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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Rotstift-Milieu
> Das Wahrheit-Interview: Zwei selbsternannte „Lektoren Berlins“ im
> Gespräch über die linguistische Stadtguerilla und ihre Aufgaben.
Sie sind die neue Untergrundbewegung, die immer mehr Anhänger findet. Sie
korrigieren unsere Städte. Die Wahrheit traf in Berlin zwei Aktivisten der
linguistischen Stadtguerilla „Liga der listigen Lektoren“ an einer
Tramhaltestelle im abendlichen Friedrichshain. Die beiden Männer sind
vermummt, sie sprechen mit verstellter Stimme. Ihr Alter ist schwer zu
schätzen, doch die Vermutung liegt nahe, dass wir es hier nicht mit
pensionierten Studienräten zu tun haben. Dafür sprechen auch ihre
Kampfnamen: „Bullshit Eliminator“ und „Slaughter of Apostrophes“.
taz: Herr Bullshit Eliminator. Wieso eine linguistische Stadtguerilla?
Bullshit Eliminator: Wir korrigieren die Stadt. Berlin ist eine unglaublich
dreckige Stadt.
Slaughter of Apostrophes: Und das hört bei der Sprache ja nicht auf.
Sprachmüll, wohin man guckt! Da muss man was tun!
Wie kommt man dazu, die Stadt zu korrigieren, Herr Slaughter of
Apostrophes?
Slaughter of Apostrophes: Man fängt einfach an. Mein Bäcker wirbt auf einer
Tafel neben der Tür immer für „Wochenend’s Angebote“. Irgendwann hab ich
heimlich mal das Apostroph weggewischt. Das war meine Initiation. Jetzt
steht es dort richtig.
Richtig?
Slaughter of Apostrophes: Na ja, etwas richtiger. Eigentlich müsste es
‚Wochenendangebote‚ heißen, zusammengeschrieben und ganz ohne „s“, abe…
hat wohl jemand versucht, „weekend’s special“ ins Deutsche zu übertragen.
Bullshit Eliminator: Vielleicht könnte man ihnen das „s“ bei
„Wochenends-Angebot“ noch als Fugen-s durchgehen lassen.
Oha, gleich eine der vertracktesten Eigentümlichkeiten des Deutschen.
Bullshit Eliminator: Wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst. Wir
sind keine von diesen verrückten Sprachpflegern, die nach jedem Tippfehler
in der Zeitung wutentbrannte Leserbriefe verfassen. Uns geht es um
sprachliche Verwahrlosung.
Wo liegt da der Unterschied?
Slaughter of Apostrophes: Ein Tippfehler in der Zeitung ist ein Tippfehler.
Viel lieber greifen wir im Stadtraum korrigierend ein. Wir haben immer
Kreide dabei und machen uns zunutze, dass Kreidetafeln an Restaurants und
Cafés gerade en vogue sind. So konnte ich etwa verhindern, dass in einem
Kreuzberger Restaurant neulich „Mouse au Chocolat“ auf den Teller kam.
Wo liegt denn der Schwerpunkt ihrer Arbeit?
Slaughter of Apostrophes: Meistens entfernen wir Deppenapostrophen bei
Genitiven und Pluralen. Man kann tatsächlich „rechts“ und „links“,
„morgens“ und „abends“, „jedes“, „alles“ und „nichts“ mit A…
schreiben! „Stet’s frische Pizza“ und „Kleintierpraxi’s“ – haben …
schon korrigiert.
Bullshit Eliminator: Oder Korrekturen angemahnt. Dann liegt im Briefkasten
eine Benachrichtigungskarte: „Ihr Apostroph ist falsch! Wir kommen wieder.“
Unterzeichnet: „LLL“. Die Drohung wirkt erstaunlich oft.
Aber Sie können auch anders?
Slaughter of Apostrophes: Genau. Wenn mal wieder „CD’s und DVD’s“
angepriesen werden, lassen wir die Schilder mitgehen und schicken sie
anonym und korrigiert zurück.
Bullshit Eliminator: Oder wir arbeiten komplett im Verborgenen. Wenn der
Blumenhändler im Frühjahr wieder „Nasitzen“ anpreist, dann malen wir das
Schild täuschend echt nach und tauschen es heimlich aus. „Guerilla
Correcting“ heißt die Bewegung in den USA.
Guerilla Correcting? Das klingt ja furchtbar.
Bullshit Eliminator: Wir sind doch keine deutschtümelnden
Sprachvereinsmeier, wir haben nichts gegen Anglizismen, doch auch „News“
und „Basics“ schreibt man ohne Apostroph.
Und wenn das heimliche Korrigieren nicht hilft?
Bullshit Eliminator: In besonders schweren Fällen gehen wir weiter: Dann
verfassen wir fingierte Bußgeldbescheide vom Landesamt für Orthografie und
Wörterkunde, die Verletzungen des Ortografiegebots für Gebäudefassaden
ahnden.
Slaughter of Apostrophes: Wir haben auch schon strafbewährte
Unterlassungsaufforderungen von angeblichen Fachanwälten für Grammatik
aufgrund von Verbrechen gegen die Sprache im öffentlichen Raum zugestellt.
Doch wir korrigieren nur. Wir kämpfen gegen die Windmühlen orthografischer
Einfalt.
Gab es bereits Verluste bei Ihnen?
Bullshit Eliminator: Ja, einer aus unserer Gruppe hatte es sich eines Tages
zum Ziel gesetzt, die falsche Perspektive beim Brandenburger Tor auf den
Antikratzfolien der Berliner U-Bahn-Scheiben zu korrigieren. Ein paar
U-Bahnwagen hat er mit einem Stabilo bearbeitet. Dann ist er völlig
abgedreht.
Was ist aus ihm geworden?
Slaughter of Apostrophes: Soweit wir wissen, ist er jetzt technischer
Zeichner beim neuen Flughafen BER.
Ach, wegen dem also!
Bullshit Eliminator: Haben Sie gerade „wegen dem“ gesagt? Das Interview ist
an dieser Stelle zu Ende.
Herr Bullshit Eliminator, Herr Slaughter of Apostrophes, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.
2 Feb 2016
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Deutsche Sprache
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Sommer
Rollkoffer
Sauna
Charlie Hebdo
Yoga
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