| # taz.de -- Drogenexperte über Entkriminalisierung: „Wir brauchen eine Neuor… | |
| > Dirk Schäffer ist Drogenreferent bei der Deutschen Aidshilfe. Er | |
| > kritisiert, dass KonsumentInnen kriminalisiert und stigmatisiert werden. | |
| Bild: Legaler Drogendeal auf dem Münchner Oktoberfest | |
| taz: Laut dem am Montag vorgestellten UN-Weltdrogenbericht sind im Jahr | |
| 2017 [1][weltweit 585.000 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums | |
| gestorben.] Wie können Drogentote verhindert werden? | |
| Dirk Schäffer: Drogenkonsumräume retten Menschenleben und verhindern HIV- | |
| und Hepatitis-Infektionen, weil sie hygienische Konsumbedingungen bieten, | |
| Safer-Use-Regeln vermitteln und erste Hilfe vor Ort leisten. Leider gibt es | |
| dieses Angebot in nur sieben Bundesländern und an vielen Standorten sind | |
| die Öffnungszeiten viel zu kurz. Es müsste daher einen deutlichen Ausbau | |
| geben. Zudem brauchen wir eine grundlegende Neuorientierung in der | |
| Drogenpolitik, die nicht auf Strafverfolgung, sondern auf | |
| Entkriminalisierung des Eigenkonsums egal welcher Substanz und den Ausbau | |
| von Präventions- und Hilfeangeboten setzt. Dazu gehört ein bundesweites | |
| Naloxonprogramm (Naloxon ist ein Opioidantagonist, das bei Überdosierungen | |
| Leben retten kann, Anm. d. Red.), um das Mittel für Drogennotfälle dort | |
| hinzubringen, wo es hingehört: In die Drogenszenen. In Deutschland ist es | |
| immer noch verschreibungspflichtig und es gibt keine Programme, außer sie | |
| werden von den Einrichtungen selbst aufgelegt. | |
| Wenn Drogen entkriminalisiert werden, wird der Zugang zu schädlichen | |
| Substanzen erleichtert. Könnten dann nicht mehr Menschen drogenabhängig | |
| werden oder problematischen Konsummustern anhängen? | |
| Beispielsweise in Portugal zeigt sich, dass Drogenkonsumenten ihren | |
| Hilfebedarf viel früher artikulieren, wenn sie mit Hilfeeinrichtungen und | |
| nicht mit der Polizei in Kontakt kommen. Nach der Entkriminalisierung ist | |
| die Konsumentenzahl rapide gesunken. Menschen, die nichts mit dem Thema | |
| psychoaktive Substanzen zu tun haben, werden nicht plötzlich dazu greifen. | |
| Auch trotz der sehr prohibitiven Drogenpolitik hierzulande gibt es massive | |
| negative Auswirkungen. Schlechter, als es im Moment ist, kann es nicht | |
| werden. Deshalb müssen wir mutig sein und einen anderen Weg einschlagen. | |
| Der Eigenkonsum muss zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. | |
| [2][Berlin soll eine offizielle Drogen-Check-Stelle erhalten.] Birgt das | |
| nicht die Gefahr, gesundheitsschädliche und abhängig machende Drogen nach | |
| erfolgtem Drug-Checking als sauber und harmlos zu verniedlichen, wie der | |
| CDU-Fraktionschef Burkard Dregger warnt? | |
| In allen Ländern, in denen Drugcheckingprogramme implementiert wurden, | |
| beispielsweise in Österreich, in der Schweiz und in den Niederlanden, gibt | |
| es keinen Anstieg von jungen Konsumenten. Die Ergebnisse sind vielmehr, | |
| dass sich Menschen intensiver mit der Substanz, die sie konsumieren, | |
| auseinandersetzen. Wenn das Checkergebnis zeigt, dass es sich um eine | |
| andere oder viel potentere Substanz handelt als angenommen, wird sie meist | |
| liegengelassen und nicht konsumiert. Drugchecking hat nicht nur einen | |
| Schadensminimierungseffekt, sondern auch einen präventiven Effekt, da auch | |
| ein Angebot der Drogenberatung dazugehört. Es wird niemanden anziehen, der | |
| mit dem Thema bislang nichts zu tun hat. | |
| Die Statistiken scheinen keine Menschen zu erfassen, die mit Drogen | |
| glücklich leben und zurechtkommen. Wann ist Drogenkonsum ein Problem, wann | |
| nicht? | |
| Es gibt tatsächlich eine leicht verquere Sichtweise. Wir haben nur die | |
| Menschen im Blick, bei denen der Konsum mit Missbrauch und massiven, | |
| mannigfaltigen Problemen einhergeht. Das sind die Menschen, die die | |
| Einrichtungen aufsuchen und in den öffentlichen Szenen sind. Natürlich muss | |
| man sich denen zuwenden, da sie einen tatsächlichen Hilfebedarf haben, dem | |
| man gerecht werden muss. Es gibt aber auch jene, die ihren Konsum | |
| unterschiedlichster Substanzen sehr privat und integriert nachgehen und | |
| überhaupt nicht auffällig sind. Es ist gut, dass sich die Hilfeangebote auf | |
| die Menschen ausrichten, die Probleme mit dem Konsum haben. Doch daraus | |
| folgt nicht, dass Drogenkonsum nur mit Problemen einhergeht. | |
| Während der Konsum von Alkohol gesellschaftlich vollkommen | |
| selbstverständlich akzeptiert ist, werden Konsumenten anderer Drogen oft | |
| stigmatisiert. | |
| Die gesellschaftliche Ausgrenzung von Menschen, die illegale Substanzen | |
| konsumieren, ist einer der größten Katastrophen. Sie werden an den Rand der | |
| Gesellschaft gedrängt. Sobald der Konsum offen wird, hat man mit | |
| Diskriminierung und Ausgrenzung zu tun. Das führt dazu, dass Menschen ihren | |
| Konsum so lange wie möglich verheimlichen. Durch die starke Stigmatisierung | |
| kann der Konsum nicht normal thematisiert werden. Sie führt auch dazu, dass | |
| die Gruppe der Drogenkonsumenten, die das integriert tut, völlig unsichtbar | |
| ist und das auch bleiben will. Mit diesem Maß an Stigmatisierung und | |
| Diskriminierung umzugehen, ist nicht einfach. | |
| Das Amt der Drogenbeauftragten der Bundesregierung wird in Kürze | |
| nachbesetzt, da Marlene Mortler (CSU) ins Europaparlament gewählt wurde. | |
| Was erwarten Sie von der neuen Beauftragten? | |
| Man sollte überlegen, ob das Amt nicht von einer Fachperson besetzt wird, | |
| die parteipolitisch nicht abhängig ist. Diese Bindung war bislang eher ein | |
| Hindernis, als ein Quell von Innovation. Die oder der neue | |
| Drogenbeauftragte sollte eng mit den Fachleuten zusammenarbeiten, das habe | |
| ich in den letzten Jahren persönlich vermisst. | |
| Bei der traditionellen Drogenhilfe ist das Ziel immer ein abstinentes, | |
| drogenfreies Leben. Ist das der richtige Weg? | |
| Für viele Menschen ist es toll, wenn sie nach schwierigen Phasen des | |
| Konsums clean werden, deshalb muss das natürlich zum Angebot gehören. Ich | |
| vermisse allerdings oft eine methodische Vielfalt: Es gibt nicht nur | |
| missbräuchlichen Konsum und Abstinenz. Es ist sehr wichtig, dass Schäden | |
| beim Substanzgebrauch reduziert werden. Doch Drogen können auch positive | |
| Effekte haben, sonst würde sie ja niemand nehmen. Eine Gesellschaft ohne | |
| psychoaktive Substanzen stelle ich mir langweiliger vor. | |
| 26 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederik Schindler | |
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