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# taz.de -- Die Wahrheit: Ein der, ein die, ein das
> Auch im Bücherherbst ist der Relativsatz in Buchtiteln nicht
> totzukriegen. Die Branche plant Neuausgaben bekannter Werke mit neuem
> Titel.
Bild: Ratlos stehen manche Leser vor den übermächtigen Buchtiteln.
Jonas Jonasson ist schuld. Der Welterfolg seines „Hundertjährigen“, der in
Deutschland inzwischen mehr verkaufte Exemplare als „Die Bibel“ und „Mein
Kampf“ ausweist, und des Nachfolgers „Die Analphabetin, die rechnen konnte�…
trat im Jahr 2011 einen Trend los, der bis heute nicht gestoppt ist: der
Relativsatz im Buchtitel.
Seitdem lasen wir vom „Jahr, das zwei Sekunden brauchte“, vom „Huhn, das
vom Fliegen träumte“, von der „Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt
verkaufte“, oder gar „Vom Inder, der auf dem Fahrrad bis nach Schweden
fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden“. Es erschienen „Der Alte,
dem Kugeln nichts anhaben konnten“, „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der
in einem Ikea-Schrank feststeckte“, „Das Mädchen, das den Himmel berührte…
und „Das Mädchen, das den Himmel nicht mochte“ – zwei Werke, die übrige…
nichts miteinander zu tun haben.
Nur der Mare-Verlag scheiterte bei „Die Inseln, auf denen ich strandete“
mit einem Relativsatz, der unschön erweitert klang. Vertriebskreise
munkelten, dass das Buch sicher erfolgreicher gewesen wäre, hätte es
geheißen: „Das Ich, das auf einer Insel strandete“.
## Kein Ende des Trends
Nicht zu vergessen die erfolgreiche Schwedenkrimi-Serie von Hjorth &
Rosenfeldt mit Titeln wie „Der Mann, der kein Mörder war“, „Die Frauen, …
er kannte“, „Die Toten, die niemand vermisst“ oder „Die Menschen, die es
nicht verdienen“. In Frankfurt stellt der Wunderlich Verlag nun auf der
Messe den neuesten Teil der Reihe vor: „Die verdienten Frauen, die keine
bekannten toten Mörder vermissten“.
Ein Ende des Trends ist nicht abzusehen. So wandern zum Bücherherbst 2015
wieder Neuerscheinungen in die Regale, deren Cover Titel zieren wie: „Das
Mädchen, das rückwärts ging“, „Der Junge, den es nicht gab“, „Der Ju…
der mit dem Herzen sah“ und „Das inexistente Kind, das nichts sah und ohne
Herz rückwärts ging“.
Doch wie kam es zu dieser Entwicklung? „Es sind nicht die Verlage, die sich
den Trend ausgedacht haben“, erklärt Gregor Dasselblom, Senior Germanistics
Assistent bei der Verlagsgruppe Random House: „Es sind vielmehr die
Deutschen, die den Relativsatz lieben.“
## Nur die Schwaben sind unzufrieden
Das stimmt nicht ganz. In der Stuttgarter Region verkaufte sich der
„Hundertjährige“ von Jonasson deutlich schwächer. Lange Zeit rätselte man
bei carl’s books, wieso, bis die Bad Cannstatter Kleinverlegerin Iris
Schäufele aufklärte: „Dr Reladivsadz ischt em Schwäbische falsch gwesa.“
Schäufele übersetzte den Bestseller in die süddeutsche Mundart, dieser Tage
erscheint „Dr schdeinalde Mo, wo aus däm Fenschder ghupft isch und
verschwinde duat“ (Schwätza Verlag, Oktober 2015).
„Das ist doch ein Trend, der zum Kotzen ist“, schimpft Lotte Penzil vom
Deutschen Verband für Leserrechte und stockt: „’tschuldigung“, korrigiert
sie sich dann: „Ich wollte sagen: Der Trend ist zum Kotzen. Genug des
Relativsatzes! Wir Leserinnen und Leser sind relativsatt.“
Nicht nur der kleine Interessenverband der Literaturnutzerinnen geht auf
Konfrontationskurs, auch der Börsenverein des Buchhandels empfiehlt seinen
Mitgliedern, gezielt vor Relativsatztiteln zu warnen. „Dazu ist unsere
Kampagne ,Vorsicht Buch!‘ doch da“, heißt es aus Frankfurt.
Ob solche Warnungen greifen? „Es ist eine Entwicklung, die sich nicht mehr
aufhalten lässt“, gibt sich Gregor Dasselblom siegesgewiss. Außerdem solle
man doch froh sein, dass überhaupt noch jemand Nebensätze verwende.
Unterdessen wurde bekannt, dass große Verlage Neuausgaben von bekannten
Werken unter neuem Titel planen. „Ein Angebot, das niederschwellig ist“,
erklärt Dasselblom, „für Käufer, die den Relativsatz im Titel gewohnt sind:
Klassiker der Weltliteratur mit Titeln, die topmodern sind.“
## Alter Wein in neuen Relativformen
Den Anfang machen „Das Paar, das keines sein durfte und ungeschickt mit
Betäubungsmitteln hantierte“ von William Shakespeare sowie Goethes „Der
alte Nerd, der sich mit dem Teufel einließ und unglücklich verliebte“. Für
das Frühjahr 2016 ist eine Fortsetzung der Reihe geplant mit dem „Mann, der
als Insekt aufwachte und sich ganz schön wunderte“ von Kafka und Anne
Franks „Das Mädchen, das in ihrem Versteck im Hinterhaus ein Tagebuch
schrieb und plötzlich verschwand“.
Selbst im Traditionshaus Suhrkamp erwägt man nach dem Tod der gefürchteten
Dichtertochter Barbara Brecht-Schall eine Neuedition der Werke Bertolt
Brechts. Ulla Berkéwicz beantragte jedenfalls schon Titelschutz für „Die
Mutter, die Mut hatte und sich den Krieg nicht madig machen ließ“ und „Der
Haifisch, der ein Messer trug und plötzlich verschwand“.
Doch ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht? Gregor Dasselblom meint,
nicht. „Ich bin mir sicher: Das nächste Ding, das Furore macht, sind
komplexe Konzessivsätze!“ Jonas Jonassons neuestes Werk wird nicht vor 2017
erscheinen, doch der deutsche Arbeitstitel ist bereits durchgesickert, „Der
Verleger, der, obschon er auf immer dieselbe Masche setzte, am Ende
trotzdem verschwand“.
7 Oct 2015
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Sauna
Deutsche Sprache
Yoga
Hitler
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