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# taz.de -- Bildgewaltiger iranischer Spielfilm: Tote Fische schwimmen im Teich
> Allein im Kampf gegen die Korruption: „A Man of Integrity“ von Mohammad
> Rasoulof analysiert die Strukturen der iranischen Gesellschaft.
Bild: Reza (Reza Akhlaghirad) und Hadis (Soudabeh Beizaee) wollen nur ein unbes…
Morgen für Morgen streut Reza Fischfutter über die Goldfischteiche vor
seinem Haus. Seit er mit seiner Familie aus Teheran in den Norden des Iran
gezogen ist, lebt die Familie von dem Geld, das Reza mit Fischzucht
verdient, und dem Gehalt seiner Frau Hadis als Direktorin der örtlichen
Mädchenschule. Das Geld ist knapp, die Hypothek auf das Grundstück drückt,
und die Kommunikation mit dem Bankangestellten läuft nicht recht, weil Reza
sich weigert, die üblichen Bestechungsgelder zu verteilen. Jeder Kontakt
mit den Institutionen wird zu einem kafkaesken Erlebnis.
Ein einzelner Fisch, der eines Morgens tot im Wasser treibt, ist der
Vorbote der Eskalation in Mohammad Rasoulofs „A Man of Integrity“. Eine
nicht näher spezifizierte Firma hat Interesse an Rezas Grundstück, dreht
ihm das Wasser ab, das er für seine Fische braucht, und beginnt die Fische
zu vergiften. „Du bist einer von denen, die sich nur selbst Probleme
machen“, bescheinigt der Bankangestellte Reza. Dieser lehnt sich dennoch
gegen die Firma auf, die bestens vernetzt ist im örtlichen Gefüge der
Institutionen.
Als es zum Streit kommt mit Abbas, dem lokalen Repräsentanten der Firma,
landen Reza und Abbas im Arrest der Polizeistation. Abbas wird
freigelassen, Reza wandert aus dem Arrest ins nächstgelegene Gefängnis. Als
Hadis ihren Mann schließlich aus dem Gefängnis herausbekommen hat, hängt
ein Schwarm Krähen über den Goldfischteichen. Trommelnd und schreiend
schlagen die beiden die Vögel in die Flucht, nur um festzustellen, dass
alle Fische tot im Wasser treiben. „A Man of Integrity“ zeigt Rezas
ohnmächtige und doch beharrliche Weigerung, sich dem gewöhnlichen Gang der
Dinge zu beugen.
Der Film wird strukturiert durch die Aufnahmen des Hauses, in dem Reza,
Hadis und ihr Sohn am Rand der Kleinstadt leben. Das Haus spiegelt sich im
Wasser. Was zunächst als idyllisches Bild beginnt, als Rückzugsraum, wird
zum Ort der Selbstbehauptung. Die räumliche Trennung markiert die Sphären:
während die Firma die Stadt kontrolliert, hat Reza nur sein Haus und sein
Grundstück und einige Ausflüge in eine Höhle, in der er badend Ruhe findet.
Ein Kampf gegen die Windmühlen der Korruption
Als ein Polizist an den Teich voller toter Fische herausgefahren kommt, um
eine Beschwerde Rezas aufzunehmen, erklärt er diesem auf der Fahrt in die
Stadt ganz offen, dass die Beschwerde zu nichts führen wird. Beschwerden,
die von außen an das eingespielte System der Korruption herangetragen
werden, perlen einfach ab. Kurz darauf flattert Reza ein Gerichtsbeschluss
ins Haus: Abbas hat den Gerichtsmediziner dazu gebracht, zu bestätigen,
dass er sich bei dem Streit den Arm gebrochen habe.
Anhand von Rezas Kampf gegen die Windmühlen der Korruption zeigt „A Man of
Integrity“ die ungeschriebenen Regeln der iranischen Gesellschaft. In
wiederkehrenden Verhaltensmustern arbeitet Regisseur Rasoulof Strukturen
heraus: Der Autohändler, der den Preis für Rezas Auto reduziert, als er
hört, dass dieser Bargeld braucht, ähnelt dem Manager, der ihm anbietet,
das Grundstück privat für den halben Preis zu kaufen, als Reza sich nach
vielem Ringen entschlossen hat zu verkaufen und die Firma sich weigert, es
ihm abzukaufen.
Zugleich hält Rasoulof die Folgen der Repression sichtbar: Die
nichtmuslimische Familie hat unter den Bedingungen der islamischen Republik
keine Chance. Den Kindern wird eine Ausbildung verweigert, eine der Töchter
begeht schließlich Selbstmord und darf anschließend nicht mal auf dem
Friedhof beigesetzt werden. Einem Freund Rezas aus dessen Zeiten an der
Universität drohen nach regimekritischen Äußerungen sechs Jahre Gefängnis
und anschließendes Lehrverbot.
Reza folgt in seiner Verweigerung, sich den korrumpierten Regeln zu beugen,
seinem eigenen moralischen Kompass. Rezas Frau Hadis muss inmitten der
Konflikte der Familie mit der Firma und den Institutionen als Direktorin
zugleich die Repression des iranischen Staates vertreten. Die Tochter einer
nicht-muslimischen Familie wird der Schule verwiesen. Wie seine Frau als
Direktorin zugleich Repression weitergibt, so kann sich auch Reza dem Druck
nie ganz entziehen: Als sein Sohn mit dem Sohn des Polizeichefs
aneinandergerät, rät er ihm nachzugeben und sich zu entschuldigen.
Die iranische Filmkultur ist lebendig
Regisseur Rasoulof begann 2002 als Dokumentarfilmer. Mit seinem Debüt „The
Twilight“ gewann er beim Fajr International Film Festival in Teheran,
dessen aktuelle Ausgabe vor wenigen Tagen zu Ende ging, den Hauptpreis.
Nach den Protesten, die 2009 auf die Präsidentschaftswahlen im Iran
folgten, wurde er gemeinsam mit Jafar Panahi verhaftet. Die ursprüngliche
Haftstrafe von sechs Jahren wurde kurz darauf auf ein Jahr verkürzt und
bislang nicht vollstreckt. Seit 2011 werden Rasoulofs Filme regelmäßig nach
Cannes eingeladen. Als er 2013 von der Präsentation von „Manuscripts Do not
Burn“ zurückkehrte, wurde sein Pass in Teheran am Flughafen beschlagnahmt.
„A Man of Integrity“ gewann 2017 den Preis der Sektion Un certain regard.
Ashkan Ashkani, Bildgestalter des Films, wirkte an einer ganzen Reihe
iranischer Filme der jüngeren Zeit mit, nicht zuletzt 2016 an Reza
Dormishians eindrucksvollem Justiz-Rache-Drama „Lantouri“.
Rasoulof hält Rezas Ringen mit der Firma und den Institutionen in der
Schwebe zwischen individuellem Kampf und einer Analyse der Strukturen der
iranischen Gesellschaft. Die getrennten Sphären von Rezas Haus am
Stadtrand, dessen Rückzüge in eine Höhle zum Baden und der Stadt als Ort
des Systems, verstärken dabei das strukturelle Element ebenso wie die
strenge Kadrierung der Bilder. Innerhalb der statischen Grundanlage hält
Ashkani die Bilder in Spannung, indem er zwischen Bildern wechselt, die die
Ränder betonen, und solchen, die den Schwerpunkt in die Bildmitte legen.
Die Genderstruktur tritt eher nebenbei ins Bild: Nach einem Streit mit
Hadis packt Reza seine Tasche und fährt in die Stadt. Hadis ruft ihm
hinterher, er könne nicht immer Konflikte beginnen und dann fliehen. Die
Verhaftung von Rezas Freund aus Universitätszeiten hinterlässt dessen Frau
und Kind ohne ausreichendes Einkommen in einer religiös-patriarchalen
Gesellschaft.
„A Man of Integrity“ ist ein weiteres eindrucksvolles Beispiel der
lebendigen Filmkultur des Irans. Trotz aller Zensur erhält sich im Iran
eine äußerst kreative Filmkultur und es entstehen nahezu ununterbrochen
Filme, die die unterschiedlichen Modi ausloten, Bilder für die
gesellschaftlichen Verhältnisse zu finden. Rasloufs Film entscheidet sich
dabei für einen nüchternen, stilisierten Zugang, der sich von den
kunterbunt-exzentrischen Bildwelten Mani Haghighis ebenso absetzt wie von
den stärker von dokumentarischen Elementen durchdrungenen Filmen von Jafar
Panahi oder Reza Dormishian.
Rasoulofs „A Man of Integrity“ ist ein sehenswerter, bildgewaltiger Film
über das individuelle Überleben im Korruptionssumpf. Das einzige Bedauern,
das sich während des Films einstellt, ist, dass es so wenige iranische Film
auf die hiesigen Leinwände schaffen. „A Man of Integrity“ ist ein gutes
Argument, dem schnellstmöglich abzuhelfen.
2 May 2019
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Schwerpunkt Iran
Spielfilm
Schwerpunkt Korruption
Mohammad Rasoulof
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Schwerpunkt Berlinale
Iranisches Kino
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