| # taz.de -- Terrorismusexpertin über IS-Finanzierung: „Terroristen denken un… | |
| > Louise Shelley untersucht, woher Gotteskrieger ihr Geld bekommen: Sie | |
| > profitieren von der Globalisierung und Hilfe aus dem Westen. | |
| Bild: Mohnfeld in Afghanistan. Die Taliban finanziert sich unter anderem durch … | |
| taz: Frau Shelley, Sie vergleichen den „Islamischen Staat“, al-Qaida und | |
| Co. mit „Spectre“, der Terrororganisation, gegen die James Bond in seinen | |
| Abenteuern kämpft. Wie kommen Sie darauf? | |
| Louise Shelley: Damit will ich zeigen: Die Terroristen von heute agieren | |
| weltweit. Und sie denken wie Geschäftsleute. Ihr Businessmodell ist | |
| diversifiziert. Sie fragen sich: Womit kann ich heute Geld verdienen? Auf | |
| welchem Weg? Heutige Terrororganisationen sind sogar noch komplexer als | |
| Spectre. | |
| Inwiefern? | |
| Weil sich die Wege, über die sie Waffen besorgen oder über die sie Kämpfer | |
| rekrutieren, über Kontinente ausdehnen. Ein Beispiel sind die Anschläge in | |
| Paris: Mindestens zwei Terroristen sind aktuellen Erkenntnissen zufolge in | |
| Frankreich geboren, vor zwei Jahren war aber einer von ihnen für ein paar | |
| Monate in Syrien, der andere hat versucht, in den Jemen auszureisen – | |
| wahrscheinlich, um sich dort ausbilden zu lassen. Getötet haben die | |
| Terroristen aber in Paris. Zu Zeiten von IRA und RAF waren Terroristen noch | |
| Teil eines Staatssystems, sie haben die Strukturen benutzt, unterwandert, | |
| sind mit dem Staat gewachsen und reich geworden. Heute aber gibt es | |
| Terrorgruppen wie den IS, der unabhängig von Staaten agiert. | |
| Wie viel Geld verdient der IS pro Tag? | |
| Das kann man im Moment schwer sagen. Bevor die USA im Sommer Ölraffinerien | |
| bombardiert haben, waren es ein bis zwei Milliarden Dollar pro Jahr. Jetzt | |
| sind es laut US-Regierung noch rund 500 Millionen US-Dollar. Berichten | |
| zufolge wollen die Luftstreitkräfte der Alliierten jetzt verstärkt die acht | |
| größten vom IS okkupierten Ölfelder ins Visier nehmen und damit zwei | |
| Drittel der Raffinerien zerstören. Bislang konzentrierte sich die Koalition | |
| bei ihren Angriffen nur auf kleine mobile Raffinerien. Außerdem gab es in | |
| den kurdischen Gebieten des Iraks Bedenken, dass hohe Beamte als Komplizen | |
| auffliegen könnten. Das hat wohl von Bombardements abgeschreckt. | |
| Was kostet ein Anschlag, etwa der vom 11. September 2001? | |
| Gar nicht so viel, es sind „nur“ ein paar hunderttausend Dollar. Aber so zu | |
| rechnen ist der falsche Ansatz. Ein Attentat muss man ja planen. Das kann | |
| Wochen oder Monate dauern. Einer der Attentäter auf die Redaktion von | |
| Charlie Hebdo Anfang des Jahres wurde 2011 im Jemen ausgebildet, aber erst | |
| drei Jahre später schlug er zu. Wovon lebte der Mann bis dahin? Das ist die | |
| entscheidende Frage. Er arbeitete ja nicht viel. Der jemenitische | |
| Al-Qaida-Ableger Aqap hatte ihm offensichtlich 20.000 Dollar gegeben. Neben | |
| ihren Mitgliedern muss eine Terrororganisation zudem die Hinterbliebenen | |
| von getöteten Kämpfern versorgen. | |
| Wie teuer werden wohl die Attentate von Paris gewesen sein? | |
| Nicht viel – wahrscheinlich wurde es durch illegalen Handel finanziert. Der | |
| erste Terrorist, der identifiziert wurde, ist achtmal durch kleinere | |
| Delikte aufgefallen. So war es auch bei den Tätern, die den Anschlag im | |
| Thalys-Zug und auf die Redaktion von Charlie Hebdo verübt haben. Die Waffen | |
| haben sie sich auf dem Schwarzmarkt besorgt, den Sprengstoff selbst | |
| hergestellt. Am meisten kostet die Ausbildung der Terroristen. Ansonsten | |
| müssen die Attentate vor allem lange geplant werden. | |
| Sie betonen stets, Korruption stehe im Hintergrund aller Taten. Ab wann | |
| wird daraus Terrorismus? | |
| Im Irak zum Beispiel war schon lange eine korrupte Elite an der Macht, die | |
| Scheinfirmen gründete, um Geld für sich zur Seite zu schaffen. | |
| Normalerweise bleibt in korrupten Staaten ein Teil des Geldes bei den | |
| Herrschenden, ein anderer Teil wird geteilt. | |
| Woher haben die Kämpfer ihre Waffen? | |
| Viele der Waffen, die an die Rebellen in Syrien geliefert wurden, sind | |
| heute beim IS. Die Kämpfer kaufen sie zum Beispiel auf dem Schwarzmarkt – | |
| was wiederum nur geht, wenn es korrupte Strukturen gibt. | |
| Schauen wir nach Afghanistan und auf den ersten „Krieg gegen den Terror“, | |
| den auch Deutschland geführt hat. Jedes Jahr zahlt Deutschland jetzt 430 | |
| Millionen Euro Aufbauhilfe an das Land. | |
| Die Taliban haben enorm daran mitverdient. Sie zweigten zum Beispiel Geld | |
| von Bau- und Subunternehmern ab, die Aufträge von der deutschen staatlichen | |
| Entwicklungsorganisation GIZ erhielten. Viele Hilfsgelder haben die Taliban | |
| und die Provinzgouverneure reicher gemacht und staatliche Strukturen | |
| untergraben. Auch bei der afghanischen Zentralbank wurden Millionen | |
| veruntreut. | |
| Heute entwickeln sich an den Universitäten in Kabul und in Kundus neue | |
| Terrorgruppen, die weder zum IS noch zu den Taliban gehören, gleichzeitig | |
| sind wieder Talibankämpfer in die Provinz Kundus eingerückt. | |
| Wir haben uns zu sehr auf den militärischen Ansatz konzentriert, statt das | |
| Problem gesamtgesellschaftlich zu lösen. Im Namen des Antiterrorkampfs | |
| haben wir den Drogenhandel und die Korruption ignoriert. Afghanistan ist | |
| heute eines der korruptesten Länder der Welt, über den Iran und die Türkei | |
| kommt das Heroin bis nach Deutschland. Wir haben nicht verstanden, wie sehr | |
| Terrorismus mit Kriminalität und Korruption zusammenhängt! Dazu braucht es | |
| eine ganz neue Denke. | |
| Welche? | |
| Wir denken immer noch in staatlichen Strukturen. Wir glauben, dass | |
| Organisationen an einen bestimmten Ort gebunden sind, und gehen davon aus: | |
| Wenn wir den bombardieren, werden wir das Problem los. Aber die Netzwerke | |
| von Terrororganisationen dehnen sich über Kontinente aus. Man kann auch | |
| sagen: Sie sind die wahren Profiteure der Globalisierung. Daher muss man | |
| beim Kampf dieser Strukturen agieren wie bei dem Kampf gegen | |
| Wirtschaftskriminalität. | |
| Tun das supranationale Polizeiorganisationen wie Eupol oder Interpol? | |
| Eupol hat zwar ein Büro, das sich mit Kriminalität beschäftigt, und eines | |
| für Terrorismus. Sehr wahrscheinlich arbeiten sie an demselben Problem – | |
| und bemerken das gar nicht. | |
| Was erwarten Sie von der Industrie? | |
| Einblick! Unternehmer, ob sie Zigaretten oder Waffen herstellen, wissen, | |
| wie und wo ihre Ware zirkuliert. Auf dem Schwarzmarkt reisen meist | |
| verschiedene Waren auf derselben Route. Unternehmer verstehen diese | |
| Prozesse. Der Regierung fehlt dieses Verständnis. | |
| Sie reisen und recherchieren auf diesen Handelsrouten. Führen diese auch | |
| durch Deutschland? | |
| Nein. Aber: Probleme durch internationale Kriminalität und transnationalen | |
| Terrorismus betreffen auch Deutschland. Alles hängt auch mit der | |
| Globalisierung zusammen: ob in Deutschland, in den Vororten von Paris, in | |
| Südafrika und Südamerika – die Schwarzmärkte verschmelzen. An der | |
| deutsch-tschechischen Grenze wird mit Menschen gehandelt, Frauen werden zur | |
| Prostitution gezwungen. Denken Sie nur an die Flüchtlingsströme – | |
| Schmuggler verlangen Tausende von Dollar, um Menschen nach Europa zu | |
| schleusen. In Deutschland weiß man wenig über diese Zusammenhänge, es gibt | |
| auf diesem Gebiet offenbar wenig Forschung. Deutschland war mal bekannt für | |
| seine Wissenschaftler. An diese Tradition sollte es anknüpfen. | |
| 30 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Maria Amberger | |
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