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# taz.de -- „Das Teemännchen“ von Heinz Strunk: Mit großer Hingabe an das…
> Mit Phantastik angereicherte Elendsschilderungen und Thomas-Mann-Alarm.
> Heinz Strunk erzählt aus dem beschädigten Leben.
Bild: Wittert mit todsicherem Instinkt Hässliches, Krankhaftes und Verkommenes…
In Heinz Strunks neuem Buch „Das Teemännchen“ beginnt eine Erzählung mit
den Sätzen: „Flug LH 1455, Hamburg–München. Frietjof, der junge
Schauspieler, hat es beim Casting für die Hauptrolle in einem Spielfilm
unter die letzten drei geschafft.“ Denjenigen, die bereits einige der
anderen Erzählungen des Bandes gelesen haben, schwant nichts Gutes. Was
wird Frietjof wohl erdulden müssen?
Eventuell unterscheiden sich die Zugangsweisen zum Leben vor allem dadurch,
was man in seiner Umgebung als Erstes bemerkt. Es gibt solche, die dazu
fähig sind, auch im größten Unglück und unter apokalyptischen Umständen das
Schöne zu sehen, kleine Blümchen auf den Ruinen des geborstenen
Atomkraftwerks, und es gibt solche, die in der pausbäckigsten Normalität
und bei Abwesenheit jeden Unglücks, zwischen den summenden Rasenmähern
einer Vorstadtsiedlung an einem Samstagnachmittag, mit todsicherem Instinkt
Hässliches entdecken, Krankhaftes finden und Verkommenes wittern.
Zur letzteren Sorte gehört Heinz Strunk. Den Schauspieler Frietjof lässt er
sich folgenden Text zum Auswendiglernen zurechtlegen: „Gott ist alles
andere als moralisch. Schaut heiter zu, wie seine Geschöpfe einander
verschlingen und dabei erbarmungslos quälen. Weder bei Gott noch bei seinen
Geschöpfen gibt es Erbarmen. Des Lebens Grundprinzip ist das Böse.“
Frietjof wird so als 22-jähriger Naiver charakterisiert. Strunks
Perspektive als Erzähler und die von Frietjofs Gott sind allerdings nicht
immer auseinanderzuhalten.
Die Geschichten in „Das Teemännchen“ variieren in erster Linie ein Thema:
Das Leben rächt sich für Sünden, über die man nichts erfährt, an den
ohnehin schon durch ihre Hässlichkeit und Dummheit gezeichneten Menschen.
Sven ist „ein Schuppenflechte-Typ, trocken und fettig zugleich. Keine
Dreißig und so schütteres Haar, das es den Blick bis auf die Kopfhaut
freigibt, glänzende Stirn voller Pickel, gerötete Augenlider, stummelige
Finger mit abgekauten, entzündeten Nägeln.“ In einer Geschichte trifft er
in der Hamburger Kiezkneipe „Rosis“ Axl Rose, den Sänger der unschön
gealterten Band Guns N’ Roses.
## Absolutes Gehör für die Ausdrucksweise
Lutz P., ein ehemaliger Linksradikaler, gelangt zum Ende seines Lebens (das
mit dem Ende der Geschichte über ihn in eins fällt) in ein Altersheim:
„Hier, mitten unter den Alten, Invaliden, Versehrten, Debilen und
Schwerstpflegefällen, interessiert sich nun wirklich niemand mehr dafür,
wer er früher mal war und heute ist.“ „Gnom 2“, Protagonist der Erzählu…
„Zwei Gnome“ hat es auch nicht gut getroffen: „Sein Leidensglück ist der
Hass, alter, verbrauchter Hass, den man bei Gelegenheit mal austauschen
müsste, so wie Ölwechsel.“ Nach dem Lesen dieser Berichte aus den
versehrten Leben stellt sich die Frage, ob diese auf fast alle auftretenden
Figuren anwendbare Feststellung nicht auch für den Erzähler gilt.
Heinz Strunk besitzt ein absolutes Gehör für die Ausdrucksweise einer
Person und insbesondere für die Aneinanderreihung von Phrasen, die die
Sprechweise seiner Figuren charakterisiert und seine Erzählungen so
widerstandslos reinlaufen lässt wie eine mitgehörte Unterhaltung im Bus und
so einprägsam macht wie die tausend Mal gehörten Redensarten von nahen
Verwandten. In den Tagen, als ich „Das Teemännchen“ las, konnte ich
manchmal nur schwer unterscheiden, ob eine Nebensächlichkeit, die mir
einfiel, Teil eines Gesprächs mit Bekannten oder einer Strunk-Geschichte
gewesen war.
Das liegt auch an den Realitätseffekten, die Strunk insbesondere durch die
Wahl der Vornamen seiner Figuren und die weniger glamourösen Handlungsorte
seiner Geschichten setzt, sie spielen in Bad Bevensen oder Solingen, wenn
es gut läuft, kommt ein Dienstreisender mal ins heruntergekommene Hilton
nach Düsseldorf, eine besonders deprimierende Geschichte spielt in einem
namenlosen Ort auf „Lothars Autohof“ (Ossis heißen bei Strunk immer Lothar,
schade) kurz hinter der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, Bayern oder
Baden-Württemberg sind in Strunk-Land unbekannte Orte.
## Bodenlose Gemeinheit und Gewöhnlichkeit
Diese Realitätseffekte, die alle auf grelle Ausleuchtung von
Hyperalltäglichkeit zielen und mit der bodenlosen Gemeinheit und
Gewöhnlichkeit von dir und mir und deinem Nachbarn versetzt werden,
erschöpfen sich allerdings auch schnell. In den Geschichten gibt es keine
gemischten Gefühle, kaum Situationen, in denen es ein Sowohl-als-auch gäbe,
es ist, als säße jemand an einem Mischpult und regelte aus dem Sound alle
Mitten heraus und mutete dem Publikum nur prügelnde Bässe und schneidende
Höhen zu. Unausgesteuerter Pessimismus mag als Haltung eine Weile
interessant sein, als literarischer Beobachtungsmodus wirkt er im Verlauf
des Bandes irgendwann einseitig (Schauspieler Frietjof kriegt die Rolle
dann am Ende natürlich nicht).
Aufgebrochen wird er insbesondere durch die Miniaturen, in denen teilweise
in nur wenigen Sätzen beispielsweise die Geschichte von einem Männlein
erzählt wird, das so klein und ungeschickt ist, dass es sich selbst in der
Toilette herunterspült, aus dem Buch entlassen wird man mit einem eher
friedfertigen Text über den Aufstand von kleinen Elektroautos.
Ich befürchte, dass diese Texte den schwer zu unterdrückenden
literaturwissenschaftlichen Drang fördern werden, beispielsweise Kafka-
oder E.T.A.-Hoffmann-Alarm auszulösen, gar nicht zu Unrecht, und
tatsächlich ist es relativ rasant, dass Strunk es schafft, seine
naturalistischen Elendsschilderungen immer wieder auch mit Phantastik
anzureichern. Irritierend ist allerdings der Thomas-Mann-Alarm, den Strunk
ebenfalls nicht versäumt auszulösen.
## Kleinster Mann Deutschlands ertränkt sich in der Toilette
In Manns Erzählung „Der kleine Herr Friedemann“ von 1897 beginnt das
Unglück des Protagonisten mit einer betrunkenen Amme, die ihn vom
Wickeltisch fallen lässt. Mit den Frauen, die der durch seinen initialen
Sturz verwachsene Johannes („mit seiner spitzen und hohen Brust, seinem
weit ausladenden Rücken und seinen viel zu langen, mageren Armen auf dem
Schemel hockte und mit einem behenden Eifer seine Nüsse knackte, bot er
einen höchst seltsamen Anblick“) im späteren Leben in Kontakt kommt, hat er
nicht viel mehr Glück.
Zwar wird er zu einem empfindsamen Mann, dem Bildung und Theater alles
bedeuten, aber in dem Moment, als er es wagt, der Frau, die er liebt, zu
gestehen, dass er sein ganzes Leben unglücklich war, stößt sie ihn
verächtlich um, lacht ihn aus und geht fort (er ertränkt sich).
Bei Strunk heißt der kleinste Mann Deutschlands, der sich in der Toilette
ertränkt, „Der kleine Herr Diba“, „und der letzte Gedanke, bevor er das
Bewusstsein verliert, ist: ,Ich wusste, dass es eines Tages so kommen
würde.' “ Warum er das wusste, weiß kein Mensch, und mit dem Verzicht auf
Erklärungen und Psychologisierungen, die die frühe Mann-Erzählung
süßlich-schwer durchziehen, radikalisiert Strunk nicht nur die Anspielung
des Titels (wenn es denn eine ist, das sei mal dahingestellt), sondern vor
allem die Verzweiflung der Leserin, die in Erwartung weiterer Reports aus
der großen Sinnlosigkeit die Seiten wendet. Das Leben ist ungerecht.
## Sprachliche Fähigkeiten in freier Wildbahn erjagt
Nicht gegenüber Heinz Strunk allerdings, der für seinen Roman „Der goldene
Handschuh“ über den Frauenmörder Fritz Honka 2016 den Wilhelm-Raabe-Preis
erhielt. Das war nach einer Karriere als Mitglied einer Tanzkapelle (siehe
den Roman „Fleisch ist mein Gemüse“), professioneller Telefonstreichspieler
(siehe Studio Braun, „Gespräche“) und weiterer, nicht im Katalog des
Berufsinformationszentrums (BIZ) vorhandener Tätigkeiten eine unerwartete
Wendung. Sie war auch willkommen, weil hier sich der seltene Fall eines
erfolgreichen und berühmten Autors abzuzeichnen schien, der seine
Sensibilitäten und sprachlichen Fähigkeiten in freier Wildbahn erjagt
hatte. Und jetzt also Thomas-Mann-Alarm.
Eventuell ist es eine große Chance, wenn dieser mal nicht von Jonathan
Franzen, Uwe Tellkamp oder anderen an
Gesellschaftspanorama-durch-Generationengeschichte-Interessierten
ausgelöst wird. Sondern eben von einem Erzähler, der im Niedergang seiner
Figuren nicht edle Einfalt und stille Größe sucht, sondern den Niedergang.
Die Hingabe an ihr Unglück ist eben doch Hingabe, und die mag zwar in
diesem Band mit Erzählungen einseitig sein, aber sie scheint jedem armen
Teufel zu gelten, der jemals irgendwo aufs Maul bekam.
18 Sep 2018
## AUTOREN
Hanna Engelmeier
## TAGS
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Literatur
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