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# taz.de -- Die Wahrheit: Gefällter Baum auf Krücken
> Im Zuge der Gentrifizierung tobt im Osten Berlins ein erbitterter Krieg
> der Yogakulturen. Ein sportiver Frontbericht.
Gretl Baripada ist völlig verzweifelt. Seit 23 Jahren betreibt die
Endfünfzigerin ihre Yogaschule Haridwar am Petersburger Platz in
Berlin-Friedrichshain. Ein Radfahrer hat sie angefahren, abends spät nach
dem Abschließen ihrer Räume, mutwillig und bösartig. „Der Fahrer war
vermummt!“
Mehr als vier Wochen musste Baripada alle Yogakurse absagen, nun quält sie
sich wieder schmerzverzerrt auf die Isomatte. Trotz Krücken, trotz Gips,
trotz der Schrauben im Mittelfuß, ein paar treue Kundinnen halten zu ihr.
„Aber das reicht nicht“, klagt die engagierte Yogalehrerin. Sie stellt sich
demonstrativ in die Baum-Haltung. Der Gipsfuß zieht am Gleichgewicht, Gretl
Baripada fällt um. Ein gefällter Baum im Friedrichshain.
Der Kiez wurde erst relativ spät von der Aufwertungsspirale in der
Hauptstadt erfasst. Inzwischen reihen sich auch hier engagierte
Burgerbuden, Hipstercafés und Biomärkte aneinander. Mit der Gentrifizierung
kamen die Yogastudios. Und die Konkurrenz. Vier Neueröffnungen machen den
angestammten Anbietern das Leben schwer.
## Katzenfutter aus Tofu
„Immer häufiger fragen Menschen nach Probetrainings und vergleichen die
Preise“, erklärt Swantje Talweiler vom Yogastudio Fröhlicher Sonnengruß.
„Wo kriege ich am meisten Entspannung für das allerwenigste Geld?“
Der Markt war zu schnell gewachsen, ein erbitterter Preiskampf die brutale
Folge. „Und dabei steigen doch die Mieten!“, stöhnt Talweiler. Das
Yogastudio Stern & Kreis in der Sorgestraße gab als erstes auf. Das Haus
verkauft an raffgierige russische Investoren, drastische Mieterhöhung,
sinkende Kursgebühren, der Traditionsbetrieb musste schließen, da half auch
nicht die demütige Kniehaltung. Heute ist in dem Ladenlokal eine Manufaktur
für veganes Bio-Katzenfutter. Der Laden brummt.
Dann begannen die Sabotageakte. Es fing an mit Negativbewertungen auf
großen Onlineportalen wie Yelp. Gretl Baripada zeigt einen feinsäuberlichen
Ausdruck: „Der Kurs ist langweilig, die Lehrerin eine angestaubte
Kräuterhexe, und die Yogamatten riechen nach alten Fürzen.“ Baripada
steigen die Tränen in die Augen. Swantje Talweiler berichtet ähnliches: „In
einem Forum wurde doch allen Ernstesbehauptet, ich würde im Morgengruß
statt der Kobra das Krokodil lehren. Was für ein ausgemachter Schwachsinn!“
Es blieb jedoch nicht beim virtuellen Cybermobbing. Das Yogazentrum
Körperklang am Bersarinplatz firmierte tagelang als Yogazentrum
Körperklaus, bis die Betreiberin durch laut gackernde Schulkinder endlich
darauf aufmerksam wurde. „Das waren Vollprofis“, schimpft Babette Chicorée.
Swantje Talweiler bekam sogar eines Tages Besuch vom Staatschutz, da
Unbekannte ihre Einrichtung über Nacht in die Yogaschule Fröhlicher
Hitlergruß verwandelt hatten.
Seit „die Neuen“ aufgemacht hätten, sei es total unerträglich geworden,
sind sich die unter Druck geratenen Betreiberinnen einig. „Die Neuen“, das
ist vor allem der lichte McYoga-Tempel in der Kochhannstraße. Auf dem Weg
dorthin kommen wir an einem schlichten Kiosk vorbei. Spätkauf Yoga besagt
die flimmernde Leuchtreklame. „Früher hießen wir Spätkauf 2“, erklärt
Murat, der Verkäufer. „Aber Chef meinte, muss voll in diesem Kiez Yoga
heißen, fürs Geschäft.“
Und wenn mal wirklich jemand nach Yoga fragt? „Sag ich, is
Zwillingsschwester von Frau vom Chef: Yüksel und Yoga“, er grinst. „Aber
der Umsatz steigt!“ Er zeigt auf einen probiotischen Vitamindrink auf
Grünteebasis in den Geschmacksrichtungen Cranberry-Dill, Spinat-Pfirsich
und Radieschen-Kakao-Basilikum. „Läuft total gut. Oder kauf Schokolade:
Yogarette.“ Er lacht.
## Yoga mit Hornhaut
Der McYoga-Tempel residiert über Denn‘s Biomarkt. Helle Räume, der
beherrschende Farbton ist Bambuslaminat. Eine Anna-Lena macht uns mit den
Angeboten vertraut: „Business-Yoga-Workout“, „Turbochillen beim Poweryoga…
und „Adventure-Ajurveda mit Inklusiv-Smoothie und After-Party“. Sauna und
„Feetology“ runden das Angebot ab. „Feetology?“ Im Prinzip Fußpflege,
erklärt Anna-Lena, aber für eine jüngere Zielgruppe. Auch Business-Punks
haben Hornhautprobleme.
McYoga funktioniert nach dem Franchise-Prinzip. Kursleiterschulungen finden
im McYoga-Ashram in Wolfenbüttel statt, drei Wochen dauert die Ausbildung.
Illian hat sie absolviert: Der Bulgare, der zuvor als Bauhelfer gearbeitet
hat, hatte zuvor nie mit Yoga zu tun. Heute ist er Feuer und Flamme:
„Endlich mal Mindestlohn! Toller Job – und viele attraktive Chicks in
Leggins!“
Gretl Baripada kann darüber nur lachen. Sie ist Yogalehrerin vom alten
Schlag, hat ihre Ausbildung in Rishikesh gemacht, einem Vorort des
Himalajas, dort lernte sie auch ihren Mann kennen, der im Prenzlauer Berg
die nepalesische Suppenküche Kathmansoup betreibt. Kurz nach dem Mauerfall
eröffnete die gebürtige Ulmerin ihre Yogaschule, als erste am Platz. „Bei
den Ossis bestand ja spiritueller enormer Nachholbedarf.“ Im Geiste Willy
Brandts sieht sie sich als Pionierin der Entspannung zwischen Ost und West.
Ganz anders Markus Brettschneider. Er ist dynamischer CEO der McYoga AG.
Die Besitzverhältnisse sind unklar, eine Tochter von Rocket Internet der
Samwer-Brüder soll Anteile besitzen: Yoga ist Wachstumsbranche.
Brettschneider spricht von Lifestyle-Management und Zielgruppenmonitoring.
Friedrichshain sei ein ideales Umfeld für Wellness-Investment und eine gute
Work-Life-Rendite: „Wir gehen dorthin, wo unsere Klientel ist: völlig
frustrierte und überarbeitete Akademikerinnen.“
## Heilstein aus Jade
Die angestammten Anbieter betrachte man nicht als Konkurrenz. Ob er von dem
Attentat auf Gretl Baripada und den Sabotageakten gehört habe? Kein
Kommentar.
Zurück in der Yogaschule Haridwar. Ein Stein ist durchs Fenster geflogen:
Überall Scherben auf den Matten, einer Durga-Statue sind drei von acht
Armen abgebrochen. Gretl Baripada ist fassungslos. „Das war einer von den
anderen Studios! Schauen Sie doch mal, das ist kein normaler Kiesel! Das
ist ein Heilstein aus Jade!“
Der Yogakrieg in Berlin-Friedrichshain geht weiter. Nichts deutet auf
Entspannung hin.
19 Jun 2015
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Yoga
Gentrifizierung
Berlin
Deutsche Sprache
Yoga
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