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# taz.de -- Mit HIV zur Polizei: Infektion ist kein Ablehnungsgrund
> Darf ein HIV-Infizierter als Polizist in Niedersachsen arbeiten? Ja, hat
> das Verwaltungsgericht Hannover entschieden.
Bild: Polizeiakademie verhält sich „archaisch“: Anwärter bei einem Festak…
Hannover taz | Die niedersächsische Polizeiakademie muss einen heute
29-jährigen Bewerber, der sich mit HIV infiziert hat, zum Bewerbungsprozess
zulassen. Das hat das Verwaltungsgericht Hannover am Donnerstag
entschieden. Auch wenn sich der Pressesprecher des Gerichts, Sven-Marcus
Süllow, am Donnerstag bemühte zu betonen, dass hier nur ein Einzelfall
verhandelt wurde, entfaltet das Urteil zumindest symbolisch darüber hinaus
Wirkung.
„Wir wissen seit 1984 von HIV und das ist der erste Fall dieser Art, der
vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde“, sagte Matthias Stoll von der
Aidshilfe Niedersachsen.
Ein Mensch fehlte im Verwaltungsgericht Hannover: Der Mann, über dessen
Klage das Gericht an diesem Tag verhandelte, ließ sich durch seinen Anwalt
Jacob Hösl vertreten. „Mein Mandant kommt heute nicht aufgrund des zu
erwartenden Medienrummels“, sagte Hösl zu Beginn der Verhandlung.
Im Oktober 2016 hatte sich sein Mandant bei der Polizeiakademie
Niedersachsen beworben. Er wollte Polizeikommissar-Anwärter werden. Die
Akademie schloss ihn vom Bewerbungsprozess aus, nachdem er offengelegt
hatte, sich mit HIV infiziert zu haben. Auch ein Widerspruch blieb
erfolglos: Die Akademie lehnte ihn in einem zweiten Bescheid Ende Februar
2017 als Bewerber ab. Aufgrund seiner Erkrankung sei er „dienstuntauglich“.
Am 7. März reichte er Klage beim Verwaltungsgericht Hannover ein.
## Bund und Länder uneins
Tatsächlich sind sich Bund und Länder beim Umgang mit HIV-infizierten
Menschen uneinig. Das Bundesgesundheitsministerium wirbt in einer Broschüre
für die Entstigmatisierung von HIV. Das Bundesverteidigungsministerium hat
Anfang 2017 beschlossen, HIV-infizierte Menschen nicht mehr vom Dienst bei
der Bundeswehr auszuschließen. Sie können, sofern sie wirksam therapiert
sind und einen guten Gesundheitszustand haben, Berufssoldaten werden.
Bei den Landespolizeien, mit Ausnahme von Berlin und der Bundespolizei,
werden HIV-infizierte Bewerber hingegen ausgeschlossen, sagte Anwalt Hösl
im Gericht. Das Verhalten der Polizei sei „archaisch“, erklärte er. „Es
gibt weltweit nicht einen dokumentierten Fall, in dem ein Polizist einen
anderen Menschen im Dienst angesteckt hat.“
Warum man HIV-infizierte Bewerber ablehne, versuchte Oberregierungsrätin
Susanne Petersen, die die Polizeiakademie vor Gericht vertrat, so zu
erklären: „Der Polizeiberuf ist gefährlich, man blutet.“ Dass der Kläger
aufgrund einer medikamentösen Therapie so geringe Virenblutwerte hat, dass
das HIV-Virus kaum noch nachzuweisen ist, beruhigte die Vertreterin der
Polizei nicht. Der Mann könne die Tabletten ja immer noch aufhören zu
nehmen, sagte Petersen. Auch sei unklar, ob er aufgrund seiner
HIV-Erkrankung bis zum regulären Pensionseintrittsalter als Polizist
arbeiten könne.
Sie widersprach damit einem Gutachten, das das Verwaltungsgericht in
Auftrag gegeben hatte. Der Gutachter des Gerichts, ein Experte für
Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, hatte mitgeteilt,
dass der Kläger dienstfähig sei, von ihm keine Infektionsgefahr ausgehe und
er keine kürzere Lebenserwartung habe.
Das Gutachten überzeugte auch das Gericht, das nach nur 15 Minuten
Besprechung das Urteil verkündete. Die Polizei muss den jungen Mann zum
Bewerbungsverfahren zulassen, sagte Richter Jens Schade und betonte, dass
es sich hier um eine Einzelfallentscheidung handele. Einen Anspruch auf
Schadensersatz hat der 29-Jährige nicht, weil er die für die entsprechenden
Anträge geltenden Fristen nicht eingehalten habe.
Anwalt Hösl war zufrieden, sein Mandant wolle weiterhin Polizist werden.
„Es ist sein Traumberuf“, sagte Hösl. „Er ist Idealist und wäre ein sup…
Polizist geworden.“ Ob und wann es dazu kommen wird, ist auch nach dem
Urteil unklar. Zum einen müsste der Bewerber weitere Tests und ein
Auswahlgespräch bei der Akademie erfolgreich durchlaufen und zum anderen
ist das Urteil nicht rechtskräftig und die Polizeiakademie hat bereits
angekündigt, Berufung einlegen zu wollen. „Wir gehen von einem weiteren
Verfahren aus“, sagte Petersen nach der Urteilsverkündung.
18 Jul 2019
## AUTOREN
Nadine Wolter
## TAGS
Polizei
Diskriminierung
Arbeitsrecht
Schwerpunkt HIV und Aids
Justiz
Schwerpunkt HIV und Aids
Drogentote
Schwerpunkt HIV und Aids
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