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# taz.de -- Gedenken an Ethnologen Georg Forster: Ein Freund der Freiheit und G…
> Er war Revolutionär und Globalisierungstheoretiker: In Paris erinnerte
> ein Kolloquium an seinem Todestag an den Gelehrten Georg Forster.
Bild: In Mainz erinnert eine Gedenktafel an den Naturforscher Georg Forster
Die Nummer 4 an der Rue des Moulins, wo am 10. Januar 1794 der erst
39-jährige Georg Forster im Exil starb, ist heute ein Best-Western-Hotel.
Der fünfte Stock des einstigen „Maison des Hollandais“, in dem sich seine
ärmliche Mansarde befunden haben soll, muss einer kleinen Gruppe rund um
den Forster-Biografen Frank Vorpahl am Todestag als behelfsmäßiger Ort des
Gedenkens dienen.
Der Weltreisende, Naturforscher, Übersetzer, Aufklärungsphilosoph und
Revolutionär hat keine überlieferte Grabstätte. Auch ist an der Fassade des
schmalen Hotelgebäudes keine Tafel zur Erinnerung an den historischen Gast
aus deutschen Landen angebracht. So gut wie niemand kennt ihn in
Frankreich, da er in der Geschichte der Großen Revolution nur eine kurze
Rolle auf einem Nebenschauplatz jenseits des Rheins gespielt hat.
Vermutlich ist der 1754 in Danzig geborene Forster, der 1793 nach Paris
kam, um vor dem Konvent den Anschluss der kurzlebigen Mainzer Republik an
das Land der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu erwirken, selber
nur knapp der Guillotine entgangen, als er noch vor einer drohenden
Verhaftung von einer Lungenentzündung geschwächt und einsam starb. Kurz
zuvor hatte ein anderer Delegierter der Jakobiner aus Mainz, sein
Mitstreiter Adam Lux, seine mutige Kritik am Blutrausch des Terrors mit der
Hinrichtung durch das Fallbeil auf der Place de la Révolution (heute La
Concorde) bezahlt.
## Deutsch-französisches Kolloquium
Aus diesen frühen Tagen stammt auch der prächtige Stadtpalast
Duret-de-Chevry im Marais-Viertel, der seit 60 Jahren das Deutsche
Historische Institut Paris der Max-Weber-Stiftung beherbergt. Hier treffen
sich später, ebenfalls an Forsters Todestag, auf Initiative von Vorpahl und
Einladung von DHIP-Direktor Thomas Martens Forscher, Autoren und
Forster-Freunde zu einem deutsch-französischen Kolloquium.
Es geht um die Würdigung eines Vergessenen. Dieses Unrecht sei das
Schicksal der Verlierer der Geschichte, zitiert Vorpahl aus einem der
letzten Briefe Forsters. Dieser ahnte voraus, dass sich nach dem Scheitern
nur die Feinde noch an ihre Namen erinnern, „und in Schulbücher schreiben,
dass wir Narren waren …“
In den 225 Jahren seit dem Todestag 1794 wurde Georg Forster zuerst als
„Vaterlandsverräter“ verfemt und danach für lange Zeit ignoriert, bevor er
von der DDR für ideologische Zwecke aus der Versenkung geholt und mit einer
Werkausgabe neu editiert wurde.
## Erstaunliche Aktualität für die Kulturanthropologie
Erst dank Biografien von Ulrich Enzensberger und vor allem Klaus
Harpprechts „Georg Forster oder Die Liebe zur Welt“ (1990), den Studien der
Georg-Forster-Gesellschaft in Kassel und neueren Publikationen von Jürgen
Goldstein und dem neuesten Forster-Buch von Frank Vorpahl, „Der
Welterkunder“ (2018), wird es uns möglich, einen weniger einseitigen Blick
auf die historische Rolle und den wissenschaftlichen Beitrag dieses
vielseitigen und politisch engagierten Gelehrten zu werfen und ihn in
seiner erstaunlichen Aktualität für die Kulturanthropologie zu würdigen.
Immer wieder staune man über die von der damals gängigen europäischen
Überheblichkeit weit entfernte „Unvoreingenommenheit“ des jungen Georg
Forster in der Begegnung mit den Inselvölkern des Südpazifiks, erklärt
Michael Ewert, der stellvertretende Vorsitzende der
Georg-Forster-Gesellschaft. Der erst 17-Jährige durfte als Zeichner und
Assistent seines Vater Johann Reinhold Forster an der zweiten Reise von
James Cook 1772 bis 1775 teilnehmen.
Sein 1777 zuerst auf Englisch veröffentlichtes Buch „Reise um die Welt“
wurde nicht nur zu einem Vorbild des wissenschaftlichen Reiseberichts, es
vermittelt dem Leser auch heute noch eine Perspektive einer ganzheitlichen
Welt, in der die grundsätzliche Gleichheit der Menschen postuliert wird. Im
selben Sinne hatte Forster mit seiner Kritik an Kants Rassenbegriff einen
Philosophenstreit provoziert.
## Grundstein zur modernen Ethnologie
Der junge Forster, der dank seiner Reisen laut Ewert „mehr von der Welt
gesehen hatte als fast alle seiner deutschen Zeitgenossen“ und unzählige
Sprachen erlernte, dürfe als „Globalisierungstheoretiker“ gelten. Mit
seinen Beschreibungen der Bewohner und der Lebensbedingungen auf Tahiti,
Tonga, Neukaledonien, Neuseeland, der Osterinsel und anderen mit Cook
besuchten Inseln des damals noch sagenumwobenen „Südmeers“ hat Forster
einen Grundstein zur modernen Ethnologie gelegt.
Die „Ethnografica“ (Alltagsgegenstände, Waffen und Schmuck), die Vater und
Sohn Forster von der Reise mit Cook zurückgebracht und danach dem Fürsten
von Anhalt-Dessau geschenkt hatten, sind auf Vorpahls Betreiben hin seit
2018 im Schloss Wörlitz in Sachsen-Anhalt in der ersten Georg Forster
gewidmeten Dauerausstellung zu sehen.
Frank Vorpahl ist nicht der Einzige, der sich auf Forsters Spuren auf die
Archivsuche oder Reisen bis in den Südpazifik begeben hat. Unter anderem
beschäftigt sich die Forschung auch mit dem prägenden Einfluss, den er
namentlich auf den jüngeren Alexander von Humboldt anlässlich ihrer
gemeinsamen Reise vom Niederrhein durch Flandern, Holland, England und
Frankreich nach Paris hatte, wo die beiden 1790 kurz vor dem erstem
Jahrestag der Erstürmung der Bastille eintrafen.
## Tragisch endendes revolutionäres Engagement
Seiner Überzeugung folgend gründete Forster in Mainz 1792 den Jakobinerklub
„Freunde der Freiheit und Gleichheit“ und die Zeitung Der Volksfreund. Er
blieb von der unabwendbaren Notwendigkeit der Revolution als einer nur
bedingt von der Vernunft steuerbaren „rohen Kraft der Menge“ bis zu seinem
Tod überzeugt, obschon zuletzt die Grausamkeit und zügellose Gewalt des
Terrors bei ihm Zweifel nährten, wie ein von Vorpahl vorgelesener Brief aus
dem Exil bezeugt. Vielleicht wurde Forsters tragisch endendes
revolutionäres Engagement in der späten Würdigung dennoch zu sehr
ausgeblendet.
Die unter den Forster-ExpertInnen in Paris geführte Diskussion zum Thema
„Was bleibt?“ hat aufgrund der Vielseitigkeit dieses frühreifen
Universalgelehrten aber Antworten in verschiedensten Bereichen geliefert.
Völlig unerwartet war für die allermeisten vermutlich eine vom DJ Henrik
Schwarz neu mit einer Flöte interpretierte Partitur einer Melodie, die
Forster in der Südsee notiert hatte.
Für Jürgen Goldstein sind alle Tendenzen und Kräfte jener Epoche im Werk
und Leben von Forster zum Ausdruck gekommen. Und zur Bedeutung der heutigen
Aufarbeitung des Forster-Werks zögert er nicht zu sagen: „Wir verstehen uns
selber besser, wenn wir Forster verstehen.“
13 Jan 2019
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Ethnologie
Georg Forster
Todestag
Kolloquium
Alexander von Humboldt
Schwerpunkt #metoo
Reisen
Buchpreis
England
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