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# taz.de -- Til Mette über Zeichnen gegen den Terror: „Profiteure des Anschl…
> Der „Stern“-Cartoonist und Mitgründer der taz.bremen über Pressefreihei…
> religiöse Provokationen und türkische Fans von Islamkarikaturen.
Bild: Hat auch türkische Fans: Zeichner Til Mette.
taz: Til Mette, wie erinnerst du dich an den 7. Januar 2015?
Til Mette: Ich weiß noch genau, wie ich am Morgen von dem Anschlag auf
[1][Charlie Hebdo] hörte. Ich war total geschockt. Ich habe dann eine
Zeichnung mit Mohammed gemacht, als Rache. Aber man merkte, dass die mit
Gift gemacht war. Solche Zeichnungen funktionieren einfach nicht. Ich mache
ja keine Agitpropzeichnungen. Meine Zeichnungen sollen unterhalten, sie
sollen komisch sein – und sie sollen Themen behandeln, die man schwer
besprechen kann, weil sie zu komplex sind. Aber jetzt Mohammed zu
karikieren – ich weiß nicht.
Überlegst du zweimal, wie weit du gehen kannst?
Nein. Ich weiß nicht, ob das eine unterbewusste Schere im Kopf ist, aber
mir ist dazu nie was Komisches eingefallen. Manche Leute haben dazu ja
großartig komische Sachen gemacht.
Und sind die Redaktionen mit Karikaturen vorsichtiger geworden?
Nein. Ich habe in meiner ganzen Karriere überhaupt nie Zensur erlebt. Aber
ich weiß von Debatten über andere Zeichner, wo die Chefredaktion lange
diskutiert und die Zeichnungen schließlich zugelassen hat. Das wäre früher
handstreichartig abgelehnt worden, ohne Diskussion. Das ist auch eine Form
des Respekts, [2][den der Anschlag auf Charlie Hebdo] auf eine
tragisch-komische Art erzeugt hat – dass man darüber redet: Darf man das
oder darf man das nicht? Wir sind wichtiger geworden.
Der Terror hat den Cartoonisten geholfen?
Wir sind nicht nur Opfer, sondern auch Profiteure des Anschlags. Die
Karikatur hatte eine schwere Zeit ab den 90er Jahren, weil viele Leute mit
komischem Talent damals zum Fernsehen abgewandert sind. Da gab es eine
Zeit, in der man dachte: Ist die Karikatur so ein bisschen altbacken, von
gestern? Macht man das heute nicht anders?
Ab wann hat sich das geändert?
2005, als die [3][dänischen Botschaften wegen der Mohammed-Karikaturen
angegriffen wurden], gab es wieder einen medialen Fokus auf uns. Da haben
viele Leute gesehen, was für eine Sprengkraft in einer Zeichnung liegen
kann. Blöderweise liegt diese Sprengkraft in erster Linie bei denen, die
nicht viel im Kopf haben. Sehr aufgeregt haben sich ja Leute, die nicht
lesen und schreiben können und nur das Bild gesehen haben.
Zum Thema deiner Karikaturen ist der Islam erst durch den Terror geworden.
Bei mir war diese Lust an der religiösen Provokation mit dem Islam nicht
da, weil ich die als Lesergruppe ja gar nicht hatte. Bei jeder Zeichnung
muss ich daran denken, dass die Stern-Leser das verstehen müssen. Die
religiösen Themen des Islam haben ja lange in den normalen Lesehaushalten
gar keine Rolle gespielt. Mittlerweile sind diese Themen natürlich da.
Erst seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo?
Nein, das kam schon durch 9/11. Ich habe das sehr unmittelbar mitbekommen,
weil ich damals in New York gelebt habe. Vorher war der Islam gar kein
Thema. Was hatte man damit zu tun? Und dann kam diese Pervertierung der
Religion. Hatte ich vorher von 72 Jungfrauen gehört? Hatte ich gehört,
bevor man ins Paradies kommt, muss man die Körperhaare abrasieren? Das
hätte ich doch alles für einen Witz gehalten. Das sind Sachen, die habe ich
zum ersten Mal nach 9/11 gehört. Das gehört noch zur jüngsten Geschichte.
Was für Reaktionen kennst du, wenn du Muslime karikierst?
Ich bin nur einmal auf Facebook angepöbelt worden, von einem
türkischstämmigen Rocker. Wenn ich Zeichnungen zu Islamthemen bei Facebook
poste, posten viele Türken sie weiter. Die finden das witzig. Ich vermute,
die haben sich gefreut, dass wir ihre Themen ernst nehmen – also
muslimische Alltagsthemen wie Schächten, Kopftuch, türkische
Frauenkarrieren uns so was. Die werden oft sogar ins Türkische übersetzt.
Warum kann die Karikatur so furchtbar wehtun, viel mehr als ein Text?
Der Text wird nur über das Kognitive wahrgenommen, die Zeichnung auch
sinnlich, weil ja eine Stimmung dargestellt wird. Ich erreiche einen
Menschen damit auf einer viel größeren Angriffsfläche. Das geht direkt
unter die Haut. Ich spreche ihn ja nicht rational an, sondern emotional.
Ich lache ja nicht, weil ich was verstanden habe, sondern weil es ein
Reflex ist, den ich gar nicht steuern kann, wenn es wirklich witzig ist. Am
Schönsten ist es, wenn ich mich selber beim Lachen ertappe, obwohl ich gar
nicht lachen darf.
Wenn man sich hinterher dafür schämt …
Das ist die Königsdisziplin, wenn du Leute da abholst, dass sie über was
lachen, worüber sie gar nicht lachen dürfen. Das irritiert sie, und da
reagieren sie natürlich dann auch nicht rational, sondern emotional.
Das funktioniert mit der Religion immer besonders gut, oder?
Ja, das ist eigentlich traditionelles Handwerk. Die aktuelle Dynamik
entsteht erst durch die relativ neue Denkfigur der Verletzung religiöser
Gefühle. Weniger bei den Christen; die Katholiken berufen sich gelegentlich
darauf – aber die Muslime haben das Wort hoffähig gemacht. Das ist eine
Forderung an uns, dass wir Rücksicht nehmen müssten auf religiöse Gefühle.
Das halte ich für eine Maßlosigkeit, auf die wir uns aus Prinzip nicht
einlassen dürfen. Dem müssen wir entgegentreten und sagen: Nein, du bist
nicht im Recht. Das ist kein Begriff, der im Presserecht oder im
bürgerlichen Recht existiert. Das gibt’s nicht. Das zu lernen gehört meiner
Ansicht nach zur Integration. Das muss man den Leuten klar sagen: Wir haben
ein Verständnis von Pressefreiheit, das wir verteidigen werden.
Das klingt, als wärst du persönlich angefasst …
Ich bin ja in den achtziger Jahren Mitgründer der taz in Bremen gewesen. In
meiner Biografie spielt das Engagement für eine freie Presse eine zentrale
Rolle. Ich weiß noch, wie trutschig die Presse in den siebziger Jahren war,
wie sie im Deutschen Herbst Gewehr bei Fuß gestanden hat, als Schmidt die
Geschütze gegen die RAF auffuhr. In der Zeit ist ja das Interesse
entstanden, eine andere Presse zu machen, eine Presse von unten. Dass die
heute etabliert ist, ist eine andere Sache, aber ich betrachte das für
meine Generation als Lebensleistung, dass wir es geschafft haben, uns
emanzipatorisch einzumischen – per Gegenöffentlichkeit; dazu gehören für
mich auch der Stern und der Spiegel. Diese Errungenschaft werde ich
zeitlebens verteidigen.
Keine Kompromisse ...
Viele Linke sind ja eher harmoniebedürftig, wollen widerstreitende
Interessen aushandeln. Um des lieben Friedens willen würden die auch mit
anderen Gesetzen leben. Das ist bei mir nicht so. Ich sage glasklar:
Religion gehört ins Private. Sobald es öffentlich wird, hat sie da nichts
zu suchen. Komischerweise gibt es da Allianzen mit den Rechten: Nach den
Protesten gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen war es einerseits die
Welt, die die Karikaturen nachgedruckt hat, damit die Leute wenigstens
wissen, worum es geht, und andererseits die taz. Der Spiegel hat auch eine
gedruckt. Viele in der Mitte – auch Liberale – haben gesagt: Nee, das
machen wir lieber nicht. Ich habe zu der Zeit in Amerika gelebt und da war
der Konsens natürlich: Wir machen es nicht.
Aus Respekt vor den religiösen Gefühlen?
Ja, Amerika ist in dieser Hinischt frömmlerisch und pietistisch wie eh und
je. An der Stelle verstehe ich das Land auch nicht. Ich habe mich lange
daran gewöhnen müssen, dass es dort erlaubt ist, „Mein Kampf“ zu kaufen
oder Hakenkreuzfahnen öffentlich zu tragen. Heute ist das für mich o.k.,
weil ich glaube, dass die Menschen erwachsen sind. In den USA ist die
Meinungsfreiheit eben so weit, dass man dort alles veröffentlichen kann –
bis es zur Religion kommt.
Was dann?
Dann gilt das alles nicht mehr. Ich bin 2006 in New York zu einer
Veranstaltung namens „Left Forum“ eingeladen worden, als europäischer
Zeichner, der erklären sollte, was in Dänemark passiert ist. Ich wusste ja,
dass es die Zeichnungen in Amerika nicht gibt. Ich habe sie mir also im
Netz gesucht und schön groß ausgedruckt – das gab schon großes´"Ohohoho!�…
im Copyshop. Auf dem Panel saßen lauter alte New Yorker Linke. Als ich die
Karikaturen herumreichte, ging ein Raunen durch den Saal. Ich war in dem
ganzen Laden der einzige, der dafür war. Ein arabischstämmiger Professor
der Columbia-University sagte, das sei ein kulturimperialistischer Angriff
auf die Dritte Welt: Die erste Welt wolle mit den Karikaturen die
Deutungshoheit über die Dritte Welt durchsetzen.
In Bezug auf die Meinungsfreiheit ist da vielleicht sogar was dran...
Das mag sein, aber ich finde, das ist eine irrwitzige Diskussion, die davon
ablenkt, dass wir auch was zu verteidigen haben. Ich finde es schade, dass
diese Diskussion in der Linken mit angezogener Handbremse geführt wird.
In Amerika mehr als bei uns?
Die Amerikaner sind wahnsinnig vorsichtig mit der Kommentierung von
religiösen Themen. Warum sind wir das nicht? In Deutschland gab es ja lange
fast nur Katholiken und Protestanten. Da musste man nicht viel Rücksicht
nehmen. Amerika besteht seit seiner Gründung aus Hunderten von zum Teil
kleinsten religiösen Gruppierungen.
Man kann gar nicht alle Fettnäpfchen, alle Tabus kennen...
Die sind so komplex – selbst innerhalb der christlichen Einwanderer gab es
so viele verminte Gebiete ... diese ganzen Gruppen müssen ihr Terrain
verteidigen. Da reden wir noch nicht mal über Juden und Muslime. Deshalb
hat man sich für die dinner table conversation darauf geeinigt: don‘t talk
about religion. Und dann haben wir einen schönen Abend. Das hat immer
funktioniert – bis 9/11. Jetzt sind die Gesetze aufgehoben.
Und in Europa?
Da geht der Trend eher in die entgegengesetzte Richtung. Ich kann mir
vorstellen, dass wir auch vorsichtiger mit Äußerungen zu religiösen Themen
werden, wenn Europa komplexer in seinen religiösen Strukturen wird.
7 Jan 2016
## LINKS
[1] https://charliehebdo.fr/
[2] /!5024557/
[3] /!496900/
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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