächter. Und stürzte dann wieder schlimm ab. | |
Können Sie den Vorwurf verstehen, dass man solche Schicksale nicht zu | |
seinem eigenen kreativen Vorteil nutzen darf? | |
Nee – was sollte das heißen? Dass ich mich am Leid von anderen Menschen | |
bereichere? Das ist Schwachsinn. Ich verstehe nicht, wie man so denken | |
kann. Aber ist doch klar, dass bei diesem Buch auch manche Leute | |
aussteigen. Eine Zeitung wollte eigentlich einen Vorabdruck machen, hat | |
dann in den Text reingelesen und ist zurückgetreten, weil man es dem Leser | |
nicht zumuten wollte. Jetzt, wo ich für den Leipziger Buchpreis nominiert | |
bin, sieht das plötzlich anders aus. | |
Wieso – und ich nehme mich da nicht aus – lesen so viele Menschen gerne | |
solche Geschichten? | |
Die Menschen lesen ja auch gern Krimis, in denen es die abstrakte | |
Superbestie gibt, die man gar nicht mehr nachvollziehen kann – das finden | |
sie faszinierend. Aber genau das ist Honka nicht. Ich versuche im Buch eher | |
nachvollziehbar zu machen, wie jemand zum Mörder wird. Das ist in der | |
Wirkung anscheinend genauso interessant. | |
Gehen Sie nach den ganzen Bildern, die Sie erschaffen haben, eigentlich | |
immer noch in den „Goldenen Handschuh“? | |
Ja, ich bin da gern. | |
17 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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