| # taz.de -- Drogenepidemie in den USA: Überdosis im Kinderzimmer | |
| > Mit Pillen aus der Apotheke fängt es an. Drogen zerfressen die | |
| > Gesellschaft. Besonders die Mittelschicht ist betroffen, und die jüngsten | |
| > Opfer sind Babys. | |
| Bild: East Liverpool am Ohio River: In den einst stolzen Industriegebieten zerb… | |
| Dayton taz | Das Haus, in dem der kleine Lee seine letzte Nacht verbringt, | |
| liegt in einer Wohnsiedlung am Stadtrand. Ein zweistöckiger Klinkerbau im | |
| Herbstlicht. Davor ein alter Buick, zwei Frauen mit Zahnlücken, sie trinken | |
| Schnaps aus der Flasche. Die Eltern hatten Lee für die Nacht zum Onkel | |
| gegeben, damit er auf den Jungen aufpasst, wie so oft in der Vergangenheit. | |
| Als sie Lee am nächsten Morgen abholen, wirkt der Junge müde und | |
| lethargisch. Die Eltern fahren ihn ins nahe gelegene Good Samaritian | |
| Krankenhaus. Stunden später ist Lee tot. In seinem Blut finden die Ärzte | |
| Fentanyl. Drogen – eine tödliche Menge. Als Lee stirbt, ist er zwei Jahre | |
| alt. | |
| Dayton im Bundesstaat Ohio. Vor hundert Jahren bauten hier die Wright | |
| Brüder das erste Propellerflugzeug. Heute ist die Stadt an der Kreuzung der | |
| Interstates 70 und 75 das Epizentrum einer Drogenepidemie, die in einem nie | |
| dagewesenen Ausmaß die USA erfasst hat. Und doch könnte Dayton überall | |
| sein. In Maryland an der Ostküste, wo man im ersten Halbjahr 70 Prozent | |
| mehr Drogentote zählte als im Vorjahr. In den Westküsten-Metropolen San | |
| Diego, Los Angeles oder San Francisco, wo Polizisten routinemäßig | |
| Notfallmedikamente mit auf Streife nehmen, um die nach einer Überdosis | |
| zusammengebrochenen Süchtigen zu retten. In Connecticut, wo in den | |
| Leichenhallen kein Platz mehr für die vielen Drogentoten ist. | |
| Nie zuvor hat sich eine Drogenwelle so rasch und tödlich auf dem | |
| nordamerikanischen Kontinent ausgebreitet. Nie zuvor traf es die | |
| Mittelschicht so hart: Angestellte, Arbeiter, Schüler, Studenten, junge | |
| Mütter, Rentner – Millionen Amerikaner sind in den vergangenen Jahren in | |
| die Abhängigkeit geraten. Doch dieses Mal ist es nicht nur billiges Heroin, | |
| das die Städte, Parks und Schulhöfe überschwemmt. Noch schneller breiten | |
| sich synthetische Drogen wie Fentanyl aus. Das weiße Kristallpulver, das | |
| zur Gruppe der sogenannten Opioide gehört und für ein paar Dollar auf der | |
| Straße verkauft wird, ist 50 Mal so stark wie Heroin. Wenige | |
| zuckerkorngroße Kristalle, zwei Milligramm, können tödlich sein. | |
| Der kleine Lee starb vor einem Jahr. Wie der pausbackige Junge mit dem | |
| tödlichen Pulver in Berührung kam, konnte nie geklärt werden. Fand er das | |
| Fentanyl in der Wohnung des Onkels, der früher wegen Drogendelikten | |
| verurteilt worden war? Lagen verschmutzte Spritzen auf den Wiesen hinter | |
| dem Reihenhaus, wo sich Junkies öfter einen Schuss setzen? Die Familie | |
| möchte mit niemandem reden. An der Haustür hängt eine Warnung, auf | |
| Pappkarton geschrieben: „Denke nach, bevor du was tust! Wir sind gut | |
| geschützt!“ Der Junge habe „nicht wirklich eine Chance“ gehabt, sagte | |
| Sheriff Phil Plummer den lokalen Medien. | |
| ## Ganze Gemeinden zerbrechen am Rauschgift | |
| Jedes Jahr wird in den USA die Bevölkerung einer Kleinstadt durch Drogen | |
| ausgelöscht. Eine Hochrechnung der New York Times kommt für 2016 auf 64.000 | |
| Rauschgifttote – fast ein Viertel mehr als im Vorjahr. Für US-Amerikaner | |
| unter 50 Jahren ist Rauschgift heute die häufigste Todesursache. Die | |
| Drogenschwemme übertrifft damit in ihrer Tödlichkeit selbst die | |
| Aids-Epidemie auf ihrem Höhepunkt. Und sie zerfrisst die Gesellschaft. | |
| Wer heute durch die Inlandsstaaten Ohio, West Virginia und die einst | |
| stolzen Industriegebiete des Rust Belts fährt, erlebt Städte und Gemeinden, | |
| die am Rauschgift zerbrechen. Familien, die bereits in zweiter und dritter | |
| Generation Drogen spritzen. Jugendliche, die sich auf der Straße | |
| prostituieren, um ihre Sucht zu finanzieren. Firmen, für die es immer | |
| schwieriger wird, Arbeiter zu finden, die bei der Einstellung den | |
| Drogentest bestehen. Und Kinder, die leiden, weil niemand sich mehr um sie | |
| kümmert. | |
| North Findlay Street, East Dayton. Das kleine Mädchen trägt den Namen Honor | |
| – „Ehre“. Er steht für das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Vorsich… | |
| macht das heute einjährige Baby einige Schritte über den grauen | |
| Teppichboden. Schütteres blondes Haar, große neugierige Augen. Doch für | |
| Honor begann das Leben mit qualvollen Schmerzen – den Schmerzen des | |
| Drogenentzugs. Weil ihre Mutter während der Schwangerschaft Rauschgift nahm | |
| und damit auch ihr ungeborenes Kind abhängig machte, musste Honor ihre | |
| ersten Wochen nach der Geburt auf einer Drogenentzugsstation verbringen. | |
| Wie mittlerweile Tausende andere Babys in den USA. „Um sie zu beruhigen, | |
| mussten die Ärzte ihr Morphium spritzen“, erzählt die Mutter Azaray. | |
| Was ist da passiert im Leben einer Mutter, dass sie die Gesundheit ihres | |
| neugeborenen Kindes aufs Spiel setzt? Was ist da passiert im Gewebe der | |
| amerikanischen Gesellschaft, dass mehr als sieben Millionen Bewohner dieses | |
| Landes heute abhängig von Rauschgift sind? Die Opfer der jüngsten | |
| Drogenkrise kommen aus keinen bestimmten Milieus – die meisten sind ganz | |
| normale Mittelschicht. Ihren ersten Rausch haben sie nicht bei einer Party | |
| bekommen, sondern nach einem Besuch beim Arzt. Denn die Schuldigen der | |
| Drogenepidemie sitzen in den Vorstandsetagen der Pharmaindustrie. Sie haben | |
| das Land jahrelang mit Pillen überschwemmt und damit in die Sucht | |
| getrieben. | |
| Es war nach der Geburt ihrer ersten Tochter, Azaray hatte noch | |
| Entbindungsschmerzen, als der Arzt ihr ein Schmerzmittel verschrieb. Vor | |
| acht Jahren war das. Für die junge Mutter, die als Kellnerin arbeitete, | |
| erschienen die Tabletten als Erleichterung. „Ich fühlte mich großartig | |
| damit, war weniger müde und dachte, sie geben mir die Kraft, eine gute | |
| Mutter zu sein“, berichtet die heute 26-Jährige mit leiser Stimme. Eine | |
| Weile schrieb der Arzt ihr immer wieder neue Rezepte aus. Als das | |
| irgendwann stoppte, kaufte sie die Tabletten auf der Straße. | |
| Der Absturz kam schnell und hart: Nach zwei Jahren Medikamentensucht lebte | |
| Azaray nur noch für die Beschaffung ihrer Drogen. Sie dealte, belog Freunde | |
| und Bekannte, bestahl ihre Eltern. Der Umstieg auf Heroin war eine | |
| ökonomische Entscheidung: Heroin kostet viel weniger als Schmerztabletten, | |
| die Wirkung auf den Süchtigen ist ähnlich. Sechs Jahre spritzte Azaray | |
| Heroin, rutsche noch weiter ab, kam ins Gefängnis und verlor das Sorgerecht | |
| für ihre erste Tochter. Im März dieses Jahres die erste Überdosis. „Ich | |
| wäre fast gestorben“, sagt Azaray und weint. | |
| Es war in den Neunzigerjahren, als die US-Pharmaindustrie Schmerzmittel als | |
| neuen Wachstumsmarkt entdeckte. Mit geschönten Studien und viel Geld | |
| verführten Konzerne wie Johnson & Johnson, Pfizer und Novartis Ärzte dazu, | |
| den Patienten mehr Schmerzmittel zu verschreiben. Neue, stärkere Präparate | |
| wie Oxycontin wurden auf den Markt gedrückt, unterstützt von riesigen | |
| Marketingbudgets. Die Gefahr, abhängig zu werden, spielten die Konzerne | |
| herunter. Das Ergebnis: In dem Jahrzehnt bis 2011 verdreifachte sich die | |
| Zahl der Schmerzmittelverschreibungen – auf jährlich 219 Millionen Rezepte. | |
| Bis heute verschreiben US-Ärzte so viele Schmerzmedikamente, dass jeder | |
| erwachsene Amerikaner drei Wochen im Jahr ohne Unterbrechung im Rausch | |
| verbringen könnte. | |
| Für Millionen Menschen bedeutete die Pillenschwemme der direkte Weg in die | |
| Sucht. Die verschriebenen Dosierungen waren zum Teil so hoch, dass | |
| Patienten schon nach einer Woche abhängig wurden. Überall im Land | |
| entstanden sogenannte „Pill Mills“ – Arztpraxen, in denen niemand mehr | |
| behandelt wurde, sondern die Ärzte nur noch im Minutentakt Rezepte für | |
| Schmerzmittel ausstellten. In Kermit, einer 400-Einwohner-Gemeinde am Tug | |
| Fork River in West Virginia, so zeigen es Statistiken der US Food and Drug | |
| Administration, gingen bei einer einzigen Apotheke in sechs Jahren neun | |
| Millionen Schmerzpillen über den Tresen. In Ohio erhielt vergangenes Jahr | |
| rund ein Fünftel der Bevölkerung Opioide auf Rezept. Das ist in etwa die | |
| gleiche Anzahl der Menschen, die jeden Tag Softdrinks trinken. | |
| „Die meisten der Abhängigen, die wir nach einer Überdosis in Dayton finden, | |
| sind durch Schmerzmittel auf Rezept drogensüchtig geworden“, sagt Billy | |
| Brokschmidt, den alle Billy nennen. Der ehemalige Soldat war selbst | |
| drogensüchtig und ist heute Streetworker. Fast jeden Tag fährt er im | |
| Polizeiwagen mit, um den nach einer Überdosis zusammengebrochenen Menschen | |
| zu helfen. Mal sind es Teenager, deren bewegungslosen und blau angelaufenen | |
| Körper sie auf dem Küchenboden des Elternhauses finden. Mal sind es | |
| Obdachlose auf der Straße. Mal ist es ein erfolgreicher Anwalt, der in | |
| seinem SUV mit dem Tod ringt. Bis zu 50 Mal in der Woche rücken die Helfer | |
| in Dayton aus. | |
| Die Rettungskräfte sprühen den im Koma liegenden Drogensüchtigen Naloxon in | |
| die Nase – Handelsname Narcan. Das Mittel wirkt wie ein sofortiger Entzug. | |
| Die Junkies kommen nach wenigen Augenblicken wieder zu Bewusstsein, fühlen | |
| sich aber elend. Für manche der gerade mit dem Leben davon gekommenen ist | |
| das eine Chance, sich auf eine Entziehungskur einzulassen. Andere sind | |
| einfach nur sauer, dass sie nicht mehr high sind. „Manchmal müssen wir zwei | |
| Mal an einem Tag den gleichen Typ von einer Überdosis zurückholen“, sagt | |
| Billy. Immer öfter jedoch kommen die Helfer zu spät: In den ersten neun | |
| Monaten dieses Jahres starben in Dayton 484 Menschen durch Drogen. Im | |
| ganzen Land kostet die Epidemie jeden Tag 175 Menschenleben. Billy: „Wir | |
| verlieren eine ganze Generation.“ | |
| Und diese Generation lässt ihre Kinder zurück. Wer kümmert sich um sie, | |
| wenn die Eltern nur an den nächsten Schuss denken können? Wenn Väter und | |
| Mütter neben dem Spielplatz oder beim Einkaufen an einer Überdosis | |
| zusammenbrechen, weil immer häufiger Heroin, Koks und manchmal sogar | |
| Marihuana mit dem tödlichen Fentanyl gestreckt sind, sodass selbst die | |
| Dealer nicht mehr wissen, was sie den Abhängigen verkaufen? | |
| ## Das Horror-Auto mit dem Enkel auf der Rückbank | |
| 250 Meilen östlich von Dayton am mächtigen Ohio River liegt East Liverpool. | |
| Vor einem Jahr fiel dem Polizisten Kevin Thompson ein dunkelgrauer Ford | |
| auf, der neben einer Kirche parkte. Auf dem Fahrersitz traf Thomson auf | |
| einen mittelalten Mann, der nur noch lallen konnte. „Sein Kopf wackelte vor | |
| und zurück“, schrieb Thomson ins Protokoll. Auf dem Beifahrersitz lag eine | |
| Frau im Tanktop, die Gliedmaßen verrenkt, das Gesicht blau angelaufen. | |
| Beide waren nicht mehr ansprechbar. | |
| Das Paar hatte sich kurz vor der Fahrt einen Schuss gesetzt und eine | |
| Überdosis erwischt. Doch sie waren nicht allein. Auf dem Rücksitz: ein | |
| blonder Junge im blauen Drachen-T-Shirt. Der vierjährige Enkel der Frau. | |
| Das Foto, das die Beamten von der Szene machten, ging um die Welt. Das | |
| Schlimmste sei gewesen, sagten die Polizisten später, dass der Junge nicht | |
| einmal geweint habe. Er habe mit „ leerem, emotionslosem Gesicht“ im | |
| Kindersitz gesessen. | |
| Wenn sie Glück haben, kommen die Kinder irgendwann zu Debra Hawkins. Die | |
| rundliche Frau leitet das Harmony House in Wheeling, auf der anderen Seite | |
| des Ohio Rivers in West Virginia. Das mit Spielzeug und bunten Möbel | |
| vollgestellte Büro ist eine Hilfsstelle für misshandelte Kinder. „Durch die | |
| Opioid-Krise hat sich die Zahl der Fälle deutlich erhöht“, sagt Hawkins. | |
| Oft würden die Kinder aus völlig verwahrlosten Wohnungen gerettet. „Die | |
| Kinder sind traumatisiert. Viele sind unter- oder übergewichtig. Manche | |
| reißen sich die Haare aus.“ Meinst bleibt den Behörden nur, die Kinder von | |
| ihren Eltern zu trennen. | |
| West Virginia hat in den USA die höchste Rate an Kindern, die nicht mehr | |
| bei den Eltern aufwachsen. Eines von achtzig Kindern lebt bei Pflegeeltern | |
| oder in Heimen – Ende 2015 waren das 4.959 Jungen und Mädchen. Weitere | |
| 24.004 Kinder wurden von den Großeltern aufgezogen. Immer öfter sind Drogen | |
| der Grund. Im August holten Polizisten in der Stadt Moorefield drei Kinder | |
| aus einer Wohnung, die von den Eltern als Drogenlabor benutzt wurde. Im | |
| April stoppte der Sheriff in New Lexington einen Vater, der auf der | |
| Rückbank seines Autos eine mobile Produktionsanlage für Meth aufgebaut | |
| hatte. Zwischen den Plastikflaschen mit Chemikalien saß der zweijährige | |
| Sohn. | |
| „Ich habe schon Kinder- und Jugendarbeit gemacht, als die Crack-Welle | |
| unterwegs war. Aber diesmal ist der Schaden für die Familien viel größer“, | |
| sagt Hawkins. Die Drogen ließen die Eltern oft „komplett ausfallen“. Oder | |
| schlimmer noch, selbst zu Tätern werden. Kinderschutzorganisationen | |
| berichten von immer mehr Fällen, bei denen drogensüchtige Eltern ihre | |
| Kinder für Sex verkaufen. „Der Kinderhandel findet oft nicht mal im | |
| Verborgenen statt, das passiert ganz öffentlich“, sagt Hawkins. | |
| ## Private Initiativen und ein untätiger Staat | |
| Obwohl das Weiße Haus mittlerweile eine Kommission zur Bekämpfung der | |
| Drogenkrise eingesetzt hat, gibt es für die Abhängigen kaum staatliche | |
| Hilfe. Die wenigsten Drogensüchtigen haben eine Krankenversicherung, die | |
| einen Entzug bezahlt. Wer die Behandlungskosten in Höhe von mehreren | |
| Zehntausend Dollar nicht aufbringen kann, hat kaum eine Chance, von der | |
| Sucht los zu kommen. In den nächsten zehn Jahren, schätzen Experten, könnte | |
| die Drogenwelle eine halbe Million Menschenleben fordern. Doch die Städte | |
| und Landkreise werden von Washington alleine gelassen. | |
| In Dayton sind es private Initiativen, die als einzige den Drogenabhängigen | |
| Hilfe anbieten. An diesem Abend treffen sich die Families of Addicts (FOA) | |
| zum wöchentlichen Gesprächskreis. Rund 80 Menschen sind in das „Life | |
| Enrichment Center“ gekommen, einem schmucklosen Betonbau im ehemaligen | |
| Industrieviertel. Einige der Teilnehmer haben selbst gebackene Kuchen | |
| mitgebracht, die zusammen mit Chips und M&M’s zu einem kleinen Buffet | |
| aufgebaut sind. | |
| Die Gesichter an den runden Tischen zeigen, wie tief sich die Drogenkrise | |
| in das soziale Gewebe dieser Stadt gefressen hat. Da sitzen junge Männer in | |
| Muskelshirts und Frauen mit Tattoos, die durch die Sucht und das Leben auf | |
| der Straße grau und verhärmt sind. Eltern, die nicht wissen, ob ihr | |
| erwachsener Sohn oder Tochter die nächste Überdosis überlebt. Großeltern, | |
| die über Nacht wieder Kleinkinder aufziehen müssen, weil die | |
| drogensüchtigen Eltern ausfallen. Sie sprechen sich hier gegenseitig Mut | |
| zu. „Ich feiere heute, dass ich neun Monat clean bin und einen Job habe“, | |
| sagt eine junge Frau. Die anderen Teilnehmer klatschen Beifall. | |
| „Bei uns werden die Abhängigen nicht verurteilt. Deshalb kommen sie zu | |
| uns“, sagt Lori Erion. Die 57 Jahre alte Mutter hat FOA vor vier Jahren | |
| zusammen mit anderen Betroffenen gegründet, um ihrer drogensüchtigen | |
| Tochter zu helfen. Mittlerweile treffen sich jede Woche mehrere hundert | |
| Abhängige, Familienangehörige und Helfer in Dayton und anderen Orten. Es | |
| gebe kein Patentrezept, das für alle Drogensüchtigen gelte, sagt Erion. | |
| „Wir können nur versuchen, jedem einzelnen zu helfen.“ FOA unterstützt die | |
| Abhängigen bei der Suche nach Entzugsplätzen. Wer clean ist, wird in ein | |
| Half-Way-House vermittelt, das sind Wohngemeinschaften, in denen die | |
| Abhängigen wieder einen normalen Tagesablauf erlernen. Morgens aufstehen, | |
| Frühstück machen, den Kühlschrank putzen. Es sind viele kleine Schritte, | |
| mit denen das von Drogen zertrümmerte Leben wieder aufgebaut wird. | |
| Auch Azaray und Honor sind an diesem Abend bei dem Treffen. Trotz der | |
| späten Stunde ist Honor noch munter, zieht ihre Mutter am Arm durch den | |
| Raum. Drei Monate habe sie in einer Entzugsklinik verbracht, erzählt | |
| Azaray. Jetzt sei sie glücklich, wieder bei ihrer Tochter zu sein. Sie hält | |
| deren kleine Hand, während das Mädchen glucksend durch den Saal läuft. | |
| Azaray weiß, dass sie noch einen langen Weg vor sich hat. Vor Kurzem hatte | |
| sie einen Rückfall. „Wieder eine Überdosis“, sagt sie und ihre Stimme | |
| klingt müde und resigniert. Das zweite Mal in diesem Jahr. Azaray wird für | |
| den Rest ihres Lebens gegen die Sucht ankämpfen müssen. Nur dann hat Honor | |
| eine Chance. | |
| 9 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Harald Maass | |
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