# taz.de -- Kommentar „Charlie Hebdo“-Anschlag: Je ne suis pas Charlie | |
> „Charlie Hebdo“ war angeblich respektlos gegen alles, was heilig ist. | |
> Umso fragwürdiger ist die Pietät der vielen, die gedenken. | |
Bild: Wer nicht mitmacht, wird verdächtigt, mit Terroristen zu sympathisieren:… | |
Über Tote nur Gutes. Dieses weihevolle Leitmotiv schwebt über vielen | |
Beiträgen zum Jahrestag des Massakers an den Mitarbeitern des | |
Satiremagazins Charlie Hebdo. Vom Springer-Verlag bis zur taz, alle wollen | |
„Charlie“ sein, immer noch. Doch so sympathisch jede Hommage an die | |
ermordeten Zeichner ist, so fragwürdig ist ihre Verklärung. Die | |
Sakralisierung des Gedenkens zeigt sich schon in der Sprache, wenn sie zu | |
„Märtyrern der Meinungsfreiheit“ verklärt werden. Vom Vorwurf des | |
Rassismus, der dem Blatt bis zum Attentat vor einem Jahr noch gemacht | |
wurde, wollen viele nichts wissen und reagieren betroffen und pikiert bis | |
empört, wenn ihn jemand zur Sprache bringt. | |
Dass die Fans eines Blatts, das sich angeblich die Respektlosigkeit | |
gegenüber allem, was heilig ist, auf die Druckfahnen geschrieben hat, auf | |
Pietät pochen, ist paradox. Mit autoritärer Pose erklären sie gläubigen | |
Muslimen, man könne auf ihre religiösen Gefühle leider keine Rücksicht | |
nehmen – aber wenn man ihre eigenen Idole kritisiert, reagieren sie so | |
dünnhäutig, als habe man ihren Propheten beleidigt. | |
Charlie Hebdo wird zu einem Symbol der „Meinungsfreiheit“ stilisiert. Aber | |
alle, die nicht in den allgemeinen „Je suis Charlie“-Chor einstimmen | |
wollen, werden an den Rand gedrängt und verdächtigt, mit Terroristen zu | |
sympathisieren. Der Soziologe Emmanuel Todd musste das leidvoll erleben. | |
Wie er in Frankreich angefeindet wird, weil er es wagte, den nationalen | |
Konsens in Frage zu stellen, gibt seiner These, dass der posthume Kult um | |
Charlie totalitäre Züge trägt, eindrücklich recht. | |
Natürlich war das Attentat ein abscheuliches Verbrechen. Aber vieles, was | |
dem Heft seitdem nachgesagt wird, ist ein Mythos. Eine fromme Lüge ist etwa | |
die Behauptung, es habe nach allen Seiten gleichermaßen ausgeteilt. Nein, | |
auch Charlie Hebdo kannte Tabus. Der langjährige Zeichner Siné musste 2008 | |
gehen, weil ihm vorgeworfen wurde, eine Karikatur über Nicolas Sarkozys | |
Sohn sei „antisemitisch“ gewesen. Karikaturen von Schwarzen und Muslimen, | |
die man eindeutig als rassistisch bezeichnen kann, waren dagegen okay. | |
## Der Grat zwischen Humor und Hetze | |
Unter seinem Herausgeber Philippe Val hatte das Blatt nach 2004 einen | |
stramm neokonservativen und antimuslimischen Kurs eingeschlagen. Zum Dank | |
wurde Val von Sarkozy 2009 zum Chef des staatlichen Radiosenders France | |
Inter berufen. Sein nachfolger Stéphane Charbonnier („Charb“) setzte den | |
antimuslimischen Kurs fort, der – das gehört zur historischen Wahrheit dazu | |
– sich finanziell lohnte. Nur die ständigen Kontroversen um | |
Mohammed-Karikaturen hielten das Blatt, das seine besten Zeiten längst | |
hinter sich hatte, noch im Gespräch und brachten es finanziell über die | |
Runden. | |
Doch man kann sich fragen, ob das noch Satire war und ist. Denn im Sinne | |
Tucholskys ist eine Satire keine Satire, wenn sie gegen Schwächere tritt. | |
Mohammed-Karikaturen aber sind keine Kritik an religiösem Fundamentalismus | |
– sie machen sich über den Glauben religiöser Muslime lustig, die in | |
Frankreich nun mal eine diskriminierte Minderheit sind. Das ist ein | |
kleiner, aber elementarer Unterschied. | |
Der Grat zwischen Humor und Hetze ist manchmal schmal. Der ermordete | |
Herausgeber Charb aber drehte den Vorwurf sogar um und behauptete, all | |
jene, die sein Blatt kritisierten, seien die wahren Rassisten. Denn es sei | |
Rassismus, eine Minderheit vor Spott schützen zu wollen. Nach dieser wirren | |
Logik müsste Charlie Hebdo antisemitisch gewesen sein, denn Witze über | |
Juden hat sich das Blatt weitgehend verkniffen. | |
## Zwangssolidarität ohne Zwischentöne | |
Antijüdische Karikaturen sind in der europäischen Presse ein Tabu, nicht | |
zuletzt aus Respekt vor den Gefühlen der Opfer des Holocausts. Zu Recht. | |
Aber mit welchem Argument kritisiert man antisemitische Karikaturen etwa in | |
arabischen Medien, wenn man antimuslimische Karikaturen vehement mit | |
Verweis auf die „Meinungsfreiheit“ verteidigt? Gilt die Meinungsfreiheit | |
nur für Europäer, die sich über den Islam lustig machen? Oder warum hat | |
keine deutsche Zeitung die berüchtigten Holocaust-Karikaturen aus dem Iran | |
nachgedruckt, wenn es doch angeblich darum geht, alles verspotten zu | |
dürfen? | |
Auch die taz hat das nicht gemacht, aus gutem Grund. Aber wie schon nach | |
dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh 2004, der Muslime | |
gerne als „Ziegenficker“ bezeichnete, zeigen sich Teile der Linken unfähig, | |
dem antimuslimischen Rassismus in den eigenen Reihen ins Auge zu sehen und | |
sich davon zu distanzieren. Das Ergebnis ist eine Zwangssolidarität, die | |
keine Zwischentöne mehr zulässt. | |
7 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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