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# taz.de -- Filmfestspiele in Cannes: Manson, Zombies und Delon
> Ein dezidiert politischer Wettbewerb, begleitet von Ärger über die
> Ehrenpalme für Alain Delon. Am Dienstag beginnt in Cannes das
> Filmfestival.
Bild: Umstritten: Alain Delon
Hätte alles so schön sein können. Die 72. Internationalen Filmfestspiele
von Cannes beginnen heute unter anderem mit einem Wettbewerb mit so vielen
Filmen von Frauen wie noch nie. Bei vier von 20 Filmen zeichnete eine
Regisseurin verantwortlich, mithin 20 Prozent, für die eigenen Verhältnisse
rekordverdächtig.
Das ist zwar immer noch ein eher bescheidenes Verhältnis – zum Vergleich:
Bei der Berlinale lag der Frauenanteil im Wettbewerb dieses Jahr bei mehr
als 40 Prozent –, doch Schritt für Schritt scheint man sich in Cannes von
der Bevorzugung bewährter männlicher Kollegen zu lösen. Zudem wurde der
Wettbewerb dieses Jahr vom künstlerischen Leiter Thierry Frémaux als
hochgradig politisch angekündigt. So weit, so verheißungsvoll.
In die berechtigte Vorfreude mischt sich allerdings Ärger über eine
Personalie. Der französische Schauspieler Alain Delon soll eine Ehrenpalme
verliehen bekommen. Wofür es Kritik gibt, insbesondere von der
US-amerikanischen Organisation „Women and Hollywood“.
Delon ist seit einigen Jahren immer wieder auffällig geworden mit
öffentlichen Wortmeldungen, in denen er sich mal sexistisch, mal homophob
äußerte oder seine Sympathien für den Front National bekundete. Mit dessen
ehemaligem Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen war er lange Jahre sogar
freundschaftlich verbunden. Melissa Silverstein, die Gründerin von „Women
and Hollywood“, zeigte sich auf Twitter „zutiefst enttäuscht“, dass das
Festival jemanden auszeichne, der so „abscheuliche Werte“ vertrete – Delon
hat zudem öffentlich zugegeben, dass er Frauen geschlagen habe.
Das Festival hält dennoch an seinem Vorhaben fest und sagte, so das
Branchenblatt Variety, dass es mit Delon einen legendären Schauspieler
ehre, der eng mit der Geschichte des Festivals verbunden sei. Sofern man
Alain Delon allein unter beruflichen Gesichtspunkten betrachtet, die Ehrung
lediglich für den Schauspieler Delon gemeint wissen will, mag die
Entscheidung legitim erscheinen. Delons Leistungen als Darsteller werden
von seinen Einlassungen und Überzeugungen nicht nachträglich verringert. So
weit der Leinwand-Delon.
## Unhaltbare Wortmeldungen
Bei der Verleihung wird jedoch nicht bloß eine Bühnen- oder Kino-Persona
anwesend sein, sondern der „ganze“ Delon. Zu dem, als Person, gehören all
die Dinge, die er so von sich gegeben hat. In den jüngeren Debatten um die
Rezeption von umstrittenen Künstlern, die aus politischen (Emil Nolde) oder
mutmaßlich sexualstrafrechtlichen (Michael Jackson) Gründen auch als
Künstler abgelehnt werden, nimmt Delon insofern eine besonders heikle Rolle
ein: Sein Werk mit den vielen Rollen, in denen er sich als eiskaltes
Sexsymbol verewigte, ist untrennbar mit seinem Körper verbunden. Und aus
diesem Körper kommen eben auch unhaltbare Wortmeldungen.
Wenn Cannes, wie es im Zuge der #MeToo-Proteste im vergangenen Jahr hieß,
stärker auf Gendergerechtigkeit achten will, ist die symbolische Wirkung
der Palme für Delon im gegenwärtigen Klima eher kontraproduktiv und die
Kritik von Silverstein mehr als berechtigt. Dass er ein großer Schauspieler
gewesen ist, kann seine sexistische oder rechtsnationale Haltung nicht auf
wundersame Weise wegzaubern. Auch dieser Delon ist Teil der Öffentlichkeit.
Ob und wie Thierry Frémaux bei seiner Eröffnungspressekonferenz (nach
Redaktionschluss) auf den Fall eingehen wird, wird mit Spannung erwartet.
Zum Glück bleibt Delon nicht der einzige Gast des Festivals. So gibt es in
der überwiegenden Mehrheit Grund zur Vorfreude auf das angekündigte
Programm. Mit einigen Last-Minute-Zugängen. Quentin Tarantinos Film „Once
Upon a Time … in Hollywood“ ist auf den letzten Drücker noch rechtzeitig
fertig geworden, um im Wettbewerb von Cannes anzutreten. Seine Tragikomödie
mit Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Margot Robbie in den Hauptrollen
spielt im Jahr 1969 und soll die Geschichte von zwei abgehalfterten
Westerndarstellern mit dem Mord an Sharon Tate durch die Manson Family
verschalten.
Der französische Regisseur Abdellatif Kechiche durfte ebenfalls in den
Wettbewerb nachrücken. „Mektoub My Love: Intermezzo“ ist die Fortsetzung
seiner Literaturverfilmung „Mektoub My Love: Canto Uno“, mit der er vor
zwei Jahren in Cannes vertreten war. Bei einer Länge von vier Stunden ist
verständlich, dass es zu Verzögerungen in der Produktion kam.
Überhaupt steckt viel Frankreich im Wettbewerb, von den 20 Filmen sind
immerhin sechs französisch, darunter wieder drei von jungen Frauen.
Insgesamt sind diesmal weniger von den altgedienten Bekannten im Rennen als
üblich. Ausgerechnet die betagten weißen Männer geben sich dabei klar
politisch. Um einen österreichischen Kriegsdienstverweigerer im
Nationalsozialismus etwa geht es in „A Hidden Life“ von Terrence Malick.
August Diehl spielt im Film des scheuen US-Amerikaners den Bauern Franz
Jägerstätter. Dieser wurde 1943 hingerichtet, weil er sich aus
Gewissensgründen geweigert hatte, bei der Wehrmacht zu dienen.
## Erzählung über Migration und Zwangsheirat
Der Italiener Marco Bellocchio hingegen hat mit „Il Traditore“ ein Biopic
über den Cosa-Nostra-Boss Tommaso „Don Masino“ Buscetta gedreht. Als
Kronzeuge spielte dieser in den großangelegten „Maxi-Prozessen“ gegen die
Mafia in den achtziger Jahren eine tragende Rolle.
Gegenwärtiger geht es bei den belgischen Dardenne-Brüdern zu. In „Le jeune
Ahmed“ plant ein fanatisierter Schüler den Mord an seinem Lehrer. Und
Altmeister Ken Loach, dessen Wettbewerbsbeitrag und angeblich letzter Film
„I, Daniel Blake“ über ein Opfer des britischen Jobcenter-Wesens 2016 die
Goldene Palme gewonnen hatte, meldet sich noch einmal mit „Sorry We Missed
You“ zurück, um die Digitalisierung der Arbeitswelt in den Blick zu nehmen.
Was nicht heißt, dass die jüngeren Kollegen keine politischen Anliegen
hätten. So wählt die Französin Mati Diop für „Atlantics“ die Stadt Dakar
als Ort der Handlung für eine fantastische Erzählung über Migration und
Zwangsheirat.
Von den Banlieue-Unruhen im Jahr 2005 erzählt ihr Landsmann Ladj Ly in „Les
Misérables“. Die Österreicherin Jessica Hausner schließlich, die einzige
nichtfranzösische Frau im Wettbewerb, nimmt in „Little Joe“ ein
Science-Fiction-Scenario, um durchzuspielen, was passiert, wenn
gentechnisch vermurkstes Essen unkontrollierte Wirkungen zeitigt.
## Blutiger Untoten-Spaß
Und das sind bloß die vordergründig politischen, da in der Wahl des Sujets
thematisch eindeutig zuzuordnenden Beiträge. Auf den Historienfilm
„Portrait of a Lady on Fire“ der Französin Célian Sciamma, unter anderem
bekannt für ihren überragenden Coming-of-Age-Film „Tomboy“, kann man sich
mindestens ebenso freuen.
Oder auf den Auftakt. Der US-Amerikaner Jim Jarmusch eröffnet den
Wettbewerb mit seiner Zombiekomödie „The Dead Don’t Die“. Er ist allemal
ein gern gesehener Gast des Festivals – zuletzt lief hier von ihm
„Paterson“ 2016 im Wettbewerb. Jetzt werden sich im neuen Film Stars von
Adam Driver über Bill Murray bis zu Chloë Sevigny und Tilda Swinton am
blutigen Untoten-Spaß beteiligen. Lasset die Spiele beginnen!
13 May 2019
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
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Rezension
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