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# taz.de -- Aus der Sonderausgabe „Charlie Hebdo“: Satire muss alles und no…
> Was darf die Satire heute? Was darf die Karikatur nach „Charlie Hebdo“?
> Und wo sind die ganzen Unterstützer geblieben?
BERLIN taz | Wären sie zu dem Zeitpunkt schon beerdigt gewesen, die
Satiriker von Charlie Hebdo hätten sich im Grabe umgedreht, wenn sie
gesehen hätten, wer da im Januar plötzlich alles „Charlie“ sein wollte.
Dabei war schon der große Solidaritätsmarsch in Paris eine einzige
Spitzenpointe.
Da hakten sich unter dem Banner „Je suis Charlie“ allen Ernstes die
Vertreter etwa Saudi-Arabiens, Russlands und der Türkei unter, um gegen das
Attentat auf die Satirezeitung zu protestieren. Zugegeben, in deren Ländern
hätte es solche Anschläge auf Kunstschaffende niemals gegeben. Weil die
schon vorher ermordet, von Amts wegen hingerichtet oder in irgendein
modriges Kerkerloch gesteckt worden wären. Es geht halt nichts über eine
umsichtige Prävention.
Auch in Deutschland war das Entsetzen groß. Dass sich dabei Politiker und
Gruppierungen solidarisch äußerten, die sonst kaum eine Gelegenheit
auslassen, gegen Satire zu schimpfen oder zu klagen, muss man vielleicht
gar nicht so hoch hängen. Natürlich, ein bisschen lustig war das schon,
aber man kann eben auch als chronisch beleidigte Leberwurst, die sonst
keine Gelegenheit auslässt, darüber zu jammern, wie gemein hiesige
Satiriker mit einem selbst, dem Papst oder Nachbars Katze umspringen,
dagegen sein, dass diese Leute abgeschlachtet werden.
Und selbstverständlich kann man mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen Satire
vorgehen, wenn man denn meint, dass das unbedingt nötig ist, und trotzdem
dagegen sein, dass andere Spaßbremsen versuchen, dasselbe Ziel mittels
Maschinengewehr zu erreichen.
## Mit Lizenz zum Witzeln
Trotzdem ist es unappetitlich, dass die Dresdner Spaziervögel der Pegida
sogleich den Terror propagandistisch zur Rechtfertigung ihres Islamhasses
einsetzten, um die Solidarität mit einer Zeitung zu behaupten, die sie
sonst ganz selbstverständlich als Lügenpresse beschrien hätten. Aber
andererseits: Dass Deppen sich wie Deppen benehmen, ist ja nun mal auch
keine Überraschung.
Doch auch im Feuilleton müffelt es. „Mit dem Islam hättet ihr euch das
nicht getraut!“, fleischhauert es traditionsgemäß als Antwort auf jede
Satire, die einen Nerv trifft und dabei skandalöserweise nicht den Islam
zum Ziel hat. Dass der Vorwurf dabei oft schlicht Unsinn ist, weil viele
der so Angegriffenen durchaus enem auch schon islamische Umtriebe zum Ziel
ihres Spotts gemacht haben, sei nur am Rande vermerkt.
Doch wäre es schlimm, wenn ein Satiriker sich auf Katholiken, Hundebesitzer
oder Briefmarkensammler spezialisierte? Macht das den einzelnen Witz
weniger lustig? Darf man erst frei spotten, wenn man mit einer
Mohammed-Karikatur seine Lizenz zum Witzeln erworben hat? Und gilt die
erst, wenn sie mit mindestens einer Fatwa belegt wurde?
Mit pietätbedingtem Abstand von einigen Wochen krochen die großen
Relativierer aus ihren Löchern (Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche
Zeitung, Tagesspiegel), um des Deutschen allzeitige Lieblingskonjunktion in
Großbuchstaben in die Feuilletons zu pressen: aber. Natürlich dürfe Satire
alles, aber … muss man denn Witze machen, die religiöse Gefühle verletzen?
Muss man denn immer so provozieren?
## Sensibles Umschiffen von Gefühlen
Selbstverständlich wolle man den Anschlag auf Charlie Hebdo damit nicht
rechtfertigen, aber … – und schon ist sie geschehen, die teilweise
Rechtfertigung. Irgendwie haben die Satiriker ja doch selbst Schuld, wenn
der Mann mit dem Sturmgewehr plötzlich vor dem Schreibtisch steht.
Oder, wie FAZ-Mann Christian Geyer es formulierte: „Im ‚aber‘ zeigt sich
der kulturelle Vorsprung. Im ‚aber‘ steckt die Fähigkeit zur Empathie: das
Zurückschrecken davor, Gefühle zu verletzen. Wer solche Sensibilität von
vornherein unter den Verdacht der Feigheit, des Kuschens und Wegduckens
stellt, wird es schwer haben, einem Aggressor der Freiheitsrechte die Stirn
zu bieten.“
Weshalb es selbstverständlich viel vernünftiger ist, sich vorher zu
überlegen, welche Gefühle Aggressoren der Freiheitsrechte denn so
umtreiben, um sie dann ganz sensibel zu umschiffen. Geyer plädiert für eine
Unterscheidung, „wann Gefühle Respekt verdienen und wann sie nur
vorgeschützt sind, um in ihrem Namen zu morden und mundtot zu machen. Wie
will man einer brutalen Gefühls-travestie wehren, wenn man sie mit zu Recht
verletzten Gefühlen über einen Kamm schert?“
## Ignorante Vorkämpfer für den Gefühlsrespekt
Das sind halt so Fragen. Man könnte sie ergänzen um diese: Wer will denn
eigentlich entscheiden, welche Gefühle zu Recht und welche zu Unrecht
verletzt werden? Christian Geyer höchstselbst? Der Mann hat doch auch so
viel anderes zu tun! Oder umständehalber halt doch die Autoritäten, die in
der Vorstellungswelt der kulturellen Vorsprungsbewahrer dafür zuständig
sind? Die Kirchen, die Professoren, die FAZ-Redaktion?
Dabei ignorieren die Vorkämpfer für den Gefühlsrespekt geflissentlich, dass
die Satiriker keineswegs die einzigen Opfer der Anschläge vom Januar waren.
Ganz nebenbei hat es ja auch noch einige Juden erwischt, die in einem
koscheren Supermarkt einkaufen gingen. Und dann gab es ja auch noch am
selben Ort von einer gleichen Tätergruppe im November die Anschläge gegen
Menschen, die in Restaurants saßen oder auf ein Konzert gingen. Müsste man
dann nicht auch hier nach der Mitschuld der Opfer fragen? Müssen die sich
denn unbedingt öffentlich amüsieren vor den Augen religiöser Miesepeter?
Selbstverständlich ist nicht jede Satire oder jede Karikatur gelungen oder
künstlerisch wertvoll. Das allerdings hat auch nie jemand behauptet, am
allerwenigsten tun dies Satiriker, die im Regelfall ja noch viel mehr
Satire doof finden als der gemeine Leser. Satire kann langweilig und
unlustig sein (schauen Sie mal in die Süddeutsche Zeitung!). Und schon Kurt
Tucholsky beschrieb sie als „ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht“ (und zwar
im selben Text, dessen berühmte Synthese nach dem 8. Januar 2015 rauf- und
runterzitiert wurde), denn: „Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“
## Mit Unernst zur Aufklärung
Weil Satire in die Breite zielt, trifft sie immer mehr, als getroffen
gehören, damit auch ja die Richtigen darunter sind. Dabei verfolgt sie
zudem eine Richtung. Sie zielt von unten nach oben, sie hinterfragt
Gewissheiten und Dogmen, sie bekämpft heiligen Ernst mit Unernst im Dienste
der Aufklärung.
Natürlich können satirische Mittel auch in entgegengesetzter Richtung
eingesetzt werden. Man achte nur auf entsprechende rhetorische Figuren etwa
im Umfeld von Pegida. Die allerdings stets das Ziel verfolgen, gegen
Schwächere zu treten, und die daher eben keine Satire im Sinne Tucholskys
sind, sondern schlicht Hetze. Es ist eben etwas grundlegend anderes, ob man
gegen muslimische Flüchtlinge hetzt oder sich über islamofaschistische
Tendenzen oder religiöse Dogmen lustig macht.
Um sich gegen solche Zumutungen zu wehren, darf Satire eben – alles. Nach
dem 8. Januar 2015 genauso wie vorher. Das Einzige, was sie wirklich nicht
darf, ist aus Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten auf gute Witze zu
verzichten.
## Wehren durch Ignorieren oder Internetpetitionen
Sprich: Über Satire kann man streiten. Ganz wunderbar. Oder man kann sich
gegen sie wehren, durch Ignorieren (bewährtes Hausrezept!) oder dadurch,
dass man seine gegenteilige Meinung zum Ausdruck bringt, mit eigenen
Satiren, mit wütenden Predigten oder ganz trendy mit Internetpetitionen.
Ganz egal. Nur eines geht eben absolut nicht: mit dem Messer oder der
Maschinenpistole zu antworten.
Wenn dies dann aber wie in jenem Januar 2015 in Paris doch geschieht, dann
lautet die Frage eben nicht, ob die Opfer die Täter vielleicht provoziert
haben oder die Satire ihren diskursiven Charakter durch vorauseilende
Selbstzensur verleugnen solle.
Vielmehr lautet die Frage, was eigentlich schiefgelaufen ist, dass Leute
dermaßen fanatisiert sind, dass sie nicht nur ihr eigenes Leben für
irgendwelche ideologischen Wahnvorstellungen wegzuwerfen bereit sind,
sondern auch noch das Dutzender anderer Menschen. Dass die Gründe hierfür
vermutlich einiges mit gesellschaftlichen wie globalen Machtstrukturen zu
tun haben, gegen die gerade jene Satire anspöttelt, von der dann gesagt
wird, sie verletze aber respektgebietende Gefühle – das kann man mit
einiger Berechtigung wohl annehmen.
6 Jan 2016
## AUTOREN
Heiko Werning
Volker Surmann
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