| # taz.de -- Kinofilm „Ben is Back“: Dilemma der Drogenabhängigkeit | |
| > In „Ben is Back“ geht es um den Teufelskreis von Misstrauen, Schwäche und | |
| > Rückfall. Der Film mit Julia Roberts ist treffend inszeniert. | |
| Bild: In den Details des Verhaltens von Abhängigen und Koabhängigen ist „Be… | |
| „Diesmal ist es anders.“ Der Satz bringt die Suchtproblematik auf den | |
| Punkt. Nicht weil er eine Wahrheit ausdrückt, sondern im Gegenteil: weil | |
| er eine zentrale Illusion beschreibt. [1][Ein Wunsch, den jeder Süchtige | |
| und alle seinen Nächsten und Angehörigen nur allzu gut kennen,] gerade weil | |
| er Mal um Mal enttäuscht wird. Und trotzdem wollen sie immer wieder daran | |
| glauben, dass dieses Mal endlich alles anders ist. | |
| Bens Mutter Holly (Julia Roberts) in Peter Hedges’ Film „Ben Is Back“ | |
| bildet da keine Ausnahme. Zumal Weihnachten ist. Das plötzliche Auftauchen | |
| von Ben (Lucas Hedges, Sohn von Regisseur und Autor Peter Hedges) | |
| erschreckt sie deshalb genauso, wie es sie freut. Geplant war, dass Ben | |
| über die Feiertage in der Suchtklinik bleibt, in der die Familie ihn keine | |
| drei Monate zuvor untergebracht hat. | |
| Wie viele Enttäuschungen und Zerwürfnisse, wie viele missliche Erfahrungen | |
| mit dem Süchtigen und seiner Unzuverlässigkeit der Einlieferung | |
| vorausgegangen sind, kann man an den Reaktionen von Bens jüngeren | |
| Geschwistern ablesen. Die zwei Kleinen werden ganz still und beobachten | |
| nur. Teenager-Schwester Ivy (Kathryn Newton) verdreht die Augen und | |
| protestiert, wenn auch nur hinter Bens Rücken. | |
| Was, wenn es wieder im Chaos endet wie an Weihnachten im Jahr zuvor? Und | |
| dem davor? Trotzdem bringt es Holly nicht übers Herz, den suchtkranken Sohn | |
| wieder wegzuschicken, denn: „Diesmal ist es anders.“ Heimlich aber räumt | |
| sie schnell sowohl den Medizinschrank als auch ihr Schmuckkästchen aus. Ben | |
| soll so wenig wie möglich in Versuchung kommen. | |
| ## Vorhersebare Muster | |
| In „Ben Is Back“ geht es einmal mehr um den bösen, alten Teufelskreis von | |
| Misstrauen, Schwäche und Rückfall. Dabei wird kaum ein Zuschauer echte | |
| Aufklärung oder Ratschläge darüber erwarten, wie man solche Fälle „löst�… | |
| Hinter jedem Prozess des Süchtigwerdens mag eine sehr individuelle | |
| Geschichte stecken, aber der einmal Süchtiggewordene verhält sich nach | |
| recht vorhersehbaren Mustern. | |
| Peter Hedges lässt seinen Film ohne Rückblenden an einem einzigen Tag und | |
| in der darauf folgenden Nacht spielen. Statt die Geschichte einer Familie | |
| und eines Süchtigen zu schildern, ist „Ben Is Back“ als eine Art | |
| Mustererzählung angelegt, die in verdichteter Form die Problematik heute, | |
| speziell vor dem Hintergrund der Opioidkrise in den USA zusammenfasst. | |
| Für die prominente Besetzung ([2][für Roberts ist es die erste richtige | |
| Kino-Hauptrolle seit „Eat Pray Love“], für Hedges der erste große Auftritt | |
| [3][nach seinem Durchbruch als launiger Teenager in „Manchester by the | |
| Sea“]) bedeutet das leider, dass der Raum für individuelle Interpretation | |
| relativ eng ist. Hedges tariert gekonnt die Gratwanderung seiner Figur | |
| zwischen Opfer- und Täterstatus, zwischen Kind und Mann, zwischen | |
| Mitgefühl-Erregen und Unsympathisch-Werden aus. | |
| Julia Roberts stellt mit sensibler Verve die Mutter dar, die stets das | |
| Beste will und eben deshalb viel falsch macht. Aber beiden Rollen haftet | |
| zugleich etwas Exemplarisches an, das das „Typische“ über das Individuelle | |
| stellt und deshalb den Zuschauer fast zu leicht aus diesem Drama auch | |
| wieder aussteigen lässt. | |
| ## Zum Drogennehmen animiert | |
| In den Details des Verhaltens von Abhängigen und Koabhängigen ist „Ben Is | |
| Back“ ungeheuer präzise beobachtet. Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem | |
| Arznei- und Schmuckverstecken: Holly will, dass Ben von ihrem Misstrauen | |
| nichts mitbekommt, damit er sich nicht unterminiert fühlt. Gleichzeitig | |
| scheint sie blind dafür, dass die Heimlichkeit ihres Tuns ein echtes | |
| Vertrauen bereits unmöglich macht. Immer wieder muss die Mutter sich | |
| zwischen Strenge und Nachgiebigkeit entscheiden, zwischen dem Anruf bei der | |
| Polizei und dem wirren Handeln auf eigene Faust, besonders als das | |
| Erwartete eintritt und Ben davonläuft. | |
| Die Struktur der sich an einem Tag abspielenden Handlung führt zu einer | |
| etwas unwahrscheinlichen Anhäufung von Begegnungen mit Bekannten und | |
| Freunden, die zu Bens Sucht in einem jeweils speziellen Verhältnis stehen. | |
| In der Shopping Mall – Ben braucht frische Kleidung fürs Weihnachtsfest – | |
| begegnet er nicht nur einem ehemaligen Dealer-Kollegen, sondern auch noch | |
| dem Arzt, der ihn durch das Verschreiben von Schmerzmitteln gewissermaßen | |
| „angefixt“ hat. | |
| Beim Gottesdienst starren ihn ausdruckslos die Eltern einer toten jungen | |
| Frau an, die er zum Drogennehmen animiert hat; auf der Straße läuft ein | |
| verkommen aussehender Suchtbekannter vor ihm weg. Später am Abend werden | |
| Mutter und Sohn aufgeregt durch die Straßen fahren, während Ben benennt, | |
| was seine wahren Landmarken in der Stadt sind: dort habe ich meinen Stoff | |
| bekommen, dort habe ich selbst gedealt, dort mir den ersten Schuss gesetzt, | |
| dort zusammen mit einer Freundin gefixt … Wie soll man aus solchen | |
| eingefahrenen Mustern ausbrechen? | |
| Diese Reise in die Nacht, bei der „Ben Is Back“ vom Drama immer mehr zum | |
| Thriller wird, funktioniert einerseits als warnender Katalog der | |
| verschiedenen Suchtstadien. Von der toten Freundin über den wimmernden | |
| Suchtbekannten bis hin zum schief grinsenden Drogenboss, der Ben unbedingt | |
| für einen letzten Job einspannen möchte. | |
| So präzis er die Dilemmata der Abhängigkeit und Koabhängigkeit aufzeigt, so | |
| offensichtlich möchte Hedges die Familie als Ort der Unschuld und der | |
| Unterstützung bewahren. Zusammengehalten von Julia Roberts’ völlig | |
| unsentimentalem Auftritt, zeichnet „Ben Is Back“ damit das zentrale | |
| Suchtparadox nach, nicht mehr, aber auch nicht weniger: Obwohl man um die | |
| Wahrheit weiß, hofft man auf Besseres. | |
| 9 Jan 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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