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# taz.de -- Drogenpolitik in Berlin: Repressionen sind keine Lösung
> Schluss mit dem „War on drugs“ lautet die Forderung beim Gedenktag für
> verstorbene Drogengebraucher. Eine akzeptierende Drogenpolitik müsse her.
Bild: Internationaler Protest am Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher am…
Schweigend standen am Samstag bei einer Kundgebung rund 90 Menschen im
pulsierenden Verkehrslärm am Kottbusser Tor. Sie gedachten verstorbener
Freund*innen und Drogengebraucher*innen.
Bei illegalem Drogenkonsum sterben nach wie vor die meisten Menschen an
Heroinüberdosierungen. Bei der Kundgebung wurde darauf hingewiesen, dass
der sogenannte War on drugs aber keine wünschenswerten Bedingungen schaffe,
dieses Problem zu lösen. Ein Umdenken in der Drogenpolitik dagegen könnte
diesen Krieg beenden und die Konsumkompetenzen der Gebraucher*innen
stärken.
Symboltag für einen solchen Kurswechsel ist der „Internationale Gedenktag
für alle verstorbenen Drogengebraucher*innen“ am 21. Juli. Zu dessen 20.
Jubiläum gingen wie am Kottbusser Tor am Samstag bundesweit Menschen auf
die Straße, um für eine akzeptierende Drogenpolitik zu demonstrieren.
1998 von hinterbliebenen Eltern im nordrhein-westfälischen Gladbeck
initiiert, beteiligen sich seither unzählige Initiativen, eine moderne
Drogenpolitik mitzugestalten: „Wer Schäden durch Drogen mindern möchte,
muss erst mal akzeptieren, dass Menschen Drogen nehmen“, setzte Georg
Bartsch von der Berliner Aids-Hilfe in seiner Rede voraus. Alles andere
sei ein Kampf gegen Windmühlen – er meinte insbesondere die
Strafverfolgungen von Drogengebraucher*innen.
## Repression nützt nichts
Diese wurde auch von Tibor Harrach von den Grünen und Andreas Kramer von
der drogenpolitischen Initiative JES-Berlin, die die Interessen von
Junkies, Ehemaligen und Substituierten vertritt, beklagt. Drogen- und
Beschaffungskriminalität ließen sich nicht durch Repressionen bekämpfen. Im
Gegenteil: „Wir brauchen eine moderne Regulierung der Substanzen, sonst
werden Betroffene von Hilfsprogrammen ausgeschlossen und der Schwarzmarkt
steuert weiterhin die Verteilung und schließt somit eine Qualitätssicherung
für die Gebraucher aus“, sagte Harrach.
„Genau, wir wollen auch nicht elendig und dreckig auf der Straße sterben“,
rief ein Zuhörer wiederholt dazwischen. Doch nicht nur Kriminalisierung
schließt viele Drogengebraucher*innen von gesellschaftlicher Teilhabe aus.
Viele von ihnen werden im Alltag stigmatisiert.
Ein Problemfeld, auf dem sich die bei dem Gedenktag beteiligten Initiativen
auch abseits von Kundgebungen und Jahrestagen engagieren. So besuchte
Andreas Kramer, der seit sieben Jahren ehrenamtlich bei JES-Berlin aktiv
ist, mit einer Freundin in den Tagen vor dem 21. Juli medizinische
Einrichtungen, die Substitutionsprogramme für ehemalige
Drogengebraucher*innen anbieten. Dort legten sie für Klient*innen und
Fachpersonal Flyer und Einladungen zum Gedenktag aus. Auch hier, in
Institutionen, die viel mit Drogengebraucher*innen zusammenarbeiten, seien
Stigmatisierungen nicht ausgeschlossen, schilderte Andreas Kramer die
Situation. Ziel sei es, dass Drogengebraucher*innen nicht verabscheut
werden. „Sie müssen als politische und an gesellschaftlicher Teilhabe
interessierte Menschen wahrgenommen werden“, so Kramer.
Die beiden kennen als ehemalige Konsumierende die bürokratischen und
stigmatisierenden Hürden, mit denen Drogengebraucher*innen während oder
auch noch lange nach dem Konsum konfrontiert sind: „13 Jahre musste ich
dafür kämpfen, meinen Führerschein behalten zu dürfen, obwohl ich jährlich
nachgewiesen haben, dass ich nicht mehr konsumiere“, berichtete Kramers
Bekannte. Für sie ist der Führerschein existenzsichernd, denn sie ist im
ambulanten Pflegedienst tätig. „Aber viele haben nicht die Kraft oder die
finanziellen Möglichkeiten, das zu stemmen.“
## Ein wenig Hoffnung
Trotz dieser alltäglichen Mühen wurde in den Reden bei der Kundgebung auch
von Sachverhalten gesprochen, die Hoffnung versprechen. Dass es in Berlin
im Gegensatz zu Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg
beispielsweise schon drei Konsumräume gibt, in denen sich Menschen
kostenlos saubere Spritzen besorgen und in einem sicheren Umfeld nutzen
können. Das senkt die Zahlen der Todesfälle und mindert Infektionsrisiken,
wie Erfahrungen auch aus Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Hamburg zeigen.
Zudem wurden im Koalitionsvertrag der Berliner Landesregierung Punkte wie
Stärkung von Präventionsarbeit, Schaffung weiterer Konsumräume und die
Förderung der Naloxon-Anwendung, einem Gegenmittel, das bei
Opioid-Überdosierungen eingesetzt werden kann, eingebracht.
Zum Jahresbeginn 2019 soll es in Berlin auch endlich
Drug-Checking-Einrichtungen geben. Dort können Drogen auf Reinheit und
Qualität geprüft werden: „Nutzt die Möglichkeit, eure Substanzen zu prüfe…
Das rettet Leben“, appellierte Tibor Harrach am Kottbusser Tor jetzt schon
an die Anwesenden. Ein Punkt, der in der Abschlussrede von BerLun, einer
Selbsthilfeinitiative von und für russischsprachige Drogengebraucher*innen,
aufgegriffen wurde, denn Krieg sei keine Lösung: „No more drug war“, riefen
die Aktivist*innen gemeinsam gegen den Stadtverkehr an.
22 Jul 2018
## AUTOREN
Torben Becker
## TAGS
Drogen
Schattenwirtschaft
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Drogentote
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