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# taz.de -- Aus der Sonderausgabe „Charlie Hebdo“: Marine Le Pen mit Hitler…
> Vier Museen für komische Kunst haben ein virtuelles Museum für
> Karikaturen von „Charlie Hebdo“ installiert. Die Reaktionen sind positiv.
BERLIN taz | Wie soll man bloß reagieren? Diese Frage hat unmittelbar nach
den Anschlägen von Paris viele beschäftigt – besonders aber die, die sich
beruflich mit komischer Kunst beschäftigen. Achim Frenz, Leiter des
caricatura museums frankfurt, sagt, es sei kaum möglich gewesen, adäquat zu
reagieren: „Wie man es macht, ist es falsch.“
Bereits kurz nach den Attacken seien Forderungen an seine Institution
herangetragen worden, sie sollten doch jetzt unbedingt eine
Mohammed-Ausstellung zeigen. „Das haben wir natürlich abgelehnt. Wir
wollten keine Quote auf Kosten von Kollegen machen“, sagt Frenz.
Der 58-Jährige ist Mitherausgeber des Satiremagazins Titanic, das von ihm
geführte Museum für Komische Kunst ist eng verbunden mit dem Werk der Neuen
Frankfurter Schule. Unmittelbar nach dem 7. Januar 2015 war man noch im
Schockzustand. Mit dem Zeichner Georges Wolinski war auch ein Kollege
ermordet worden, mit dem man früher zusammengearbeitet hatte.
Die Fragen aber blieben: Was müssen wir jetzt zeigen? Was dürfen wir (noch)
zeigen? Schwierige Fragen, die sich neben den Museen auch Medien und
öffentliche Einrichtungen stellten – und die eigentlich schon seit Beginn
des Karikaturenstreits 2006 nicht mehr nur nach medienethischen, sondern
auch nach sicherheitspolitischen Gesichtspunkten entschieden werden. „Die
Angriffe auf die legendäre französische Satirezeitung hatten nun aber eine
ganz andere Qualität“, sagt Frenz, „es wurden schließlich Redakteure und
Zeichner wegen ihrer Meinungsäußerung in ihren Büros gezielt hingerichtet.“
## Knutschende Imame und eine nackte Marine Le Pen
Erst einmal haben die Frankfurter gemeinsam mit drei weiteren Museen – der
Caricatura Galerie für Komische Kunst Kassel, dem Cartoonmuseum Basel und
dem Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch in
Hannover – entschieden, was sie inhaltlich machen wollten: informieren.
Über Charlie Hebdo. Über französische Karikaturgeschichte. „Die meisten
waren vor einem Jahr ‚Charlie‘, aber die Wenigsten kannten Charlie, erklärt
Frenz, „das wollten wir ändern.“
Im Juli 2015 haben die vier Museen die Website [1][“Museen für Satire“]
gelauncht. Es ist eine schlicht gestaltete Seite, die ausgewählte Cartoons
und Karikaturen von Charlie Hebdo aus den Jahren 2010 bis 2015 – mit
deutscher Übersetzung – zeigt. Man kann sich durch die Bereiche Religion,
Gesellschaft und Politik klicken und sieht eine nackte Marine Le Pen mit
Hitler-Intimfrisur, knutschende Imame oder böse Cartoons zur
Flüchtlingskrise.
Die Geschichte Charlie Hebdos und dessen Vorgängerheftes Hara-Kiri (bis
1970) wird nacherzählt, ein ganzer Reiter ist dem Thema „Laizismus in
Frankreich“ gewidmet. „Die französische Art von Satire wäre in Deutschland
gar nicht denkbar, sie ist um einiges radikaler“, sagt Frenz, „als ich das
erste Mal ein Hara-Kiri-Heft in der Hand hatte, dachte ich: Ich glaube
nicht, was ich sehe.“ Französische Zeichner waren es, die die Karikatur der
Moderne erst möglich machten, mit Honoré Daumier als Pionier der heutigen
Satire wurde sie im 19. Jahrhundert als wirkmächtige Kunstform etabliert.
## Keinerlei Drohungen trotz größtem Verbreitungsgrad
Es geht den Seitenbetreibern aber auch um Aufklärung. Denn wer die
Charlie-Hebdo-Zeichner für einen Haufen islamophober Karikaturisten hält
und so das Morden relativiert, der kann auf dieser Website etwa eine von Le
Monde erhobene Auswertung aller Titelblätter des wöchentlich erscheinenden
Heftes zwischen 2005 und 2015 nachlesen.
Mehr als drei Viertel widmeten sich den Themenspektren Politik, Wirtschaft
und Soziales. Nur 38 Titelblätter hatten Religion zum Thema, überwiegend
ging es um die christlichen Religionen. Ganze sieben Cover setzten sich mit
dem Islam auseinander – beziehungsweise eher mit islamistischen
Extremisten. „Es ist falsch, wenn man glaubt, dass die Satiriker von
Charlie Hebdo sich hauptsächlich mit dem Islam beschäftigen würden“, sagt
Frenz im Gespräch, „sie sind Teil einer laizistischen Gesellschaft – ihre
Satire wendet sich gegen jede religiöse Autorität.“
Warum das Projekt „nur“ online stattfindet? Warum keine Gemeinschaftsschau
aller Museen? „Es war recht schnell klar, dass das eine Online-Geschichte
werden soll“, sagt Martin Sonntag von der Kasseler Caricatura. „Im Netz
haben wir den größten Verbreitungsgrad. Und es sprachen auch einige
pragmatische Gründe gegen eine Ausstellung: Alle beteiligten Museen haben
Jahrespläne, die man nicht mal eben umschmeißen kann.“ Besonders am Anfang
sei die Resonanz groß gewesen. Die Reaktionen: fast nur positiv. Keinerlei
Drohungen. Nun überlegt man, wie die Website weiterentwickelt werden kann.
## Das Problem Sicherheit
Zum Problem, so darf man mutmaßen, wäre bei einer Ausstellung in einem der
Häuser der Sicherheitsaspekt geworden. Mehrere Schauen mussten 2015
abgesagt werden: Das Musée Hergé im belgischen Louvain-la-Neuve hat im
Januar 2015 eine Tribute-Schau für Charlie Hebdo gecancelt, im August 2015
fiel eine in London geplante „Draw Mohammed“-Schau aus.
Eine Kölner Schule wurde Anfang Februar vom konservativen islamischen
Dachverband Ditib allein dafür angefeindet, dass in einer
Schülerausstellung das erste Charlie-Hebdo-Titelbild nach den Anschlägen
gezeigt wurde. Und dies sind nur einige Ereignisse. Im Museum Frankfurt ist
auch nichts wie vor den Anschlägen – das Haus wird polizeilich überwacht;
einen Notfallknopf gibt es auch.
Vom kurzfristigen Reflex, nach der man „jetzt erst recht“
Mohammed-Karikaturen ausstellen müsse, hält Martin Sonntag wenig. Kunst,
die „provoziere um des Provozierens willen“, sei für ihn nicht interessant,
sagt der 47-Jährige. Im Gegenteil, er halte satirische Kunst, die nur aus
solchen Motiven heraus entstehe, für fragwürdig: „Wenn die Karikaturen
ausschließlich darauf aus sind, Tabus zu brechen, so spricht das nicht für
sie“, meint Sonntag, „die Zeichnungen müssen immer begründbar sein, es mu…
Haltung dahinterstecken, es muss so etwas wie ‚Hinterland‘ vorhanden sein.�…
Ob die Tabus und Grenzen von Satire sich verschieben nach Ereignissen wie
in Paris, fragen wir ihn. „Es gibt die klassischen Tabubereiche wie
Religion und Sex“, sagt Sonntag, dann aber kämen schon die nächsten:
„Männer, Frauen, Häuser, Kinder, Autos, Bäume, Straßen, Gebäude … wenn…
alles abhängt, was irgendeiner doof findet, dann hängt nichts mehr.“
In Kassel, wo der Verein Caricatura bereits seit 1984 besteht, hat man auch
schon so seine Erfahrungen mit religiösen Fundamentalisten gemacht –
allerdings mit jenen christlichen Glaubens. Im Jahr 2002 ging eine
Bombendrohung bei einer Ausstellung des österreichischen Künstlers Gerhard
Haderer ein.
Grund: Bilder aus seinem Buch „Das Leben des Jesus“. 2012 gab es wieder
Aufregung um Jesus, als der Karikaturist Mario Lars ausstellte: Das Plakat
zur Schau zeigte einen ans Kreuz genagelten Jesus, dem eine Stimme aus dem
Himmel zuflüstert: „Ey … du … ich hab deine Mutter gefickt.“ Zahlreiche
christliche Verbände beschwerten sich. Gegen Martin Sonntag und Mario Lars
sind acht Anzeigen wegen Blasphemie gestellt worden. Die Verfahren wurden
jedoch gar nicht erst eröffnet, da der Richter den Straftatbestand nicht
erfüllt sah.
## Neue religiöse Gefühle
„Schlimm wird’s, sobald es um Dogmatismus, Fanatismus,
Alleingeltungsanspruch geht“, sagt Sonntag. Im Zuge des Karikaturenstreits,
so glaubt er, hat auch die Empörung in anderen religiösen Gruppen wieder
zugenommen. Seit in diesem Diskurs das Kriterium „religiöse Gefühle“ eine
Rolle spiele, hätten sich offenbar auch die Christen erinnert, dass sie
solche hegten.
Es stellt sich also für die Institutionen der komischen Kunst weniger die
Frage, was man nun anders machen muss, als vielmehr, wie man genau so
weitermachen kann. Ohne die berühmte „Schere im Kopf“, aber mit klarem
„gesellschaftspolitischen Auftrag“, wie Achim Frenz es sagt. Man solle sich
ganz auf das konzentrieren, was die Satire stark mache: Parodie,
Überzeichnung und Komik. Denn wenn sie gut sei, dann dürfe die Satire
tatsächlich alles.
7 Jan 2016
## LINKS
[1] http://museen-fuer-satire.com/
## AUTOREN
Jens Uthoff
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