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# taz.de -- Kinofilm „Destroyer“: Für ihr Kind geht sie über Leichen
> Im Thriller „Destroyer“ begeistert Nicole Kidman mit einem brutal
> nüchternen Auftritt. Karyn Kusama ist ein versierter Film Noir gelungen.
Bild: Die wandlungsfähige Nicole Kidman als abgehalfterte Polizistin Erin Bell
Karyn Kusama, die Regisseurin von „Destroyer“, verbindet mit ihrer
Hauptdarstellerin Nicole Kidman die Souveränität im Angesicht großer
Herausforderungen. Kusama wurde als aufstrebende Sundance-Gewinnerin
gefeiert, hätte einen ähnlichen Erfolgsweg wie ihre Kollegin Patty Jenkins
(von „Monster“ mit Charlize Theron zu ihrer Blockbuster-Comicverfilmung
[1][„Wonder Woman“]) beschreiten können, fiel jedoch als unerfahrene
Jungregisseurin mit ihrer ersten Großproduktion auf die Nase.
Kidman kennt das Auf und Ab in der Filmbranche ebenfalls, sie scheute in
ihrer Karriere davon unbeeindruckt nie das Risiko. Als abgehalfterte
Polizistin Erin Bell liefert sie in „Destroyer“ einen brutal nüchternen
Auftritt und verschafft einem kleinen Film eine beachtliche Tragweite.
Zunächst spielt Kusama mit ihrem Thriller „Destroyer“ ein Verwirrspiel und
verschleiert, was Sache ist. Denn das meiste wurde verdrängt. Von Behörden.
Von den Schuldigen sowieso. Von den Mundtoten natürlich auch. Schon in der
ersten Szene liegt da eine Leiche mit mysteriösen Tattoos. Erin Bell taucht
auf, sie hat schon viele Tote gesehen. Zurück im Auto, um über das Gesehene
nachdenken. Der Film hält kurz inne. Dann zieht das Tempo an.
Es fallen Namen von Kriminellen, mysteriöse Briefe mit eingefärbten
Geldscheinen zirkulieren. Wer Schritt halten will, muss genau aufpassen.
Der Film formuliert seinen Wissensvorsprung als Herausforderung ans
Publikum. Dann beginnen die Rückblenden: Erin ist noch nicht lange im
Dienst, als sie sich entscheidet, verdeckt zu ermitteln. Mit ihrem Kollegen
Chris (Sebastian Stan) tritt sie einer Gang bei, die sie zu schnell in
ihren Bann zieht. In der Gruppe von Silas (Toby Kebbell) taugen Drogen nur
als Zeitvertreib. Das Ziel sind bewaffnete Raubüberfälle.
## Flächendeckende Zerstörung
Kollisionen sind vorprogrammiert in diesem Film, der die Zeitebenen jedoch
gern so verschachtelt, dass es immer wieder um grundlegende Einsichten
statt um simple Affekte geht. Nur Kausalität, die wird in „Destroyer“ in
aller Drastik ausgespielt. Die Vergangenheit und die Gegenwart dieser
filmischen Welt befinden sich fest im Griff von Gewalt und extremen
Temperamenten.
„Es hat sich in mein Gehirn eingebrannt“, meint Bell zu ihrer Tochter und
erzählt davon, wie sie ihm Wahnsinn aufwuchs, mit einem Blick, in dem sich
gleichermaßen scharfe Klarheiten, tiefe Gefühle und noch tiefere Abgründe
auftun. In der Tat sind sich abgesehen von der Tochter alle Figuren klar
darüber, worauf sie sich mit ihrem Handeln einlassen.
Kusama erzählt in realistischen Bildern von einer Mündigkeit auf allen
Seiten der Beteiligten, die Entscheidungen und Schicksale umso schwerer
erträglich macht. Wenn Menschen sich opfern, andere schwer verletzen oder
töten, dann wissen sie genau, warum. Bei der großen Schießerei des Films
nimmt Bell für ihren persönlichen Rachefeldzug skrupellos in Kauf, dass
zwei überforderte Kollegen umkommen könnten.
Und so ist die Zerstörung flächendeckend: Körper, Zeitordnungen,
Psychologien, sie alle fallen dem Film zum Opfer. Menschen werden
gebrochen. Doch nie die filmische Erfahrung. Denn der Film behauptet in
keiner Faser, kein Film zu sein. Da ist keine Suche nach einer Erzählung,
die außerhalb des Drehbuchs liegt. Kusama macht Genrekino, offensichtlich
aus Liebe, das zeigen ihre Filme.
## Kidman als Unterstützerin des unabhängigen US-Kinos
„Entschuldige dich niemals!“, hieß es in ihrem Debütfilm „Girlfight“,…
dem Michelle Rodriguez zur Boxerin ausgebildet wird. Der Film markiert für
Rodriguez den Karrierebeginn als toughe Type, die später in Actionfilmen
wie „Machete“, „Resident Evil“ oder „Fast & Furious“ Menschen und M…
aufs Maul haut. Vor zehn Jahren machte Kusama „Jennifers Body“, einen Film
über eine hypersexuelle Monster-Cheerleaderin, die Männer frisst.
Dazwischen liegt mit „Æon Flux“ der große Fehlschlag, doch auch eine gro�…
Comicverfilmung zur Zeit, als der gegenwärtige Hype um Superhelden noch
nicht volle Fahrt aufgenommen hat. Zuletzt tauchte die Filmemacherin mit
„The Invitation“ erneut in Horrorgefilde ab und wurde beim größten
internationalen Genrefestival in Sitges ausgezeichnet.
Mit „Destroyer“ bewegt sich Kusamas Karriere wieder voran. Sie inszeniert
einen versierten Film noir, wenn sie will, einen Thriller und ein
Charakterdrama, in allen Fällen gelungen, mit einer klaren Auflehnung gegen
Rollenklischees und doch dem ständigen Wissen um das Vergnügen am eigenen
Dialog mit filmischen Traditionslinien.
Und so funktioniert Kidman im doppelten Sinne, als Unterstützerin des
unabhängigen US-Kinos der Gegenwart und gleichermaßen als Schauspielerin,
die Traditionslinien mit erschaffen hat. Sie verleiht dem Film Gewicht,
trägt ihre Zusammenarbeit mit Kubrick nicht minder in die Rolle mit hinein
wie die Erinnerung an den Glamour von „Moulin Rouge“. Ihre
Wandlungsfähigkeit aus „The Hours“, wo sie als Virginia Woolf noch weniger
zu erkennen war. Die Härte und Kälte, die sie mit Lars von Trier in
[2][„Dogville“] erprobte. Die Lust an der Grenzüberschreitung aus [3][„T…
Killing of a Sacred Deer“] oder Park Chan-wooks „Stoker“.
## Zerstörungsgefühle, Missgunst und Hass
In Letzterem spielte sie übrigens auch eine Mutter, eine Horror-Mutter,
traktiert ihre Tochter mit Sätzen wie: „Ich kann es nicht erwarten, zu
sehen, wie das Leben dich zerfetzt!“ Kidman verleiht Erin Bell
Zerstörungsgefühle, Missgunst und Hass. Doch Erin ist auch die völlige
Antithese. Sie liebt ihr Kind mehr als ihr Leben, versaut sich ihr Leben
für das Kind. Sie trägt die kleine Tochter als Junkie durch den Schnee,
wenn es sein muss, kurz vor dem Erfrieren und doch klaren Geistes, was den
Schutz der Kleinen angeht. Für ihr Kind geht Erin Bell über Leichen.
Kusamas Film erdet ihre Figuren, etwa wenn der Film wiederholt innehält.
Und sie lässt sie doch in einzelnen Momenten doppelbödig werden. Weil Chris
und Erin in der Gaunerbande natürlich auch ihre Rollen spielen. Weil der
Bandenführer dann doch ein Perücke trägt und sie schlussendlich verbrennt.
Weil Bankräuber immer absurd maskiert sind. Weil der kleine Gauner dann
irgendwann als Pfarrer auftaucht. Hinter den Oberflächen, da drehen sich
die Rädchen.
Und Kidman weigert sich natürlich in allen Interviews, etwas über das
Make-up zu erzählen. Ihr Gang ist das Markanteste an ihr, sie geht, als
würde sie gleich abbrechen. Die Kleider sind lotterig und lassen nicht
erahnen, wie sehr sie abgemagert war für die Rolle. Einmal fällt Erin um,
stocksteif, gefühlt ungebremst.
Im Interview gibt Kidman zu, dass sie sich angezogen fühlt von ihren
Ängsten. Mit der Figur Erin Bell legt sie ein ganzes Set von Ängsten an,
die Veräußerung von Verletzungen, einen Körper, der umso politisierter ist,
weil er nicht gezeigt wird. Ein Körper, der vom körperlichen Niedergang
erzählt und damit auch von Hollywood. Wenn Erin in der Vergangenheit zu
sehen ist, gleicht Kidman ihren früheren Auftritten. Als Verführerin
verleitet sie einen Mann, sein Leben wegzuwerfen.
Nur der Gangführer, der Typ mit der Perücke, sieht Bell in die Augen und
macht ihr klar, dass er sie sieht. Wirklich sieht. So wie sie ist. Mit all
ihren Abgründen. Der Gegner, der alle Abscheu der Heldin auf sich ziehen
wird, ist gleichermaßen ihr größter Kenner und Richter. Die Heldin braucht
ihren Widersacher. Wenn sie ihn, traumwandlerisch wie eine Untote, endlich
zerstört, verliert sie den verbliebenen Sinn ihrer Existenz, ihre
Bestimmung, sie löst sich auf im Licht der Leinwand. Es ist nur ein Film,
zum Glück.
13 Mar 2019
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## AUTOREN
Dennis Vetter
## TAGS
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