# taz.de -- Politik gegen Konversionstherapien: Keine Heilung, nur Verzweiflung | |
> Konversionstherapien, die Lesben und Schwule umpolen sollen, können | |
> Betroffene in den Suizid treiben. Sie sollen deswegen verboten werden. | |
Bild: Hofft auf ein baldiges Ende der Konversionstherapien: Bastian Melcher | |
Seine Hände zittern, als er das grüne Tagebuch aus der glitzernden | |
Perlenhandtasche holt. Bastian Melcher liest seine Tagebucheinträge langsam | |
vor: „Ich wollte mit keinem mehr sprechen“, schreibt er am 4. Dezember | |
2005. „Entweder die Qualen hätten mich zerstört oder ich mich selbst.“ Er | |
macht eine kurze Pause, kämpft mit den Tränen. „Allein bin ich einfach | |
nicht stark genug.“ | |
Bastian Melcher ist schwul und hat eine Konversionstherapie überlebt. Als | |
Heranwachsender versuchte er acht Jahre lang verzweifelt, heterosexuell zu | |
werden. Am vergangenen Montag sitzt er vor 300 Leuten im Imax-Kino in | |
Berlin. Gemeinsam haben sie [1][den Film „Der verlorene Sohn“ geschaut], | |
ein Drama über Konversionstherapien in den USA. Nun liest er aus seinen | |
Aufzeichnungen aus seiner Jugendzeit in Bremen vor. | |
Am 21. September 2009 schreibt er in sein Tagebuch, dass er mit einer | |
Freundin einen Pastor besucht hat, der ihn mit Gebeten heilen soll: „Jesus, | |
ich will dich lieben. Ich hasse die Sünde und alles, was mich von dir | |
trennt“, schreibt Melcher. „Ich hasse homosexuelle Gedanken, ich hasse es, | |
einen Mann auf eine Art und Weise zu berühren, die dir nicht gefällt. Ich | |
will frei sein.“ Melcher betet viel in der Zeit, sagt er. Er solle | |
regelmäßig in den Gottesdienst gehen und die Bibel lesen, raten ihm | |
christliche Heiler. Schließlich habe er Ölsalbungen und | |
Dämonenaustreibungen über sich ergehen lassen. | |
Wie viele Menschen in Deutschland von Konversionstherapien betroffen sind, | |
ist unklar. Bislang gibt es keine Erhebungen. „Viele Leute trauen sich | |
nicht, darüber zu reden, weil die Scham groß ist“, sagt Lucas Hawrylak, der | |
eine Petition zum Verbot von Homoheilern initiiert hat. Bastian Melcher ist | |
die erste Person in Deutschland, die in der Öffentlichkeit darüber spricht, | |
wie ihn Konversionstherapie krank gemacht hat. | |
Mit 14 Jahren, erzählt Melcher, habe er gemerkt, dass er schwul ist. Der | |
Pastor habe ihm einen Kurs empfohlen, der ihn heterosexuell machen soll. | |
Nach langem Zögern habe er das Seminar dann besucht. „Ich wollte diesen | |
Kurs machen, weil ich keine andere Wahl hatte“, sagt er heute. Als | |
Jugendlicher bestimmen die Gottesdienste in der Freikirche und die Familie | |
sein gesamtes Leben. „Es war klar, wenn ich nicht auf dem Weg der | |
Veränderung bin, hätte ich nicht mehr mit meiner Familie zusammen sein | |
können und nicht mehr in die Kirche gehen können.“ | |
Er habe mehrere Therapien gemacht, doch alle hätten nichts gebracht. Er sei | |
nicht heterosexuell geworden, sondern immer verzweifelter. Am Ende habe er | |
oft daran gedacht, von einer Brücke zu springen. Als er 22 Jahre alt war, | |
habe ihn eine Freundin mit auf den Christopher Street Day in Hannover | |
genommen. Dort habe er gesehen, dass es in Ordnung ist, schwul zu sein. | |
## Therapie durch die Hintertür | |
Dass Konversionstherapien schwere psychische Folgen für die Betroffenen | |
haben können, ist in der Medizin bekannt: „Den Leuten wird gesagt: Erst | |
wenn du dich änderst, akzeptieren wir dich“, sagt Lieselotte Mahler, | |
Oberärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin; sie | |
forscht zu sexueller Orientierung und Identität. „Das erzeugt einen enormen | |
Druck. Denn wer versagt, verliert alles.“ Betroffen seien vor allem Kinder | |
und Jugendliche, die ihre sexuelle Orientierung entdecken und merken, dass | |
sie anders sind. Betroffene leiden unter Minderheitenstress, der Angst, | |
diskriminiert zu werden. Das führe zu Depressionen oder Abhängigkeiten und | |
bringe Menschen dazu, heterosexuell werden zu wollen. | |
Homosexualität gilt seit 1992 nicht mehr als Krankheit. Damals strich die | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Eintrag aus dem Diagnoseschlüssel | |
ICD-10. Gleichzeitig wird eine neue Diagnose eingeführt, die sogenannte | |
ichdystone Sexualorientierung: „Die Geschlechtsidentität oder sexuelle | |
Ausrichtung ist eindeutig, aber die betroffene Person hat den Wunsch, dass | |
diese wegen begleitender psychischer oder Verhaltensstörungen anders wäre, | |
und unterzieht sich möglicherweise einer Behandlung, um diese zu ändern.“ | |
Zwar wird explizit vermerkt, dass die Richtung der sexuellen Orientierung | |
selbst nicht als Störung anzusehen ist. Doch offenbar nutzen evangelikale | |
Ärzte diese Diagnose bis heute, um Konversionstherapien durchzuführen. | |
„Das ist eine Hintertür, durch die man legal Konversionsverfahren anbieten | |
kann“, sagt Lieselotte Mahler. Deswegen habe sie sich in den vergangenen | |
Jahren dafür eingesetzt, dass die ichdystone Sexualorientierung als | |
Diagnose wieder gestrichen wird. Im neuen Diagnoseschlüssel ICD-11 der WHO, | |
der ab 2022 gilt, ist sie nicht mehr zu finden. | |
Im Deutschen Bundestag wird zum ersten Mal im Jahr 2008 über | |
Konversionstherapien diskutiert. Das Bundesfamilienministerium hatte das | |
evangelikale Festival „Christival“, auf dem ein Homoheilerseminar | |
stattfinden sollte, mit einer Viertelmillion Euro gefördert. Ministerin | |
Ursula von der Leyen war die Schirmherrin des Festivals. Der | |
Umpolungsworkshop wurde schließlich abgesagt. Darüber hinaus blieb der | |
Skandal folgenlos. | |
## Studie der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld | |
2013 bringt Volker Beck, damals menschenrechtspolitischer Sprecher der | |
Grünen im Bundestag, einen Gesetzentwurf ein, der Konversionstherapien | |
verbieten soll. Er fordert mindestens 500 Euro Strafe. Doch das Anliegen | |
wird kaum beachtet. „Damals wurde das Problem nicht ernst genommen“, sagt | |
Beck heute. „Die Leute dachten, das ist so abseitig, da wird schon nichts | |
passieren.“ | |
Erst im vergangenen Jahr bewegt sich etwas. Das Europaparlament verurteilt | |
Konversionstherapien in einem Zusatzantrag mit großer Mehrheit. Lucas | |
Hawrylak startet eine Petition zum Verbot von Homoheilung, die über 60.000 | |
Menschen unterschreiben. Er fordert Gesundheitsminister Jens Spahn auf, zu | |
handeln. Doch dieser zögert. Unterdessen vereinbart in Hessen die | |
schwarz-grüne Landesregierung im Koalitionsvertrag, sich mit einer | |
Bundesratsinitiative für ein Verbot von Konversionstherapie einzusetzen. In | |
Bremen beschließt die rot-grün regierte Bürgerschaft im August einstimmig, | |
eine solche Initiative zu starten. | |
Dann die Wende: Spahn kündigt in der vergangenen Woche [2][im | |
taz-Interview] ein gesetzliches Verbot von Konversionstherapie an: „Ich | |
halte nichts von diesen Therapien, schon wegen meines eigenen Schwulseins“, | |
sagt er. Nun wolle er sich mit Justizministerin Katarina Barley abstimmen. | |
Barley ist entschlossen, das Verbot zu beschließen zu lassen: „Wir werden | |
ein solches Gesetz auf den Weg bringen“, erklärte sie am Montag in einer | |
Videobotschaft. „Diese Form von Therapien müssen schnellstmöglich verboten | |
werden.“ | |
Unklar ist noch, wie genau ein solches Gesetz aussehen soll. Spahn hat noch | |
keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Er will auf die Ergebnisse einer Studie der | |
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld warten. Diese soll analysieren, welche | |
Erfahrungen andere Länder mit dem Verbot von Homoheilung gemacht haben. | |
Solche Gesetze gibt es bislang in Malta, Ecuador und in 14 von 50 | |
Bundesstaaten der USA. | |
## Grüne legen eigenen Gesetzentwurf vor | |
In Deutschland äußert der evangelikale Bibelbund bereits Kritik an Spahns | |
Vorstoß: „Mit diesem Gesetzentwurf versucht die Bundesregierung, einen | |
sexualethischen Konsens aller christlichen Kirche zu kriminalisieren, der | |
über Jahrhunderte Gültigkeit hatte und erst in jüngster Zeit infrage | |
gestellt wird“, sagt Michael Kotsch, Vorsitzender des Bibelbundes. Er warnt | |
vor einer „Unterdrückung christlicher Sexualberatung“. | |
Kritik kommt auch von den Grünen im Bundestag. Für Ulle Schauws, | |
queerpolitische Sprecherin, geht der Vorschlag des Gesundheitsministers | |
nicht weit genug. „Spahn will das Verbot von Konversionstherapien im | |
Berufsrecht und Sozialrecht verankern. Bei dieser Regelung würden alle | |
Anbieter herausfallen, die solche Verfahren nicht berufsmäßig oder | |
außerhalb von Kassenleistungen anbieten.“ Da Konversionstherapien oft in | |
religiösen Kreisen stattfinden, sei es darum wichtig, diese Verfahren | |
weitestmöglich zu erfassen und für alle zu verbieten. | |
Deswegen haben die Grünen am Mittwoch einen eigenen Gesetzentwurf in den | |
Bundestag eingebracht. „Wir legen jetzt sehr konkrete Vorschläge vor“, sagt | |
Schauws. Sie will ein Verbot von Therapien an Minderjährigen. Der | |
Gesetzentwurf ist im Vergleich zu dem Vorschlag von 2013 strenger gefasst. | |
Das Papier, das der taz vorliegt, sieht nun eine Strafe von bis zu 2.500 | |
Euro für Homoheiler vor. Außerdem, fordert Schauws, soll die Bundeszentrale | |
für gesundheitliche Aufklärung mit einer Kampagne darüber informieren, wie | |
gefährlich diese Verfahren sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss solle zudem | |
den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung überprüfen, damit | |
solche Therapien nicht unter anderen Leistungen abgerechnet werden können. | |
## Laut genug sein | |
„Wir brauchen ein Verbot, weil das eine abschreckende Wirkung haben würde“, | |
sagt Lucas Hawrylak. „Die Bundesregierung würde damit ein starkes Signal | |
senden: Ihr, die Homosexuellen, steht unter besonderem Schutz.“ Ob in einer | |
unionsgeführten Regierung das Gesetz tatsächlich so kommt, wie Spahn es | |
angekündigt hat, ist noch unklar. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es | |
in der Unionsfraktion im Bundestag einen Anhänger von Konversionstherapien | |
gibt“, sagte der Gesundheitsminister vergangene Woche der taz. | |
Petitionsstarter Hawrylak ist sich sicher: „Wenn wir laut sind und unseren | |
Stimmen Gehör verschaffen, dann können wir auch die Bundeskanzlerin | |
überzeugen.“ | |
Bastian Melcher will, dass die Kirchen kontrolliert werden. Denn dort | |
würden Laien oft als Seelsorger auftreten. „Gerade in Freikirchen fühlen | |
sich Leute berufen, Hobbypsychologen zu sein“, sagt er. Er will, dass der | |
Staat kontrolliert, ob Seelsorger eine entsprechende Qualifikation haben. | |
Trotzdem fände er ein gesetzliches Verbot wichtig, als ein erstes Zeichen: | |
„Denn jeder Versuch, Homosexualität verändern zu wollen, fügt mehr Schaden | |
zu, als dass es heilsam sein könnte.“ | |
23 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Markus Kowalski | |
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