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# taz.de -- Aus der Sonderausgabe „Charlie Hebdo“: Als Charbs Redaktion „…
> Der mexikanische Karikaturist Rafael Pineda alias „Rapé“ wurde in seiner
> Heimat verfolgt und floh nach Paris. Im Exil hat er sich mit Charb
> ausgetauscht.
„Eine Karikatur verletzt mehr als Worte, denn wir schauen dabei in einen
Spiegel, der uns entblößt.“ Rafael Pineda spricht mit einer gewissen
Leichtigkeit in der Stimme, egal, wovon er redet. Sogar, wenn er sich an
Schreckliches erinnert: An die befreundete Journalistin Regina Martinez
etwa, die 2012 in ihrer Wohnung ermordet wurde, nachdem sie kritische
Artikel veröffentlicht hatte. Pinedas leichte Stimme ist durch eine tiefe
Falte kontrastiert, die sich senkrecht über seine Stirn zieht.
Den Spiegel hat der mexikanische Karikaturist vor allem dem Gouverneur des
Bundesstaats Veracruz, Xavier Duarte, in zahlreichen Zeichnungen
vorgehalten. Da sieht man Duarte als Schwein, das sich mit dem Gesetzbuch
im Dreck sudelt. Auf einem anderen Bild thront der Gouverneur mit breitem
Grinsen auf den Grabsteinen ermordeter Journalisten. Eine Zeichnung zeigt
eine Schreibmaschine in einer Blutlache, die nur die Buchstaben
„Drogendealer“ als Tastatur hat.
Als Rafael Pineda, der unter dem Kürzel „Rapé“ arbeitet, 2011 und 2012
diese Karikaturen veröffentlichte, und gleichzeitig verfolgte Kollegen bei
sich zu Hause versteckte, erhielt auch er Drohungen. Auf die Rückscheibe
seines Autos hatte jemand die Worte „Halt den Mund“ mit dem Finger in den
Staub gemalt.
In Mexiko kann man solche Nachrichten als eine handfeste Morddrohung
verstehen, vor der es keinen Schutz gibt. Denn Regierung und Drogenkartelle
sind in dem zerrütteten Land längst nicht mehr unterscheidbar: Die Polizei
arbeitet oft im Auftrag krimineller Banden; Justiz und Strafverfolgung gibt
es nicht. Unbequeme Journalisten und Aktivisten werden in diesem Chaos
einfach beseitigt. Da wird schon mal ein abgehackter Kopf zur Abschreckung
vor eine Redaktion gelegt oder eine Radiosendung live mit Schüssen
unterbrochen.
## Weitermachen im Exil
„Du weißt nicht mehr, was du mit deinem Leben anfangen sollst. Es ist ein
ständiger Angstzustand“, beschreibt Rapé die Situation, in der man
niemandem seine Telefonnummer geben darf und misstrauisch gegen alle sein
muss. „Und wenn ich sage ‚alle‘ dann meine ich alle“, unterstreicht der
Karikaturist mit Nachdruck. So kam es 2012 zu der Entscheidung eines
kurzfristigen Exils. „Als eine Freundin eines Tages zu mir sagte: Guck mal,
es gibt da einen billigen Flug nach Paris, da habe ich nicht lange
gezögert.“
Die drei Monate in Paris hat Pineda in einem psychisch labilen Zustand
durchlebt. Dennoch lautet sein unermüdliches Credo: Weitermachen. Es zieht
sich durch seine Erzählungen, wie die senkrechte Falte sich über seine
Stirn zieht: Ein tiefer Schmerz ist darin zu lesen und gleichzeitig eine
unerschütterliche Kraft.
Mithilfe von Reporter ohne Grenzen wird Pineda in Paris unter anderem an
die Redaktion von Charlie Hebdo vermittelt, in deren Büros er manchmal
arbeitet und mit deren Zeichnern er sich austauscht – namentlich mit Charb.
Zusammen arbeiten sie an Themen, die Frankreich und Mexiko verbinden.
Pineda zeichnet weiter, auch im Exil.
## Beileid auf Totenköpfen
Drei Jahre später trifft der Anschlag auf Charlie Hebdo den Mexikaner hart.
„Ja, leider ist das etwas, was bei uns jeden Tag vorkommt“, bemerkt er. Zu
dieser Zeit zeichnet er den mexikanischen Präsidenten Peña Nieto, wie er
auf einem Haufen Totenköpfe steht und dem französischen Volk scheinheilig
sein Beileid wünscht.
„Besonders hart hat es mich getroffen, dass so etwas in Frankreich
passiert, weil das ein Ort ist, wo es garantiert Pressefreiheit gibt und wo
diese seit Jahrhunderten aufs Äußerste verteidigt wird.“ Mit Charb verliert
Pineda zum wiederholten Male einen geschätzten Kollegen. Die Ironie: „Pass
auf dich auf!“, waren Charbs letzte Worte an Pineda, bevor dieser zurück in
sein Heimatland flog.
Die Situation in Mexiko ist nicht besser geworden. Von medialer
Aufmerksamkeit – der einzigen wirksamen Hilfe – können mexikanische
Journalisten nur träumen, meint Pineda. Kein Staatsoberhaupt nimmt Anteil,
selten geht jemand auf die Straße. Die Opfer der mörderischen Zensur
sterben und verschwinden im Stillen.
Wie kann man sich nach dem Exil zurück in so ein Land wagen? Pinedas
Antwort ist bestimmt: „Mir ist irgendwann klar geworden, dass ich zurück
musste. Ich durfte nicht fliehen, sondern wollte mich dem Problem stellen.“
Journalismus ist für Pineda eine Lebenseinstellung: Entlarven, was nicht in
Ordnung ist, und eine Mentalität verantwortlicher Zivilbürger erreichen.
„Es geht nicht, dass man den Mund hält!“
Heute lebt der 43-Jährige in Mexiko-Stadt und leitet die Satirezeitschrift
El Chamuco, in der er weiter seine provokanten Karikaturen veröffentlicht.
Von der Regierung wird die Zeitschrift durch überhöhte Steuern und an den
Haaren herbeigezogenen Strafzahlungen schikaniert. Drohungen gehören
weiterhin zum Alltag. Dennoch lebt Pineda das, was so viele nach den
Anschlägen auf Charlie Hebdo forderten: „Wir dürfen uns keine Angst machen
lassen“, sagt er mit seiner leichten, aufgeweckten Stimme.
7 Jan 2016
## AUTOREN
Lea Fauth
## TAGS
Charlie Hebdo
Feinde der Pressefreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
Mexiko
Terror
Satire
Charlie Hebdo
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Mexiko
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