| # taz.de -- „Der verlorene Sohn“ von Joel Edgerson: Ein Umerziehungslager f… | |
| > Bösewicht Therapie: Ein australischer Film beleuchtet die kruden | |
| > Praktiken, mit denen noch immer versucht wird, Homosexuelle umzuerziehen. | |
| Bild: Verbotene Neigungen: Mit einer angeblichen Therapie soll Jareds (r.) Sexu… | |
| Klickt man vom englische Eintrag zu „conversion therapy“ auf Wikipedia zum | |
| deutschen, landet man bei „Reparativtherapie“, was erst mal verblüfft und | |
| dann Ärger aufsteigen lässt. Schließlich handelt es sich bei dem, [1][was | |
| hier in pseudowissenschaftlichen Therapien „repariert“ werden soll], um das | |
| naturgegebene Gut der sexuellen Identität. Nicht dass der Wikipedia-Eintrag | |
| solche Quacksalber-Praktiken beschönigen würde, aber man meint | |
| augenblicklich die eigenartige Macht zu spüren, die von Sprachregelungen | |
| dieser Art ausgeht. | |
| Wie auch die Ausdrücke „Konversions“- und „Reorientierungstherapie“ d�… | |
| sie gleichsam den gellenden Schall der wahren Verhältnisse dahinter. Sie | |
| verschleiern die Gewalt, die damit einzelnen Menschen angetan wird, eine | |
| Gewalt, die nicht physisch werden muss, um brutal zu sein. Der passendere | |
| Ausdruck wäre wahrscheinlich das „Umerziehungslager“ nicht trotz, sondern | |
| gerade wegen des historischen Ballasts. | |
| Die „Konversionstherapie“ ist der zentrale Bösewicht in Joel Edgertons Film | |
| „Der verlorene Sohn“. Obwohl Michael Balzary alias Flea von den Red Hot | |
| Chili Peppers als „Aufseher“ mit Knastvergangenheit Angst und Schrecken | |
| verbreitet und Joel Edgerton selbst einen schmierigen Obertherapeuten und | |
| Scharlatan gibt, ist es tatsächlich die Institution als solche, auf die | |
| sich die Wut konzentriert, die den roten Faden des Films bildet. Genau das | |
| macht den Film, die erst zweite Regiearbeit des australischen Schauspielers | |
| Joel Edgerton, faszinierend; genau das aber sorgt für mancherlei Frust über | |
| den Fortgang der Erzählung. | |
| „Der verlorene Sohn“ basiert auf den Memoiren von Garrard Conley, dessen | |
| Buch „Boy Erased: A Memoir“ von 2016 Edgerton hier selbst adaptiert hat. | |
| Aus Conley wird im Film der von Lucas Hedges gespielte Jared, der als | |
| 19-Jähriger von einem Mitschüler am College „geoutet“ und anschließend v… | |
| seinen Eltern in die „Therapie“ geschickt wird. Anders als das in der | |
| Verkürzung klingt, erscheinen die von Nicole Kidman und Russell Crowe | |
| verkörperten Eltern dabei in erster Linie liebend und fürsorglich. Wie | |
| heißt es oft so schön, wenn etwas gegen den Willen eines Kindes oder | |
| Schutzbefohlenen gerechtfertigt werden soll? Ach ja: Sie wollen ihm nur | |
| helfen. Sie wollen „sein Bestes“. | |
| ## Die Schwierigkeiten einer Memoirenverfilmung | |
| Als Puzzle von Erinnerungen und Gefühlen legt Edgerton den Film an. Es | |
| beginnt mit glücklichen Home-Movies eines kleinen strahlenden Jungen. Dann | |
| kommt der verschlossene 19-Jährige ins Bild, der zu einem Frühstück gerufen | |
| wird. Seine Mutter fährt mit ihm in die nächste Großstadt, wo in einer Art | |
| Tagungszentrum die angebliche Therapie beginnt. Erst mal nur „ambulant“; | |
| abends geht es zurück zu Mama ins Hotel. Aber je nach Prognose soll später | |
| noch ein „Intensivaufenthalt“ mit größerer Wirksamkeitsgarantie oder | |
| dergleichen folgen. | |
| Von der ersten Autofahrt an unterbricht Edgerton die chronologische | |
| Erzählung über die Entwicklung in der Therapie mit Flashbacks, die Jareds | |
| einschneidende Erlebnisse mit seiner Identität und Sexualität | |
| rekapitulieren. Als Erstes gibt es da die Szene, in der sein Vater, ein | |
| strenggläubiger Kleinunternehmer mit Prediger-Ambitionen, von der Kanzel | |
| aus die Gottesdienstbesucher seiner Gemeinde dazu auffordert, die Hand zu | |
| heben, wenn sie sich „nicht vollkommen“ fühlen. | |
| Der Vater, dem ein beleibter Russell Crowe die gelungene Mischung aus | |
| Familienvater-Bedeutsamkeit und tiefsitzendem Unbehagen verleiht, will | |
| natürlich darauf hinaus, dass kein Mensch wirklich vollkommen ist, aber | |
| andere lobenswerte Eigenschaften besitzt. Unter anderem preist er seinen | |
| Sohn als „zutiefst ehrlich“ – und wir als Zuschauer können sehen, wie | |
| Jared, der sich eben noch unter dem Etikett des „nicht vollkommenen“ ganz | |
| wohl fühlte, innerlich zu winden beginnt. Und der getauschte Blick mit der | |
| jungen Frau auf der anderen Seite der Kirchenbänke spricht da Bände. | |
| Die Tücke bei der Verfilmung von Memoiren besteht darin, das Ich, das | |
| erzählt, als Stimme ins visuelle Medium Film zu übertragen. Oft behilft man | |
| sich damit, den „Autor“ aus dem Off etwas einfügen zu lassen. Doch nach den | |
| einführenden Worten „Ich wünschte das alles wäre nie geschehen; aber | |
| manchmal danke ich Gott dafür, dass es passiert ist“, hört man Hedges’ | |
| Stimme und die inneren Reflexionen seiner Figur Jared nie wieder aus dem | |
| Off. | |
| ## Ein Film als Anklage | |
| Als Film wird die „Erzählung“ um diesen „verlorenen Sohn“ dadurch ein … | |
| unpersönlicher, auf den ersten Blick auch ungenauer. Fast ist es so, als | |
| verliere man den „Jungen“, dessen „Auslöschung“ der Originaltitel „B… | |
| Erased“ anklagt, aus den Augen. Was statt dessen deutlich hervortritt, ist, | |
| wie gesagt, die Institution als solche mit ihren Sprach- und | |
| Verhaltensregelungen, die manchmal stärkere Fesseln anlegen als es reale | |
| Gitter oder Ketten könnten. | |
| Edgerton arbeitet nämlich nicht auf das Erwartete hin, den emotionalen | |
| Tiefschlag und Zusammenbruch, den die Pseudotherapie bei Jared auslösen | |
| wird. Vielmehr macht er seine Hauptfigur zu einem Vehikel der Beobachtung. | |
| Ins Geschehen involviert ist Jared nur in den Flashbacks, die ihn bei den | |
| unbeholfenen Aussprachen mit der Freundin und der alles andere als | |
| erfreulichen ersten sexuellen Erfahrung mit einem Mann zeigen. | |
| In den Tagungsräumen des Programms, das so unverschämt ist, sich den Titel | |
| „Love in Action“ zu geben, ist Jared jedoch in erster Linie ein passiver | |
| Zuschauer. Jedoch mit höchst wachsamer Sensibilität, die Lucas Hedges in | |
| feinsten Nuancen auf seinem doch so großflächig blanken Jungengesicht zum | |
| Ausdruck bringen kann. | |
| Die Methode von „Love in Action“ outet der Film eher sachlich denn | |
| verteufelnd als einen kruden Mix aus den Ratschlägen der „Anonymen | |
| Alkoholiker“, dem Alltagsregiment des Militärs und dem Gottes-Gefasel | |
| selbst ernannter Evangelikaler. Körperkontakt untereinander ist ihnen | |
| genauso verboten wie das Beinekreuzen beim Sitzen. Sie müssen sich vor der | |
| Gruppe zu ihren Taten und Neigungen bekennen und Reue zeigen. Gemeinsam | |
| wird das „Credo“ wiederholt: „Ich benutze Sexualität, um ein Loch in mei… | |
| Leben zu stopfen, das in Wahrheit nur Gott füllen kann.“ | |
| ## Hauptsache, wir nennen es Therapie! | |
| Für die Dauer des Aufenthalts gibt es keine Intimsphäre mehr – sie sollen | |
| sich durchleuchten lassen, ihre „Sünden“ durch „moralische Inventur“ t… | |
| und sämtliche Familienangehörigen mit psychischen Gebrechen auflisten. An | |
| keiner Stelle wirkt das Konzept irgendwie einleuchtend oder auch nur | |
| logisch. Was der Film aber sehr wohl herausstellt, ist die strukturelle | |
| Gehirnwäsche, die solchen Gruppensitzungen mit redundanten Mantra-Sprüchen | |
| eigen ist. Die Inhalte scheinen absolut austauschbar: Alkoholismus, | |
| Magersucht oder sexuelle Identität – Hauptsache, wir nennen es Therapie! | |
| Die wahre Wirkungsmacht dieses Treibens, dessen Gewalt Edgerton in kluger | |
| Zurückhaltung mehr als rein psychische denn als körperliche outet, | |
| demonstriert der Film über die verschiedenen „Mitpatienten“, die Jared | |
| kennen lernt. Sie repräsentieren ein Spektrum der möglichen Reaktionen, von | |
| absoluter Kaltschnäuzigkeit – „mach einfach mit, bis du wieder draußen | |
| bist“ – über die verstörende Verinnerlichung der Selbstverachtung bis hin | |
| zum Aufschrei der Selbsttötung. | |
| Gegen Ende kehrt der Film in einer überraschenden Volte die volle | |
| Aufmerksamkeit den Eltern von Jared zu. An die Stelle der großen | |
| Versöhnungsumarmung setzt Edgerton zwei Ansprachen, die beide wohltuend | |
| konsequent darauf bestehen, dass sich hier Mutter und Vater | |
| „re-orientieren“ müssen, und nicht etwa der Sohn. | |
| 21 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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