| # taz.de -- Nicole Kidman in Bestsellerverfilmung: „Distelfink“ ist viel zu… | |
| > John Crowleys Verfilmung von Donna Tartts Bestseller „Der Distelfink“ ist | |
| > genau durchdacht und ohne Makel. Genau das tut dem Film nicht gut. | |
| Bild: „Der Distelfink“: Oakes Fegley als Theo Decker (l.) und Nicole Kidman… | |
| Was kommt dabei heraus, wenn man einen mit [1][dem Pulitzer-Preis | |
| ausgezeichneten Bestseller] von einem talentierten Regisseur mit | |
| hervorragenden Darstellern und einem der besten Kameramänner Hollywoods | |
| verfilmt? Im Normalfall ein zumindest sehenswerter Film, im Fall von | |
| [2][John Crowleys] Verfilmung von Donna Tartts Bildungsroman „Der | |
| Distelfink“ ein Film, der eigentlich kaum etwas falsch macht, aber doch | |
| nicht richtig ist. | |
| Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht keine gute Idee, einen im | |
| englischen Original knapp 800, in der deutschen Übersetzung weit über 1.000 | |
| Seiten langen Roman, der das Aufwachsen und die Selbstfindung eines jungen | |
| Mannes beschreibt, auf zweieinhalb Kinostunden zu komprimieren. Zumindest | |
| dann nicht, wenn man sich so sklavisch an die Vorlage hält wie es | |
| Drehbuchautor Peter Straughan tut. | |
| Wie die Vorlage springt auch der filmische „Distelfink“ zwischen zwei | |
| Ebenen hin und her: Der Gegenwart, in der der Icherzähler Theo Decker | |
| (Ansel Elgort) in einem Amsterdamer Hotelzimmer sein Schicksal beklagt und | |
| der Vergangenheit, in der der 13-jährige Theo (Oakes Fegley) bei einem | |
| Terroranschlag im New Yorker Metropolitan Museum seine Mutter verliert. | |
| Im Taumel der Explosion bekommt der junge Theo von einem sterbenden Mann | |
| zwei Dinge übergeben, die seinen Lebensweg prägen werden: Einen Ring und | |
| ein kleines Bild des Rembrandt-Schülers Carel Fabritius, das den | |
| titelgebenden Distelfink zeigt. Das Bild versteckt Theo, durch den Ring | |
| gerät er an den Restaurator Hobie (Jeffrey Wright), der antike Möbel | |
| aufpeppt und nicht immer als das verkauft, was sie eigentlich sind. | |
| ## Moralische Fallstricke seiner Existenz | |
| Zwei weitere Personen prägen Theos Leben: Mrs. Barbour ([3][Nicole | |
| Kidman]), die Mutter eines Schulfreundes, bei dem Theo als Halbwaise einige | |
| Zeit unterkommt, und der Ukrainer Boris (als Teenager Finn Wolfhard, als | |
| Erwachsener Aneurin Barnard), der ihn in der Wüste Nevadas mit Alkohol und | |
| Drogen in Berührung bringt und ihn schließlich mit den moralischen | |
| Fallstricken seiner gesamten Existenz konfrontiert. | |
| Nicht nur, dass Theo sich für den Tod seiner Mutter verantwortlich fühlt, | |
| vor allem das gestohlene Gemälde, das er wie einen Talisman mitführt, aber | |
| jahrelang nie aus seiner dicken Verpackung nimmt, lastet auf seinem | |
| Gewissen, macht ihn in seinen Augen zu einem Betrüger, der sich seinen | |
| Platz in der New Yorker Gesellschaft nur erschlichen, aber nicht verdient | |
| hat. Was im Roman seitenlange introspektive Passagen füllt, gerät in der | |
| filmischen Adaption zu kaum mehr als dem Abhaken von Momenten. | |
| Zwischen Manhattan, Nevada und Amsterdam entwickelt sich die Handlung, | |
| neben den genannten treten hervorragende Schauspieler wie Luke Wilson oder | |
| Sarah Paulson auf. Dazu taucht [4][Roger Deakins], mit 13 | |
| Oscar-Nominierungen einer der renommiertesten Kameramänner aller Zeiten, | |
| das Geschehen in warmes, melancholisches Licht. So gediegen wie das | |
| Upper-West-Side-Appartment, in dem Theo Teile seiner Jugend verbringt, | |
| wirkt auch der Film, genau durchdacht und ohne Makel, doch am Ende auch | |
| ohne Leben. | |
| ## Trauer, Entfremdung, Wohlstand und Macht | |
| Man ahnt, was Crowley an dem Stoff reizte: ein klassischer und doch | |
| moderner Bildungsroman, erzählt aus der Ich-Perspektive, mit einem | |
| komplexen, ambivalenten Charakter als Hauptfigur. Immer wieder scheinen die | |
| Themen, die den Roman durchziehen, auch in der Adaption auf: die Trauer | |
| eines Teenagers, der seine Mutter verloren und vom abwesenden Vater | |
| entfremdet ist; der an Wohlstand und Macht der besseren Gesellschaft | |
| riechen kann, danach strebt, ein Teil von ihr zu werden, aber durch die | |
| Umstände gehindert wird, seinen Traum zu verwirklichen. | |
| Der Zufall – oder das Schicksal – ist es, der Theos Existenz prägt, der | |
| seinen Weg bestimmt und auch den Film. Was in der epischen Form eines | |
| Romans funktionieren kann, ist im Film deutlich schwerer: ein | |
| Stationendrama, das weniger von einer starken äußeren Handlung angetrieben | |
| wird als versucht, über starke innere Konflikte zu erzählen. Der Ansatz mag | |
| ambitioniert sein, im Ergebnis ist er zumindest im Fall von „Der | |
| Distelfink“ viel zu gediegen, um als Film zu überzeugen. | |
| 30 Sep 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.deutschlandfunk.de/pulitzer-preis-fuer-literatur-schoenheit-mus… | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/John_Crowley | |
| [3] /Kinofilm-Destroyer/!5578068 | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Deakins | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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