# taz.de -- Drogenkonsum in Afghanistan: Helfer mit Erfahrung | |
> Rund drei Millionen Menschen in Afghanistan sind drogenabhängig – und die | |
> Zahl steigt. Nun arbeiten auch ehemalige Süchtige als Helfer. | |
Bild: Der Kampf gegen Sucht kostet Milliarden: Patient in einem Behandlungszent… | |
KABUL ap | Rahim Redschaei war 17 Jahre lang drogenabhängig. Er lebte unter | |
Brücken in Kabul oder in den Ruinen von Häusern, seine Kleidung am Leib | |
stank. In seinem Elend versuchte er mehrere Male, sich das Leben zu nehmen. | |
Einmal indem er absichtlich eine Überdosis nahm. Zwei Tage lang lag er | |
danach bewusstlos an einer Straße. Unentdeckt, wie er schildert. | |
Er sich gut in die Probleme, die Gefühle und den Schmerz anderer Abhängiger | |
hineinversetzen, wenn er auf den Straßen der afghanischen Hauptstadt nach | |
ihnen sucht. Seit sechs Jahren clean, arbeitet Redschaei als Freiwilliger | |
für die Bridge Hope Health Organization, eine Gruppe von früheren | |
Süchtigen, die Drogenabhängigen zu helfen versucht. | |
Es ist eine überwältigende Herausforderung: Afghanistan hat eine der | |
höchsten Drogenkonsumraten auf der Welt. Schätzungsweise drei Millionen | |
Menschen sind abhängig – ungefähr zehn Prozent der 30 Millionen Einwohner. | |
Die Regierung bemüht sich um Betreuung, aber kann einfach nicht mit der | |
wachsenden Zahl von Süchtigen in dem Land, das Hauptquelle von Opium und | |
Heroin auf der Welt ist, Schritt halten. | |
Die Behörden haben Behandlungszentren eingerichtet, die Polizei und | |
Gesundheitsbeamte holen Süchtige oft von der Straße und bringen sie in die | |
Einrichtungen. Umgerechnet Milliarden Euro sind in den vergangenen Jahren | |
in Anti-Drogen-Kampagnen gesteckt worden, unter anderem mit dem Ziel, | |
Anbauer von Mohn dazu zu bringen, auf andere Agrarerzeugnisse umzusteigen. | |
Und dennoch: Die Zahl der Abhängigen steigt weiter. | |
## Eine Million Frauen, 100.000 Kinder | |
Die zehn Freiwilligen von Bridge Hope konzentrieren sich auf die Kabuler | |
Bezirke, in denen sich besonders viele Abhängige aufhalten. Sie leisten pro | |
Tag in 15 bis 30 Fällen Hilfe, etwa in Form von Beratung oder indem sie | |
Süchtige an Einrichtungen verweisen, die HIV-Tests anbieten. Oft stoßen die | |
Helfer auf alte Bekannte. | |
„Meine Gesundheit war wirklich schlecht, als ich abhängig war, ich wollte | |
sterben“, sagt der 54-jährige Redschaei. „Als ich gesund wurde und mich von | |
der Sucht löste, habe ich mich entschlossen, mein Leben diesen Menschen zu | |
widmen, denn (…)ich wusste, es gibt niemanden, der sich um sie kümmert.“ | |
Unter den Süchtigen sind mehr als eine Million Frauen und über 100.000 | |
Kinder, wie Abdul Manan Asadmanisch vom Ministerium für öffentliche | |
Gesundheit sagt. „Es ist ein großes Desaster.“ Nach Schätzungen gibt es in | |
Afghanistan mindestens 40 000 intravenöse Drogenbenutzer, anfällig für HIV | |
und andere Krankheiten. Die Vereinten Nationen schätzen, dass ungefähr | |
7.000 Menschen im Land mit HIV leben und sich diese Epidemie hauptsächlich | |
auf die Gruppe von Süchtigen konzentriert, die Injektionsnadeln benutzen. | |
Nichtregierungsorganisationen sind genauso überfordert wie die Behörden. | |
Die Bridge-Organisation hat nur ein sehr kleines Budget. Die Freiwilligen | |
benutzen öffentliche Busse bei ihrem Einsatz, um die Kosten zu senken, wie | |
Redschaei erzählt. | |
## Drogen von den Taliban | |
Zu den Helfern zählt auch Reza Gul Jan, der früher im Iran lebte und dort | |
süchtig wurde. Er hat vor sechs Jahren aufgehört, Drogen zu nehmen, und | |
sagt, dass es ihm das Herz breche, wenn er jetzt Abhängige sehe. Aber | |
Menschlichkeit treibe ihn dazu, ihnen zu helfen. | |
Die Taliban, die seit 2001 Krieg gegen die afghanische Regierung führen, | |
sind stark in den Mohnanbau involviert. Mit der wachsenden Kontrolle der | |
Militanten über die Mohnfelder im Süden sind die Bemühungen der Regierung | |
um eine Vernichtung fast ganz zum Stillstand gekommen, der Anbau nahm um | |
zehn Prozent zu. Als Ergebnis sei Afghanistans potenzielle Opiumproduktion | |
2016 um 43 Prozent auf 4.800 Tonnen gestiegen, sag Salamat Asimi, | |
Afghanistans Anti-Drogen-Minister. | |
Atikullah, ein 28-Jähriger in Kabul, war früher ein Brunnengräber mit einem | |
anständigen Einkommen. Aber nach elf Jahren Drogensucht ist es mit seiner | |
Gesundheit, seinem Leben immer mehr bergab gegangen. Heute lebt er unter | |
einer Brücke im Westen der Stadt, kann nicht mehr gehen. | |
„Wenn ich irgendwie Geld habe, um Essen zu kaufen, dann bin ich nicht in | |
der Lage, Drogen zu kaufen. Wenn ich Geld für meine Drogen habe, dann bin | |
ich nicht in der Lage, Essen zu haben“, sagt Atikullah weinend. „Ich bin | |
dieses Leben leid, aber sogar Gott beendet mein Leben nicht, so dass ich | |
wenigstens in Frieden ruhen könnte.“ | |
6 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Rahim Faiez | |
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