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# taz.de -- Historikerin über Opfer von Fritz Honka: „Es ging auch darum, W�…
> Ein Gedenkstein erinnert nun an die vier Frauen, die Fritz Honka
> umbrachte. Die Historikerin Frauke Steinhäuser hat nach ihren Spuren
> gesucht.
Bild: Gertraud Bräuer und Frieda Roblik (von l.): Zwei der vier Frauen, die Ho…
taz: Frau Steinhäuser, wie kam es dazu, dass Sie sich mit den Opfern des
Massenmörders Fritz Honka befasst haben?
Frauke Steinhäuser: Das war Zufall. Ich war Geschäftsführerin im
Stadtteilarchiv Ottensen, das in der Zeißstraße liegt, wo auch Honka gelebt
hat. Ich kenne die Geschichte seit Ewigkeiten. Aber mich hat sie nie
interessiert, weil ich diese Brutalitäten nicht so nah an mich heranlassen
wollte. Aber dann habe ich auf einer NDR-Seite Fotos der getöteten Frauen
gesehen.
taz: Was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Steinhäuser: Ich forsche schon lange zu Frauen, die in der NS-Zeit als
asozial stigmatisiert wurden. Als ich die Fotos gesehen habe, dachte ich:
Sie sehen relativ alt aus, was war eigentlich mit ihnen während der
NS-Zeit? Dann habe ich angefangen zu recherchieren und gesehen, dass drei
von ihnen damals junge Frauen waren. Daraufhin habe ich mich gefragt:
Wurden sie womöglich da schon verfolgt? Ich hatte irgendwie so eine Ahnung.
taz: Haben Sie bei Ihren Forschungen Menschen getroffen, die die Frauen
noch gekannt haben?
Steinhäuser: Ich habe nicht nach Zeitzeugen gesucht. Ich habe erst einmal
[1][Rita Bake vom „Garten der Frauen“] in Ohlsdorf davon erzählt und sie
sagte: „Wir legen einen Gedenkstein für sie.“ Für die Broschüre, die dazu
herausgekommen ist, bin ich dann in Archive gegangen und habe die
einschlägigen Akten studiert. Es gibt noch mehr zu erforschen, auch zu den
beiden Frauen, die unter den Nationalsozialisten im Konzentrationslager
waren. Außerdem wohne ich um die Ecke der Wohlwillstraße, wo zwei von ihnen
gelebt haben. Vielleicht leben da noch Leute, die etwas von ihnen wissen.
Das Thema wird mich also noch weiter beschäftigen.
taz: Haben Sie über die schriftlichen Quellen ein wirkliches Bild der
Frauen bekommen?
Steinhäuser: Da bin ich vorsichtig, weil die umfangreichste Quelle die
Ermittlungsakten der Kriminalpolizei zu Honka sind. Mir ist aufgefallen,
wie sehr die Kriminalbeamten geprägt sind von dem Bild, das immer noch
relativ verbreitet ist von Frauen, die mittellos sind, keine gute
Schulbildung haben, prekär leben, oft keine Unterkunft haben. Sie tauchen
pauschal als verwahrlost und unsauber auf. Es ist eine sehr abwertende
Sprache und ein sehr abwertender Blick.
taz: Wie konnten Sie anders auf die Frauen schauen?
Steinhäuser: Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie die Frauen gelebt
haben. Ich forsche ohnehin zu mittellosen Frauen in der Geschichte. Also
kann ich etwa aus der Art, wie sie sich gekleidet haben, Schlüsse ziehen.
In den Ermittlungsakten sind Fotos der Kleidungsstücke, die man bei Honka
in der Wohnung gefunden hat. Eine der Frauen hat einen roten Hosenanzug mit
ausgestellten Beinen und dazu weiße Schuhe getragen. Eine Frau hat goldene
Sandaletten gehabt, das wirkt wie ein Wunsch nach Glamour. Aber ich bin
vorsichtig mit solchen Rückschlüssen, ich bin ja keine Schriftstellerin,
sondern Wissenschaftlerin.
taz: In der Broschüre, die Sie zu den Frauen geschrieben haben, erwähnen
Sie, dass eine der Frauen eine Postkarte unterschrieben hat mit „Euer
Trunkenbold Susi“. Da scheint auch mal etwas Persönliches durch.
Steinhäuser: Es ist ein absoluter Glücksfall, wenn man so etwas findet. Ich
habe die Hoffnung, dass durch die Broschüre oder dadurch, dass der
Erinnerungsstein in der Presse ist, sich doch noch Verwandte oder Freunde
melden.
taz: Nach dem Verschwinden der Frauen hat sich niemand gemeldet oder wenn,
erst nach Wochen. Und die Beerdigungskosten wollten die Angehörigen auch
nicht tragen.
Steinhäuser: Beerdigungen sind grundsätzlich teuer. Und wenn die Familie
nicht sehr wohlhabend sind, haben sie das vielleicht auch deshalb
abgelehnt. Eine der Frauen hatte noch ein paar Jahre vor ihrem Tod Kontakt
zu einer ihrer Schwestern. Aber manchmal wollen die Familien mit solchen
Frauen nichts zu tun haben, weil sie selbst dem Ethos folgen zu arbeiten,
ordentlich zu sein und das Leben irgendwie im Griff zu haben. Im
Nationalsozialismus – und auch schon vorher – wurde sogenannte Asozialität
als vererbbar angesehen. Ich glaube, dass diese Angst nachwirkt, auch wenn
sie gar nicht bewusst ist: Was, wenn die Nachbar:innen in mir jetzt die
Nichte einer solchen Frau sehen.
taz: Sie haben auch über die Selbstbehauptungsversuche von Frauen
geforscht, die als Asoziale kategorisiert worden sind. Haben Sie etwas von
davon auch bei den Opfern von Fritz Honka gefunden?
Steinhäuser: Teilweise waren diese Frauen alkoholkrank, aber sie haben
immer versucht, sich schön anzuziehen. Das kann man natürlich auch so
deuten, dass sie als Sexarbeiterinnen auf ihre Kunden wirken mussten. Aber
ich denke, es ging auch darum, eine Würde für sich zu behalten, obwohl sie
unter wirklich prekären Umständen lebten und oft nur das hatten, was sie
bei sich trugen. Mir ist auch aufgefallen, dass die Frauen sehr oft den
Wohnsitz gewechselt haben. Sie haben versucht, sich dem Griff der Polizei
und den Kontrolluntersuchungen für Sexarbeiterinnen zu entziehen, zu denen
sie zwei- bis dreimal pro Woche mussten. Zwei Frauen haben geheiratet und
versucht, in ein eher bürgerliches Leben zu kommen.
taz: Aber es ist nicht gelungen?
Steinhäuser: Bei einer der Frauen war der Mann 30 Jahre älter. Aber ob es
deshalb scheiterte, weiß man nicht. Wäre ich Schriftstellerin, dann könnte
ich mir das ausdenken. Aber als Historikerin werde ich der Person nicht
gerecht, wenn ich da etwas hineindeute, was ich nicht belegen kann.
taz: Es gibt im Unterschied zu den Opfern relativ viel Beschäftigung mit
dem Täter: einen Film, ein sehr erfolgreiches Buch. War das für Sie auch
Anlass zu sagen: Ich sehe auf die Opfer?
Steinhäuser: Ich dachte, das kann doch nicht sein: [2][Alle versuchen
herauszufinden, warum der angeblich so arme Fritz Honka diese Frauen
umbringen musste] und niemand kümmert sich um die Opfer – das ist doch
zynisch. Zumal, als ich die Ermittlungsakten gelesen habe, wo die
[3][Frauen auch nur als Beleg für die Morde] erschienen.
taz: Wie groß war das Interesse bei der Einweihung des Gedenksteins?
Steinhäuser: Wir waren erstaunt, dass so viele da waren, mindestens 60, 70
Leute. Praktisch gegenüber ist das Grab von Uwe Seeler und Leute, die
eigentlich dorthin wollten, blieben stehen und haben uns zugehört. Und als
ich den Hinweis auf Social Media gepostet habe, gab es relativ viel
Resonanz, aber niemand hat mich beschimpft. Es waren durchgehend positive
Reaktionen, dass es gut ist, dass man das jetzt endlich mal erforscht. Das
hat mich auch wirklich gefreut.
taz: Werden Sie für Ihre Arbeit auch beschimpft?
Steinhäuser: Ich habe noch nie negative Reaktionen bekommen. Das liegt aber
wahrscheinlich auch daran, dass ich meine Vorträge in einem ganz bestimmten
Rahmen halte, die Publikation „Werkstatt Geschichte“ lesen eben nur
bestimmte Interessierte oder zum Ohlsdorfer Friedensfest kommen nur
bestimmte Leute. In meinem weiteren Bekanntenkreis erzähle ich nur
vorsichtig, woran ich arbeite, weil das oft mit Verfolgung,
Konzentrationslagern und fürchterlichen Brutalitäten zu tun hat. Wenn ich
manchmal doch erzähle, bin ich vom Echo positiv überrascht und denke: Die
Empathie ist doch verbreiteter, als ich das erwarte.
21 May 2025
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## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Schwerpunkt Femizide
Hamburg
Mord
Social-Auswahl
Theater
Kriminalität
Literatur
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