# taz.de -- Rauschmittel in der Türkei: Harmloser Name, harte Droge | |
> Nach 22.00 Uhr ist der Alkoholverkauf in der Türkei verboten. Das | |
> Rauschmittel „Bonzai“ ist allerdings zu jeder erdenklichen Stunde des | |
> Tages erhältlich. | |
Bild: Bonzai kann so aussehen | |
Im Herzen Istanbuls, am Taksimplatz, sprechen Dealer Passanten offen an. | |
Sie verkaufen Bonzai, ein synthetisches Cannabinoid, welches leicht mit | |
Marihuana oder Haschisch verwechselt werden kann. Was es so gefährlich | |
macht, ist, dass es über 400 verschiedene synthetische Zusatzstoffe | |
enthalten kann und sehr günstig verkauft wird. Ein kleines Päckchen kostet | |
3 Türkische Lira, das sind weniger als ein Euro. | |
In den ärmeren Vierteln von Istanbul, so wie in Küçük Armutlu, lebt der | |
18-jährige Veysi. Mit 12 Jahren zog er zu seiner Großmutter, die jedoch | |
kurze Zeit später anfing, bei seiner Tante zu leben. Seitdem er allein | |
wohnt, „kommen jeden Tag obdachlose Kinder und erwachsene Männer, | |
Transvestiten, Drogensüchtige und Nutten“ erzählt er. „Hier wurde oft | |
Bonzai geraucht. Dann habe ich es auch ausprobiert. Ich dachte, ich muss | |
sterben., erzählt er weiter. | |
## Mehr als 580 Drogentote in 2015 | |
Innerhalb kürzester Zeit sei er stark abhängig geworden. „Das ist so eine | |
harte chemische Droge. Alle sagen, dass es schlimmer wäre als Heroin. Seit | |
sechs Jahren bin ich jetzt süchtig, nicht nur nach Bonzai. Ich habe | |
verschiedene Drogen probiert und wurde häufig dafür bestraft. Ich habe | |
Supermärkte ausgeraubt und wurde oft misshandelt. Mehrmals habe ich | |
versucht von den Drogen loszukommen, nichts funktionierte.“ | |
Laut des „World Drug Report 2015“ der Vereinten Nationen ist die Türkei das | |
europäische Land, in dem am häufigsten synthetische Drogen konsumiert | |
werden. Den Daten zufolge sind in dem besagten Jahr zufolge 580 Menschen | |
aufgrund des Missbrauchs von Synthetika gestorben. | |
In den USA produziert und erstmals 2002 über das Internet vertrieben, wurde | |
die Droge Bonzai unter verschiedenen Namen auch in Europa in kleineren | |
Läden und Tankstellenshops vertrieben. In Deutschland wurde die Droge unter | |
dem Namen „Spice“ verkauft und schließlich 2009 verboten. Bonzai tauchte | |
erst 2010 in den türkischen Polizeiberichten auf. | |
## „Bonzai ist die am rasantesten wachsende Droge“ | |
Nach Angaben des Beobachtungszentrums für Drogen und Drogenmissbrauch | |
(TUBIM), welches der staatlichen Generaldirektion für Sicherheit | |
untersteht, waren ein Drittel der 1,5 Millionen Drogensüchtigen in der | |
Türkei abhängig von Bonzai. Unter der Hand hergestellt und vertrieben, | |
steigt die Todesrate durch Bonzai von Tag zu Tag. | |
Prof. Nesrin Dilbaz, leitende Psychologin der Suchstelle der Istanbuler | |
Klinik „Istanbul Hastanesi“ erzählt, dass wöchentlich rund 150 | |
drogenabhängige Menschen in die Drogenberatung kämen: „Bonzai ist die am | |
rasantesten wachsende Droge. Parallel zum ansteigenden Drogenmissbrauch | |
sind die durch diese synthetische Droge verursachten Tode um ein fünffaches | |
gestiegen.“ | |
Sobald die Droge Bonzai ihren Weg in den Körper gefunden hat, ist der | |
körperliche Schaden immens. Vermehrtes Stressaufkommen, erhöhter Herzschlag | |
und Blutdruck sind nur einige der zahlreichen Symptome. Als synthetischer | |
Drogenstoff kann es zum Tod führen, da die enthaltenen Zusatzstoffe immer | |
wieder in ihrer Zusammensetzung verändert werden. | |
## Halbherzige Drogentherapie | |
In der Türkei ist die Drogentherapie fast genauso schwierig wie die | |
Drogensucht. In Deutschland schließt an die Therapie nach einer | |
medikamentösen Entwöhnung eine sechs- bis zwölfmonatige Psychotherapie | |
sowie Rehabilitationsphase an. In der Türkei wird jedem Drogensüchtigen zur | |
Therapie in den AMATEM-Zentren („Therapiezentren gegen Alkohol und | |
Drogensucht) geraten. | |
Allerdings beläuft sich in diesen Therapiezentren die durchschnittliche | |
Therapiezeit auf 21 Tage. Nur diejenigen, die weiterhin in die | |
psychologische Behandlung gehen wollen, erhalten eine weiterführende | |
Therapie. Böse Zungen könnten behaupten, dass die Drogentherapie darin | |
bestehe, Pillen zu verschreiben und die Menschen wieder fortzuschicken. | |
Der 18-jährige Veysi hat bereits diverse Drogenberatungen aufgesucht. Die | |
meisten Drogendealer hätte er in den AMATEM-Zentren getroffen, erzählt er. | |
„Sie kommen als süchtige Hilfesuchende und verkaufen dort ihren Stoff. Die | |
Therapien verschlimmern die Situation für die Drogenabhängigen“, sagt | |
Veysi. | |
## Freiwillige Drogenzentren in den ärmeren Vierteln | |
Der Vater eines Drogensüchtigen erzählt, dass die Sucht seines Kindes die | |
ganze Familie zerstöre. „Mein Sohn Hakan ist jetzt 20 Jahre alt. Eine | |
seiner Freundinnen hat ihm Bonzai angeboten. In kurzer Zeit war er wie | |
ausgewechselt. Er hat seine Umgebung vollkommen vernachlässigt. Eines Tages | |
kam ein nie dagewesener Geruch aus seinem Zimmer. Als ich es betrat, war er | |
bereits halb ohnmächtig. | |
Im Krankenhaus gab Hakan zu, dass er Bonzai raucht. „21 Tage lang wurde er | |
bei AMATEM behandelt. Aber kaum endete die Therapie, hat er wieder | |
angefangen. Er möchte von uns Geld, und wenn wir es ihm nicht geben, geht | |
er mit einem Messer auf uns los oder verletzte sich selbst mit | |
Rasierklingen. Am Ende hatten wir nur eine Wahl: wir mussten ihn anzeigen, | |
damit er von diesen Drogen loskommt. Von mir aus kann er zehn oder mehr | |
Jahre im Gefängnis verbringen, wenn er denn bei seiner Entlassung nur nicht | |
mehr süchtig ist.“ | |
2013 wurde Hasan Ferit Gedik, der gegen Drogenbanden in seinem Viertel | |
ankämpfte, mit nur 21 Jahren in Istanbul getötet. (Der Aktivist der linken | |
Gruppe Volksfront, die der bewaffneten Organisation DHKP-C nahesteht, wurde | |
im Istanbuler Armenviertel Gülsuyu am Rande einer Demonstration von einer | |
Drogenbande erschossen, Anm. der Red.). Das Gerichtsverfahren gegen den | |
mutmaßlichen Täter und die Hintermänner ist noch nicht abgeschlossen. Heute | |
befinden sich in verschiedenen Stadtteilen freiwillige Beratungszentren, | |
die seinen Namen tragen – vor allem in den Vierteln, in denen das Problem | |
des Drogenverkaufs aktuell ist. | |
## Verdacht auf Duldung von Drogenverkauf | |
Diese Beratungszentren vertreten die Ansicht, dass vor allem „linke“ | |
Stadtviertel wie Gazi, Nurtepe, Alibeyköy, Küçük Armutlu, Okmeydanı in | |
Istanbul und anderen Städten der Türkei mit den Drogen geschwemmt werden, | |
um die politischen Organisationen dort zu entkräften und die Leute aus den | |
Viertel zu vertreiben, weil sie sich und ihre Kinder schützen wollen. So | |
könnten anstelle der zum Abbruch frei gegebenen Gebäude in den ärmeren | |
Vierteln hochpreisige Wolkenkratzer entstehen. | |
Abdullah, 19 Jahre alt, ist seit Jahren Drogenabhängig. Eine Therapie hat | |
er nie begonnen. “Ich habe oft versucht, keine Drogen mehr zu nehmen. Aber | |
meine Füße haben mich immer wieder zu meinem Dealer getragen. Die Viertel | |
werden kaum kontrolliert, die Polizei ist machtlos. Ein Teufelskreis.“ | |
Trotzdem hat er Hoffnung. „Es wird schwer. Aber eines Tages will ich eine | |
Pizzeria eröffnen und ein sauberes Leben führen. | |
28 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Meltem Yılmaz | |
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